Agalloch - The Serpent & The Sphere

Review

Vier lange Jahre hat es gedauert, bis die US-Amerikaner AGALLOCH wieder ein vollwertiges Album veröffentlichen. Schon in der Vergangenheit war es ja nicht so ganz einfach die Musik dieser Truppe zu kategorisieren: Von Black Metal über Atmospheric Folk Metal bis Doom und Post Metal konnte man eigentlich jedes Genrelabel (zumindest teilweise) vergeben – ohne damit allerdings den Kern der Sache so richtig zu erfassen. AGALLOCH sind – und das kann man eher selten von Bands behaupten – einzigartig. Album Nummer Fünf, schlicht „The Serpent & The Sphere“ getauft, macht die Einordnung nun (und wahrscheinlich auch für die Zukunft) noch ein bisschen schwieriger. Und vielleicht auch unnötiger – zumindest, wenn man Ansichten der Band selbst hinsichtlich der Einordnung in Kategorien hinzuzieht.

Ein eigener musikalischer Kosmos

Bereits der Opener „Birth And Death Of The Pillars Of Creation“ nimmt sich angenehm viel Zeit, baut Spannung aus dem akustischen Nichts auf, eröffnet mit sanften, akustischen Gitarrenklängen, um dann druckvoll und schwer in die ersten zehn Minuten des Albums überzugehen. Schon die ersten Takte sind für eine Gänsehaut gut: Ein Einstieg, der an Intensität und Spannung reich ist und schwer fesselt – man wird förmlich eingesogen in die dunkle Landschaft von „The Serpent & The Sphere“.

Somit ist bereits der kurze Einstieg des Albums das erste einer ganzen Reihe von kleinen, zauberhaften Details, die „The Serpent & The Sphere“ für den Hörer bereithält – und genau diese Details und kleinen Zwischenspiele, die leisen Töne sind die wahre Stärke dieser Scheibe. Der Pinsel, den AGALLOCH zum Zeichnen ihrer Klanglandschaften verwenden ist denkbar klein, die Vielfalt an dargestellten Motiven hoch. Einzig bei der akustischen Farbauswahl beschränkt man sich auf schwarz und braun – ohne jedoch auf goldene Highlights zu verzichten, wie auch das Coverartwork schon andeutet. Drei dieser strahlenden Highlights finden sich in Form von (rein akustischen) Zwischentracks auf der Scheibe. Jeder einzelne (der erste davon direkt auf den Eröffnungssong folgend) wird dabei beigesteuert von Gastmusiker Nathanaël Larochette, der auch bereits ein Gastspiel bei den Kanadiern WOODS OF YPRES vorweisen kann und selbst das Neofolk-Projekt MUSK OX betreibt. Ein Fremdeinsatz, der dem Album überaus gut zu Gesicht steht und der konzeptionell eine grobe Unterteilung in drei Bereiche vornimmt. „Birth And Death Of The Pillars Of Creation“ ist zudem eine wahrlich interessante Auswahl als Eröffnungsstück des Albums: Es erlaubt sich eine stilistische Irreführung des Hörers, denn repräsentativ ist der Track für das Album eher nicht, aber dennoch unverkennbar AGALLOCH. Zudem setzte man sich hier selbst gehörig unter Zugzwang: Die Erwartung an die folgende knappe Stunde von „The Serpent & The Sphere“ sind nach diesem Einstieg sehr hoch.

Nach dem ersten erwähnten Zwischenspiel ist es daher umso verblüffender, was ab Track Drei aufgefahren wird: „The Astral Dialogue“ ist ein stilechtes AGALLOCH-Monster, eingängig, einnehmend und mit Hooks versehen, die nicht so schnell wieder aus den Gehörgängen verschwinden. Hier wird das Tempo angezogen, die Bassdrum wummert wohlig vor sich hin. Eingeleitet wird mit diesem Song ein Track-Trio, das noch am ehesten in die Schablone „klassische“ AGALLOCH passt und einen Bezug zu den älteren Werken der Band erlaubt – alles ohne jedoch in Raserei oder gar Hektik zu verfallen, doch stets mit einer Prise Rock und langsamen, düsteren Doom-Einschlag mehr als in der Vergangenheit. Das folgende „Dark Matter Gods“ brilliert mit seinem markanten Rhythmus, das in seinen ruhigen Momenten und dem Zusammenspiel von Gitarre und Schlagzeug an 1980er-Wave erinnert und eine dezente Portion Gothic Metal beinhaltet, aber sich dennoch homogen einfügt und dem Klanguniversum von AGALLOCH eine neue, interessante Facette hinzufügt. Eine verträumte Acht-Minuten-Nummer mit flüsterndem Gesang und markantem Basslauf: Der vielleicht stärkste Song auf dem Album, sicherlich aber, ob seiner Klasse, besonders erwähnenswert. „Celestial Effigy“ schließlich, die bereits vorab veröffentlichte Auskopplung, bildet den Abschluss des Mittelteils, und wirkt auf diesen Reigen folgend fast ein bisschen gesichtslos – „I Am The Wooden Doors“ von „The Mantle“ lässt grüßen – und erlaubt ein wenig Raum zum Durchatmen, bevor nach abermaligem akustischem Zwischenspiel das große Finale ansteht: Über „Vales Beyond Dimension“ geht´s zum Albumabschluss: „Plateau Of The Ages“. Dieser zwölf Minuten Brocken hat neben einem sehr postrockigen Aufbau und einem bemerkenswerten Spannungsbogen die Aufgabe den Hörer auf das unvermeidliche Ende der Scheibe vorzubereiten – ein Abschluss, den ich in dieser epischen Tiefe der Band so sicherlich nicht zugetraut hätte.

