Whitechapel
Raus aus der Schublade der engstirnigen Gemüter

Interview

Mit ihrem mittlerweile sechsten Album „Mark Of The Blade“ werden WHITECHAPEL ganz sicher für Diskussionen sorgen, vermutlich vor allem bei ihren Anhängern. Denn das man sich mit dem neuen Silberling noch ein Stück weiter vom Deathcore bzw. Deathgrind vergangener Tage entfernt hat, wird bei einigen Fans zumindest Fragen aufwerfen. Wir versuchten dieser Entwicklung auf den Grund zu gehen und unterhielten uns daher mit Rhythmusgitarrist Zach Householder. Das war nicht immer einfach und ergiebig, aber lest selber, im Verlauf des Gespräches lässt er sich dann doch zu einigen interessanten Aussagen hinreißen.

Hallo Zach! Danke dass du dir etwas Zeit für metal.de genommen hast. Euch gibt es nun mittlerweile seit 10 Jahren, beste Gelegenheit für ein kurzes Fazit eurerseits. Falls ihr euch am Anfang eurer Karriere irgendwelche Ziele gesetzt habt, konntet ihr diese schon verwirklichen?

Ich denke, unser Hauptziel war immer, mit der Musik unseren Lebensunterhalt zu verdienen und einfach unseren Weg in diesem Business zu gehen. Das haben wir bis jetzt erreicht, zumindest teilweise.

Du sagst teilweise, gibt es da vielleicht noch offene Ziele für WHITECHAPEL?

Für den Lebensunterhalt reicht es zwar, aber stabil sind die Einkünfte in diesem Geschäft natürlich nicht. Ich bin eigentlich jeden Monat besorgt, ob ich in der Lage bin, meine Rechnungen zu bezahlen. Und ich führe ganz gewiss kein extravagantes Leben. Ich bin echt sehr dankbar für das was ich habe bzw. was ich mir leisten kann. Aber ich möchte natürlich sicher sein, dass ich immer über die Runden komme. Ob das möglich sein wird, weiß ich allerdings nicht. Und eben weil wir noch nicht an diesem Punkt angekommen sind, sprach ich vorhin von „teilweise“. Musiker zu sein ist für mich definitiv das Beste auf der Welt, aber wie in jedem anderen Job gibt es auch hier Pros und Contras.

Vergleiche mal bitte die WHITECHAPEL von heute mit denen im Jahr 2006. Wie würdest du eure Entwicklung vor allem in musikalischer Hinsicht beschreiben?

Bis jetzt sind wir absolut zufrieden. Wir haben uns nicht nur beim Songwriting immer breiter aufgestellt und neue Ansätze gesucht, sondern uns auch immer weiter entwickelt im Bezug darauf, wie wir unsere Band am Laufen halten wollen. Wir alle lieben immer noch Metal, aber im Laufe der Jahre tendieren wir mehr und mehr dazu, neue Wege zu gehen und einfach die Musik zu schreiben, die wir gerade fühlen.

Euer Label spricht bei „Mark Of The Blade“ vom „bisher größten Sprung nach vorne“ und veröffentlicht im Promo-Zettel auch folgendes Fazit: „Im Fokus stehen eher Groove als Blastbeat-lastiger Death Metal und die Erforschung bislang unerschlossener Gefilde sowohl inhaltlicher als auch musikalischer Art.“ Kannst du darauf bitte genauer eingehen, siehst du das genauso?

Da stimme ich unserem Label vollkommen zu. Allerdings kann und möchte ich da gar nicht weiter ins Detail gehen. Das Statement steht für sich, mehr gibt es dazu kaum zu sagen. Wir haben einfach ein paar neue Dinge ausprobiert. Und die werdet ihr alle selber entdecken, wenn ihr euch die neue Scheibe anhört.

Die Abkehr von den schnellen Stücken hin zu eher groovigem Material, der vermehrte Einsatz von klarem Gesang, also insgesamt eher etwas softer als früher. Da könnte man auch, wenn man böse ist, unterstellen, dass ihr auf diese Weise breitere Schichten ansprechen und die Charts auf noch höheren Positionen knacken wollt. Berechtigter Einwand bzw. gar Vorwurf?

