Evoken - Atra Mors

Review

Vor acht Jahren wurde in Kanada mit Profound Lore Records eine kleine, aber äußerst feine Plattenfirma geboren, die der Welt seitdem die Werke begabter bis großartiger Künstler wie AGALLOCH, ALTAR OF PLAGUES, PORTAL oder WINTERFYLLETH zugänglich macht. Die Jubiläumsveröffentlichung mit der Nummer PFL-100 gehört mit EVOKEN einer der unbestrittenen, stets Qualität abliefernden Größen des Funeral Doom beziehungsweise Death/Doom. Und die Auserkorenen sollen sich als würdig herausstellen.

Es mag zwar alles andere als kreativ sein, sich als finstere Kriechkapelle mit „Atra Mors“, dem schwarzen Tod, der großen, das Gefühl der menschlichen Machtlosigkeit so sehr prägenden Pandemie des 14. Jahrhunderts, zu befassen. Doch ein Blick auf das fesselnd triste Cover und die den Pesthauch aus den Leichengruben in die Welt wehenden Winde des titelgebenden, von der abgrundtiefen Stimme in bester THERGOTHON-Tradition, den niederdrückenden Walzwänden und den morbiden Motiven dahinter geformten Trauermarsches stellen schnell klar, dass man sich der Thematik hier mit nekrosenschwarzem Ernst annimmt und das Resultat entsprechend überzeugen wird.

Der große, allgemein Seltenheitswert besitzende Vorzug dieses fünften und ersten EVOKEN-Albums seit ebenso vielen Jahren besteht darin, dass die sechs Zehnminüter – plus zwei kurze, zerbrechlich anmutenden Zwischenspiele – äußerst geschmeidig dahinfließen, dabei jedoch genug Dreck und Gestein vom Grund abtragen, um nicht an Rauheit eingebüßt zu haben. Im Gegenteil, „Atra Mors“ wirkt weniger entrückt als seine beiden Vorgänger, ruft mit seiner brodelnden, aus der Schwermut regelmäßig hervortretenden Bestimmtheit bis Aggression nicht selten die Frühwerke („Shades Of Night Descending“) der US-Amerikaner ins Gedächtnis – wenngleich es natürlich weniger rumpelt als zu diesen fernen Demo-Zeiten.

Eine besonders mitreißende Leichenkarrenfahrt durch sein ganzes Spektrum zeigt das New-Jersey-Sextett bei „Descent Into Frantic Dream“, das von ruhigen, doch nie die trostlose Aura verscheuchenden Momenten mit klarem, leiderfülltem Gesang und fragiler Instrumentierung zu einem wütenden Ausbruch führt, bevor es mit einem Rest von Sehnsucht im Nirgendwo versinkt. Auch „The Unechoing Dread“ begeistert – hier kämpfen die ruppig-mächtigen Death- und kummervollen Doom-Elemente fast im Sekundentakt durcheinanderspringend um die Zügel. Viel mehr Abwechslung können die Quasi-New-Yorker in den sargengen Grenzen ihres Genres wahrlich nicht bieten.  

Eines machen EVOKEN mit „Atra Mors“ unmissverständlich klar: Wie die hier – auf einem der ergreifendsten und konsistentesten Totentänze ihrer gesamten, zwanzigjährigen Existenz – thematisierte Pest eine der größten Seuchen der Menschheitsgeschichte ist, so gehören sie zu den wenigen wahren Meistern ihres dunklen Fachs. Sie sind Eingeweihte, die um das Geheimnis wissen, Musik zu erschaffen, die gerade so viel tonales Licht zulässt, dass sich von müden Ohren noch genug Fixpunkte finden lassen; die gerade noch so viel Kraft im Körper des Hörers zurücklässt, dass er sich weiter mit voran schleppen kann.

04.08.2012
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