Der große Schritt nach vorne

Wie lässt sich das neue Album aber insgesamt in das Schaffen von AGALLOCH einordnen? Ich wage einmal folgenden Vergleich: Wo „Marrow Of The Spirit“ noch willentlich unharmonisch und stellenweise unausgeglichen wirkt, auf seine eigene Art ungeschliffen und roh, ist „The Serpent & The Sphere“ ein reifes Album geworden, rund und zugänglicher. Es scheint, als finden AGALLOCH auf „The Serpent & The Sphere“ mehr zu sich selbst, zu ihrem Kern. Auch der konzeptionelle Hintergrund zu dem Album legt dies nahe: Man wendet sich ein wenig ab von der Darstellung der umgebenden Natur und sucht eher nach der Einordnung der Existenz in Zeit und Raum, man gibt sich eher vorsichtig tastend in der unbekannten Dunkelheit als den harschen Zustand der Umwelt beschreibend.

Rückblickend betrachtet ist damit der Vorgänger „Marrow Of The Spirit“, das bis erfolgreichste Album des Quartetts, sicherlich unruhiger und weniger mitreißend, weniger verzaubernd, als es auch schon das 2006er Werk „Ashes Against The Grain“ war. Mit der 2012er-EP „Faustian Echoes“ schlug man dann einen Pfad ein, der eine düstere und abgründige Seite der Band in den Vordergrund rückte und wie ein Aufbruch zu neuen Ufern wirkt. „Marrow Of The Spirit“ bleibt damit  in der AGALLOCH-Diskographie ein Album des Übergangs oder im weiteren Sinn des Abschlusses, ein Versuch die vielen aufgelaufenen Ideen in einen Rahmen zu bringen, obwohl dieser schon zu eng zu werden droht – suchend, rastlos und noch grundlegend im Black Metal verortet. Diese kalte und harte Darstellung der Natur ist nunmehr einer fast romantischen, introvertierteren Sicht gewichen: AGALLOCH sind in vielerlei Hinsicht weicher, düsterer und melancholischer geworden.

Zudem (und das kann man eigentlich nicht genug betonen) macht es schlichtweg Spaß, dieses Album zu hören, die musikalische Einheit zu bewundern, die durch die individuelle Klasse der Protagonisten erreicht wird. Jede instrumentelle Einzelleistung ist dabei beachtlich – wieder einer dieser Punkte, die jeden weiteren Hördurchlauf interessanter macht und der „The Serpent & The Sphere“ eine besondere, progressive Note gibt. Die satte und differenzierte Produktion von Billy Anderson (NEUROSIS, OM) trägt zudem auch ihren Teil hierzu bei.

„The Serpent & The Sphere“ – mehr als die Summe seiner Teile

Mit zunehmender Hördauer vergrößert sich die Anerkennung dafür, wie sehr der von „The Serpent & The Sphere“ eingeschlagene Weg die atmosphärischen Stärken AGALLOCHs weiter entwickelt und jegliche Genregrenze aufbricht. Damit stellt sich dieses Werk in vielerlei Hinsicht selbst in einen Pantheon mit ähnlich intensiven und genrewandernden Werken wie NEGURA BUNGETs „OM“ und ENSLAVEDs „Ruun“.

Obwohl AGALLOCH auch bislang schon frei waren von jeglichem Verdacht der stilistischen Beschränkung oder selbstauferlegtem Schubladendenken, hat „The Serpent & The Sphere“ dennoch eine andere, zusätzliche Qualität. Das schwarzmetallische Fundament wird zunehmend verlassen um Platz zu schaffen für neue Einflüsse und kreative Spielräume – und es bildet nunmehr nur noch eine Säule unter vielen anderen. AGALLOCH gibt sich somit stilistisch  erneuert: „The Serpent & The Sphere“ ist im besten Sinne ein ausuferndes, grenzenloses Album geworden und schlägt ein neues Kapitel im Schaffen der Band auf.

02.05.2014

Iä! Iä! Cthulhu fhtagn!

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