Marilyn Manson - We Are Chaos

Review

Viele altgediente Manson-Veteranen sehen das musikalische Projekt MARILYN MANSON seit der Zusammenarbeit mit Tyler Bates, dessen Einsatz „The Pale Emperor“ (2015) und „Heaven Upside Down“ (2017) prägte, im dezenten Aufwind. Allerdings zeichnet die Band bereits seit Gründungstagen eine enorme Personalrotation aus, sodass die Zusammenarbeit mit Bates passenderweise nicht weiter geht. Die Rolle des Songschreibers und Produzenten übernimmt auf „We Are Chaos“ der Country-Musiker Shooter Jennings. Nachtigall, ick hör dir trapsen.

Was hat Shooter Jennings Manson in den Tee getan?

Dies ist die wirklich gute Nachricht bereits zu Beginn: Manson singt, keift, knurrt und schmachtet auf dem Album so gut wie seit gefühlt 20 Jahren nicht mehr. Jennings hat es geschafft, das raue Organ Mansons organischer den je in den Vordergrund zustellen. Gerade dieser Umstand macht das abschließende „Broken Needle“ zu einer der besten Halbballaden der Bandgeschichte, für den sich der Kauf des Albums grundlegend schonmal lohnt. So weit, so gut.

Und ja, „We Are Chaos“ ist ein schöner Ritt durch die Diskografie der Band. Es wird antichristlich-rhythmisch gestampft, mechanisch-poppig geflötet und auch ansonsten viel, viel zitiert. Jennings drückt Manson dabei allerdings seinen Stempel auf, führt die Band näher an seichte Klänge, vergisst dabei des Öfteren packende Riffs, kompensiert dies aber mit guten Melodien. Das ist alles wirklich nicht verkehrt und macht „We Are Chaos“ zu einem kurzweiligen Album.

„We Are Chaos“ kann allerdings nicht einfach aus dem Kontext gelöst werden. Denn Manson hat es versäumt, nach „Holy Wood“ (2000) seinen eigenen musikalischen und künstlerischen Ausdruck weiterzuentwickeln. Im direkten Vergleich zum Antichrist-Triptychon, einem musikalischen, lyrischen und konzeptuellen Meisterwerk, erscheint „We Are Chaos“ wie die nette kleine Schwester. Nett anzusehen, aber etwas naiv. Sicherlich ist „We Are Chaos“ musikalisch nicht so banal und generisch wie die Legion von (künstlerisch) langweiligen Alben nach 2000 mit den bekannten Tiefpunkten „The High End of Low“ (2009) und „Born Villian“ (2012).

„We Are Chaos“ wäre besser zu ertragen, wenn dieses angenehm poppige Album außerhalb dieses Kontextes der künstlerischen Stagnation stehen würde. So fühlt sich das Album wie eine laue Dreingabe mit angezogener Handbremse an.

MARILYN MANSON sorgt mal wieder für Stirnrunzeln…

Allerdings nicht (mehr) bei Sittenwächtern und verstörten Eltern. Wenn Manson singt: „We are sick, fucked up and complicated. We are chaos, we can’t be cured“ stellt sich unweigerlich die Frage, für wen hier eigentlich gesprochen wird. Aber auch insgesamt erscheint die Quote von lyrischen Ausrutschern auf dem Album, selbst für Manson-Verhältnisse, überraschend hoch. Wer noch Material zum Bedrucken für Kaffeetassen sucht, wird auf „We Are Chaos“ jedenfalls im Leichtigkeit fündig. Manson kann es aber auch textlich noch, wie das bereits erwähnte „Broken Needle“ eindringlich beweist.

Are you alright?
‚Cause I’m not okay
All of these lies
Are not worth fighting for

Gehaltvoll ist auch das Selbstportrait Mansons für das Coverartwork und das insgesamt liebevoll ausgestaltete Design der Scheibe. Auch in dieser Hinsicht sind Manson-Fans in den letzten Jahren nicht unbedingt verwöhnt worden.

„We Are Chaos“ versöhnt erst in zweiter Instanz

Denn für sich genommen ist MARILYN MANSON ein gelungenes Album geglückt. Die Zusammenarbeit mit Jennings rückt Manson in poppig-wavige Sphären, sodass durchaus Assoziationen zu einem gelungenen Spätwerk geweckt werden. Allerdings ist der künstlerische Verfall seit dem letzten wirklichen Meisterwerk „Holy Wood“ vor genau 20 Jahren weiterhin augenscheinlich. Da ist „We Are Chaos“ nur ein kleines Trostpflaster.

18.10.2020

Stellv. Chefredakteur

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