Ihsahn - ÁMR

Review

Lassen wir noch einmal Revue passieren: IHSAHN ist seit den ersten EMPEROR-Tagen und nach der Auflösung 2011 konstant an anderen Bands beteiligt gewesen, ob das mit seiner Frau bei PECCATUM war, als Aushilfe wo anders oder seine Soloausflüge unter IHSAHN. Das sind 26 Jahre im Musikbusiness, konstantes Schreiben, Touren mit eingeschlossen. Respekt vor der Leistung und der an Hochkarätern nicht gerade mangelnden Diskographie. Auch wenn diese höchst unterschiedlich aufgefasst wurde und es in der Fanfraktion Gruppen gibt, die steif und fest behaupten, nur die Alben die mit „A“ anfangen wären es wert, gehört zu werden (Es gibt so eine Fraktion ja auch bei den EMPEROR Fans, die so tun als ob es die letzten zwei Alben nicht gab oder EMPEROR ab da eigentlich schon IHSAHN genannt werden konnten). Also alle Black Metal Fans, für die alles nach 1995 non existent ist, werden hier wahrscheinlich genauso wenig glücklich wie Leute, die schon das Verlassen der Pfade von „The Adversary“ auf nachfolgenden Alben zähneknirschend betrachteten.

 

Dunkelheit, immer noch im progressiven Soundgewand gekleidet, mit neuer Eingängigkeit bei IHSAHN – kurz „ÁMR“

Während die ersten Ausflüge auf Solopfaden den schon auf dem Abschlusswerk „Prometheus“ von EMPEROR eingeschlagenen progressiven Weg weiter verfolgten, wurden im folgenden in den IHSAHN’schen Sound weitere neue Einflüsse gewebt. So scheint der gute Herr spätestens ab „After“ und „Eremita“ ein paar OPETH und LEPROUS Duftspuren mit aufgenommen zu haben, vom sehr präsenten SHINING-Saxophon (Jørgen Munkeby ist hauptsächlich bei denen zu Gange, nicht zu verwechseln mit den SHINING von Niklas Kvarforth) mal ganz abgesehen. Vielleicht hat auch die gegenseitige Zusammenarbeit mit DEVIN TOWNSEND bei IHSAHN Spuren hinterlassen. Auch Nachfolger „Das Seelenbrechen“ bis zum letzten Album „Arktis“ waren teilweise sehr experimentell, Piano, cleaner Gesang, Synthies, an Djent angelehnte Riffs neben elektronischen Einflüssen und dem Saxophon. Das stieß bei Anhängern der „The Adversary“ -Tage nicht immer auf Gegenliebe. Die neueste Platte „ÁMR“ (altnordisch so viel wie abscheulich, dunkel, schwarz) spricht schon auf dem Cover  nicht mehr dieselbe Corporate Identity Design-Sprache der vorigen Platten. Bei der PETA gewinnt er damit wahrscheinlich auch keinen Blumentopf. Bleibt man wenigstens den songwriterischen Tugenden und der Qualität treu?

 

Gestiegene „Catchiness“, mehr Flirt mit elektronischen Spielereien und Melodien

Vielleicht war es eine Reaktion auf das als zu zerfahren kritisierte „Das Seelenbrechen“. Der Opener „Lend Me The Eyes Of The Millenia“ täuscht gleich doppelt: Während man ein wenig zeitlich zurück zu Black-Metal-Tagen schaut (die etwas gewöhnungsbedürftigen Synthies mal abgesehen) und wohl an altbekanntes ein wenig anknüpfen will, wird es in der Singleauskopplung „Arcana Imperii“ schon ungewöhnlicher und man bewegt sich wieder auf „gewohntem“ IHSAHN-Terrain, die auch so von den Vorgängern bekannt waren: Eine moderne Grundausrichtung, leicht schräg klingende Riffs und Takte, aber auch ein gewisser Groove und Eingängigkeit. Und irgendwie schafft es IHSAHN dann sogar  noch Gameboy-Synthies cool klingen zu lassen, ohne Gimmick-Charakter. Überhaupt wurde der Anteil von Ambient und Synthies, der auch schon auf vorigen Platten zu finden war, auf „ÁMR“ noch mal ein wenig erweitert. „Sámr“ ist dann ruhiger, getragener, erinnert fast ein wenig an A PERFECT CIRCLE oder auch LEPROUS mit IHSAHN’s Vocals on top, wenn die orchestralen Elemente nicht wären und natürlich IHSAHN’s ganz eigenes Gitarrenspiel, das besonders bei den Soli durchscheint. „One Less Enemy“ fährt ein sinistres Hauptriff auf und lässt hier und da wieder ein wenig der alten Black Metal Wurzeln durchscheinen, wobei der Song immer noch recht zahm und im Midtempo bleibt, nur um in einen fast klebrig-süßen Chorus zu münden. Auch wenn ich persönlich kein Anhänger neuer erfundener Genre-Bezeichnungen bin… aber Progressive-blackened-Pop-Metal?