Genau diese Einstellung ist buchstäblich einer der Gründe, warum wir es mögen, Dinge zu verändern. Damit kann man nämlich wunderbar engstirnige Gemüter aus der Fassung bringen. Es gibt da ein paar Punkte, die die Leute einfach verstehen sollten. 1) Wie hoch deine neue Scheibe in den Charts einsteigt, bedeutet heutzutage überhaupt nichts mehr. Man kann zwar damit prahlen direkt nach der Veröffentlichung, aber wenn kurz danach fast jeder deine neue CD wieder vergisst, dann hat man auch nichts davon. Hohe Chartplatzierungen waren früher mal wichtig, aber wie wir alle wissen, hat dieses Kriterium stark an Bedeutung verloren. Und der einzige Grund, warum es für manche immer noch bedeutend ist, ist der, dass es die Mächtigen der Plattenindustrie so wollen. 2) Metal Bands verdienen kein Geld mehr mit Plattenverkäufen, hier hat sich die Welt ganz einfach verändert. Und wenn irgendjemand ernsthaft glaubt, dass uns Songs mit Clean Vocals hoch in die Charts einsteigen lassen und wir dadurch zum Support von Guns N‘ Roses werden, dann ist das völlig weltfremd. Aber es ist halt so, dass die meisten Menschen nicht mal zwei Meter geradeaus schauen können, geschweige denn über ihre eigenen Computer-Bildschirme hinweg. 3) Wenn jemand wirklich eine solche Einstellung hat und so über uns denkt, dann ok. Hört einfach weiter euren sogenannten „wahren Metal“. Wir kommen sehr gut ohne euch und eure Meinungen aus.

Ok, zugegeben, die Frage war sicher etwas provokativ gestellt. Mir geht es hier jedoch überhaupt nicht um „wahren“ oder „falschen“ Metal. Aber du bist doch selber Fan, und wenn eine deine Lieblingsbands ihren Stil ändert, fragst du dich da nicht auch: Warum? Und ich bin mir sicher, eure Anhänger würde das im Fall von „Mark Of The Blade“ auch interessieren. Deshalb frage ich nochmals nach, ganz ohne Vorwurf: Steckt da irgendein Konzept hinter eurem partiellen Stilwechsel?

Also ich als Fan frage ehrlich gesagt nie nach dem Warum. Ich sage einfach zu mir: „Oh, das klingt anders als sonst, ich mag Sachen die anders klingen! Ich höre mir das jetzt einfach an und bilde mir meine eigene Meinung.“ Und genau deswegen habe ich auch ein Problem mit der sturen Einstellung mancher Metalheads. Nehmen wir beispielsweise „Load“ von Metallica. Das waren auf einmal nicht mehr die Metallica, mit denen ich aufgewachsen bin. Aber ich hörte die Scheibe immer wieder und heute gehört sie zu meinen All-Time-Faves.
Wenn es überhaupt ein Konzept hinter unserem leichten Stilwechsel gibt, dann ist es einfach nur der Spaß daran, etwas zu experimentieren und etwas Neues auszuprobieren. Wir wollen einfach raus aus der Schublade Deathcore. Gerade dieses Genre ist doch ziemlich starr und steif, und wir wollen nicht irgendwelchen imaginären Regeln folgen, nur weil uns jeder da einsortiert. Ich habe in letzter Zeit zahlreiche Kommentare über uns gelesen wie z. B. „Die alten Scheiben waren besser und werden das auch immer bleiben“ oder „Früher waren sie zusammen mit DESPISED ICON und JOB FOR A COWBOY die Pioniere des Deathcore“. Den Begriff Deathcore habe ich ehrlich gesagt nie besonders ernst genommen und kannte ihn auch gar nicht, als ich 2007 zu WHITECHAPEL gekommen bin. Die beiden eben genannten sind wirklich tolle Bands. Aber das ist weder die Art von Musik, die wir ausschließlich spielen möchten, noch wollen wir solche Fans stehen lassen, die eher diesem Stil zugeneigt sind. Letztlich hoffen wir einfach, dass sich die Leute das neue Material möglichst ohne Scheuklappen anhören.

In meinem Review kam ich zum dem Schluss, dass „Mark Of The Blade“ irgendwie eine Art „Zwischen-Album“ zu sein scheint: „Man hat sich von der härteren Gangart zumindest teilweise verabschiedet, traut sich aber noch nicht so richtig, gänzlich melodisch durchzustarten. Daher riecht es hier irgendwie nach einem Kompromiss: Man möchte die alten Fans nicht verprellen, gleichzeitig aber schon etwas Neues wagen.“ Würdest du dem zustimmen oder energisch widersprechen?

Ich würde nicht sagen, dass wir uns von irgendetwas verabschiedet oder etwas aufgegeben haben. Wir versuchen uns einfach nur weiter zu entwickeln. Auf dem nächsten Album findet man dann möglicherweise wieder mehr Blastbeats und schnelleres Material, das hängt ganz davon ab, worauf wir gerade Lust haben. Wir werden niemals das aufgeben, was wir wirklich sind. Stattdessen werden wir immer weiter versuchen, möglichst kreativ in die Zukunft zu schauen. Wir wollen keinesfalls immer auf den gleichen Gleisen weiterfahren und immer wieder die gleichen Songs schreiben.

Danke für das Gespräch!

Vor allem die letzten Aussagen zeigen die löbliche Einstellung von WHITECHAPEL, die ausgelatschten Pfade auch mal zu verlassen. Wer nun das lieber mag oder aber doch lieber weiterhin ausschließlich dem „wahren Metal“ frönt, das sei natürlich euch überlassen.

06.08.2016
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