Cynic - Traced In Air

Review

Inwieweit man solch einen Geniestreich wie „Focus“ wiederholen oder modifizieren kann, ist schwer zu umreißen. An dieser Bürde müsste „Traced In Air“ eigentlich scheitern. Es ist aber eine Platte, von der man sagen kann, sie weckt Erinnerungen, obwohl ein Empfinden vorwärts durch die Zeit nichts erinnert, sondern sieht, sehen müsste, vielmehr ganz genau: CYNIC haben den Versuch unternommen, sich selbst noch einmal herauszufordern und trotzdem ihre typischen Elemente nicht zu hinterfragen. Darum sollte man ihr zweites Album eher als eine Art zweites Debüt begreifen, denn genauso emanzipiert erscheint es über lange Strecken – im Grunde bis auf „Evolutionary Sleeper“, das eine Fortsetzung von „The Eagle Nature“ sein könnte. Paul Masvidal thematisiert Einsamkeit und Verlust – nicht ohne die Vergänglichkeit als Erneuerung und Aufbruch („Integral Birth“) und allgemeingültiges Phänomen („King Of Those Who Know“) aufzuzeigen, die uns allen Mut und Haltung vermitteln kann.

Scheinbar völlig frei drehende, schwebende Musik: die miasmatischen Patterns von Sean Reinert lassen lenkende Soundbrünste aufsteigen, Sean Malones Bass und Chapman-Stick bilden ein solides, polyrhythmisches Fundament, das nach vorne schlängelt, ohne sich je zu verheddern, die Gitarren von Masvidal und Kruidenier setzen Akzente, mit verspielten Licks hier, auch mal einem kräftigen Riff da. Auffällig ist, dass bei diesen synthetischen Dramoletten und Soundbädern auf gar so angstfreie Weise hart an den seichten Klippen des Pathetischen navigiert wird; mehr wie noch auf „Focus“, auf dem noch ein „Uroboric Forms“ wütete, das den Zuhörer in aufpeitschendem Tosen gefangen nahm. Das gibt es hier nicht mehr. Riffs gehören zwar immer noch zum festen Inventar, bauen aber hier an etwas, das sexuell und überhaupt indifferent ist, gleichzeitig aber stabil, gleichzeitig auch voller Ideen, die ebenso körperlich erfahren, nicht nur per Kopf entziffert werden wollen. Der größte Trumpf des Quartetts ist zweifelsohne ihr musikalisches Ingenium.

Growls werden noch spärlicher eingesetzt, und wenn, dann so als wären sie ein Instrument. Vocals, die sich die zerbrechliche Schönheit vor dem Stimmbruch bewahrt haben und trotzdem die Töne treffen, dominieren, Lyrics die mehr auf lautmalerische Klangfarben statt auf überinterpretierbare Sinnzusammenhänge setzen. Sie schmiegen sich in einer fragilen Beständigkeit an die stets pointiert ausgeführten Arrangements und drohen, in dem Stück „Adam’s Murmur“ in ätherische Hallwolken völlig zu zerfließen. Der Anteil falsettierter Vocals, die in der Vergangenheit schon dazu führten, dass sich Masvidals Darbietungen allen eingestandenen Qualitäten zum Trotz mit gleichem Recht putzig und drollig wie ergreifend und sublim finden ließen, wurde heraufgeschraubt. Dadurch wird es hier allen, die mehr an musikalischer Grandezza als an verbissen geführten Sturmläufen gegen den Strafraum des 1. FC Heteronormativität interessiert sind, etwas leichter gemacht.

Übrig bleibt ein gelungenes Werk, das nicht mit „Focus“ konkurrieren kann, ja darf. Die Zeit als solche kann ihnen offenbar so wenig anhaben wie das, was während der langen Kreativ- und Praxispause so alles passiert ist – viel ist es ja nicht gewesen. CYNIC schlagen der Vergänglichkeit ein Schnippchen: Sie klopfen auf der Zeit, sie scharren in der Ewigkeit und reiben an der vierten Dimension. Sie befinden sich auf einem Weg, vermutlich dem richtigen, inwieweit nun aber der an Metal – um endlich den für dieses Magazin zentrale Schlagwort zu bemühen – interessierte Mensch ihnen noch folgen mag, ist eine andere Frage. „Traced In Air“ ist eine echte synästhetische Delikatesse, eine der Platten, die ich, trotz Bemusterung, aus Verbundenheit gleich am Veröffentlichungstag zweimal im Laden kaufen gehe, um sie sofort zu verschenken.

09.11.2008
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