 

In der Mitte bleibt IHSAHN ein wenig die Luft weg auf „ÁMR“

Eine gewisse Reduzierung, hauptsächlich in der Konzentration in den Songs auf ein eingängiges Hauptriff oder einen cleanen Chorus, ist also attestierbar im Vergleich zu den Vorgängern. Das gibt den Songs nette Ankerpunkte, allerdings resultiert das in einem kleineren Spektrum an musikalischer Abwechslung und Bandbreite zu den Vorgängern, wo neben Geprügel und avantgardistischen Überraschungen auch mal Tracks wirken konnten, die ganz im Erbe eines Genres standen. Etwas in Richtung Dark Jazz wie in „Crooked Red Line“ auf „Arktis“ nämlich zum Bleistift. Das fehlt hier ein wenig. Eher wird versucht, so viel wie möglich an Stilen in einen Song zu verpacken, ohne ihn dabei kaputt zu machen. Die Songs selber sind von den Einflüssen her sehr abwechslungsreich auf „ÁMR“, aber ein bisschen weniger Pop-Appeal und die striktere Ausarbeitung mancher Ideen hätte in meinen Augen dann auch nicht geschadet. So darf es ein wenig exemplarisch dafür stehen, dass der Bonustrack „Alone“ (Die Vertonung zu E.A. Poe’s gleichnamigem Gedicht) als epischer 11-Minüter zum Schluss noch einmal ordentlich begeistern kann und einer der besten Songs auf dem Album ist… obwohl vom musikalischen Grundmotiv her gar nicht so viel passiert. Das Manko daran: Leute, die die erweiterte Edition des Albums nicht kaufen,  werden aber somit eines der Highlights vermissen und nur noch knappe 40 Minuten Musik vorliegen haben. Diese Entscheidung, „Alone“ als Bonus mit draufzulegen, ist somit nicht nachvollziehbar für mich. Zumal die Mitte von „ÁMR“, die übertrieben ausgedrückt 3 aufeinander folgende Power-Balladen auffährt, schon ein wenig durchsacken lässt und somit eher ein Rotstift-Kandidat gewesen wäre. Sicherlich, auch hier ist man musikalisch und handwerklich immer noch oben auf, aber im Vergleich mit dem Rest des Albums und vor allem auch dem eigenen Backkatalog ist das dann doch nicht mehr ganz das Ende der Fahnenstange. Und stört den „Flow“ des Albums wie ich finde massiv. Das Momentum, was durch die verhältnismäßig flotten Songs am Anfang aufgebaut wurde, geht hier ein wenig flöten. Das kulminiert dann in den nach meinem Geschmack auch etwas ZU schmalzig geratenen „Marbel Souls“ und „Twin Black Angels“.

 

Zwei Seelen wohnen ach, in meiner Brust – „ÁMR“ lässt mich leicht verwirrt zurück

Auch auf „ÁMR“ mischt IHSAHN sich wieder das beste aus progressiv gefärbtem Metal, leichten Jazz-Einflüssen und einem gewissen Pop-Einschlag, was Gesangslinien und wiederkehrende Riffmotive angeht, in seiner ganz eigenen Weise zusammen. Wie im Prinzip auf den Vorgängern teilweise auch schon. Die in meinen Ohren das teilweise stärkere Material haben. Härtere Passagen wie auf den Vorgängern sind noch vorhanden, für mich nicht ganz nachvollziehbar aber nur an Anfang und Ende gesetzt, die Grundausrichtung mir ein wenig zu sehr auf die „soften“, cleanen Momente fokussiert. Das spielt nicht die Stärken von IHSAHN aus, sondern lässt einen mit dem Wunsch nach ein wenig mehr zurück. Eine durchwachsene Angelegenheit, auch wenn IHSAHN in Bezug auf seine musikalischen Ideen immer noch einer der interessantesten Vertreter im extremeren Metal Bereich bleibt.

Zusammengefasst von den amerikanischen Kollegen:

„The middle third of the record indulges his softer side. The suite of piano and synth-led ballads at the heart of the album will send anyone looking for blast beats scrambling for the skip button, but who cares? Let the past die. This is music for the future where neon is the new black.“

Ich  bin einer dieser „Who cares?“ Leute. Nervig und pedantisch, enttäuscht dass mein Lieblingskünstler nicht dasselbe wie vor 20 Jahren nochmal rausbringen kann und es mich noch genauso umhaut. Ich kann nach einer Weile zwar dann auch „loslassen“ und mit Freude auf neue Einflüsse im Sound nach vorne sehen,  möchte aber immer noch gutes und nachvollziehbares Songwriting haben, an dem ich mich irgendwo festhalten kann.  Die Abwechslung von Soft und Hart, von Bekanntem und Unvorhergesehenem. Das war es, was IHSAHN auf den Vorgängern für mich ausgemacht hat.  Für mich bleibt Neon halt Neon und nicht das „New Black“. „ÁMR“ ist vielleicht „New Neon“ im Soundkosmos von IHSAHN, aber nicht „New Black“.  Ich weiß noch nicht, ob ich in Zukunft wieder zurück komme, meinem Vergangenheits-Ich für gerade Geschriebenes eine Ohrfeige verpasse, um zwei bis drei Punkte aufrunde und von „Meisterwerk“ sprechen werde, wenn ich einen anderen Zugang gefunden habe. Im Moment bin ich etwas enttäuscht angesichts der gestiegenen Pop-Einflüsse und „Catchiness“, die zwar sehr gut ist für das, was sie sein will, mich aber unüberzeugt und mit schlechtem  Gefühl zurück lässt.

 

09.05.2018
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