Marilyn Manson - Born Villain

Review

Suicide Death Metal. Punkrockin‘ mechanical animals. Born Villain. Vorüber ist die gefühlt längste Wartezeit ever, in der uns Manson und Jeordie White mit solchen Verlautbarungen getrollt haben. Nicht nur sie, auch Mitglieder des Warnerschen inner circle wie Schauspieler Shia LaBeouf oder Künstler Nick Kushner.  Von neuer Härte sondersgleichen war da die Rede, von einer Dimension á la „Antichrist Superstar“. Was die Warterei so unerträglich gemacht hat, war nicht die Tatsache, dass der Vorgänger „The High End Of Low“ 2009 erschien, sondern die, dass „Born Villain“ bereits vor mehreren Monaten druck- und pressfähig fertiggestellt war. Statt des Albums servierte Mr. Manson erstmal seine gleichnamige, bewusst provokante Collage des nächtlichen Los Angeles, natürlich nur vor ausgewähltem Publikum. Sein Kurzfilm „Born Villain“, in der gleichen Tradition wie „(s)AINT“ und „Running To The Edge Of The World“ stehend, warf die unverweigerliche Frage auf, wie denn nun seine musikalische Untermalung zu werten sei. War das nun repräsentativ, war es das, worauf Manson in den folgenden Wochen immer anspielte, wie sich denn das Album nun gestalte?

Natürlich nicht. Und natürlich doch. „Born Villain“ hat mich sprachlos gemacht, weil MARILYN MANSON nun offenbar auch im Studio jegliche Kondition verloren hat, die er bereits seit Jahren auf den Bühnen dieser Welt missen lässt, zuletzt in unsäglicher Weise bei seinen Auftritten mit RAMMSTEIN und Johnny Depp. Seine Ansage „Hey, Cruel World…“ könnte mächtig ausfallen, doch es bleibt bei verhaltenen Tönen. Manson wollte kein weiteres Album machen, mit dem er seinen Hörern sein Gefühlsleben aufdrückt. Statt Bitterkeit und Schmerz sollten sie sich einfach nur gut fühlen. Ironischerweise gehören gerade die Alben, auf denen er sich früher so richtig seelisch auskotzte, zu den erfolgreichsten seiner Karriere. Und bei aller Liebe zu adrenalinfördernden Gute-Laune-Alben tun auch die Platten oft richtig gut, die den Schmerz etwas teilen können.
„Born Villain“ bleibt seelisches Magerfleisch. „Pistol Whipped“ z. B. ist eine ziemlich minimalistische Nummer, trotz dicke-Hose-Schlagzeug. Fast eine ganze Minute geht für ein überflüssiges Intro drauf, und das noch im ersten, wichtigen Viertel des Albums. Auch die schwachbrüstige Single-Auskopplung „No Reflection“ legt die Latte nicht höher an und sorgt für die Todsünde eines jeden Albums: den Start hoffnungslos zu vergeigen.

Es folgt der Song aus dem Kurzfilm, „Overneath The Path Of Misery“, mit dem Manson die Neugier weltweit angeheizt hatte. Ich habe ja nie verstanden, warum man erst so ein Bohei macht, um dann eine so lange Leerpause vor der Veröffentlichung reinzuschieben. Das ist beinahe so, als ob man sich nach dem Vorspiel dünne macht, um Zigaretten zu holen und zwei Wochen in den Urlaub zu fahren. Aber hey, die Gitarren reißen hier endlich mal was raus, die Stimme tut’s leider nicht. Was den Song einigermaßen interessant macht, ist wohl auch die unbewusste Annäherung an den Sound seines Ziehvaters, Trent Reznor. Im Vorfeld konnte man von Manson und White über die einfache, ungezwungenere Art der Komposition erfahren. Einfach hinsetzen, Gitarre spielen, Diktiergerät einschalten. Vor dem Hintergrund, dass genau das auch der frühere modus operandi war, klingt das schon fast wie eine Entschuldigung gestandener Musiker, dass man selbst auf diese Weise kaum noch etwas Originelles aus den kreativen Adern herauspressen kann.

„Slo-Mo-Tion“ kann da schon ein bißchen mehr, „The Gardener“ ist ein angenehmer Rocker ohne einen echten, spürbaren Höhepunkt, „The Flowers Of Evil“ ebenso solide aber unspannend, und abermals mit einem deplatzierten Intro ohne greifbaren Gehalt. Vor nicht allzu langer Zeit hat Manson mit Samples und Experimenten wahre Kopfkinowelten aufgespannt. Mit „Children Of Cain“ kommt dann endlich eine richtig gute melodische Nummer mit leider weniger gutem melodischen Gesang von Mansons Reibeisenorgan. Irgendwas muss da nach 2009 kaputt gegangen sein.
Und dann erwacht „Born Villain“ aus seinem nebulösen Dunst. In „Lay Down Your Goddamn Arms“ bringen White und Chris Vrenna endlich Leben ins Album, man erinnert sich an „Mechanical Animals“, und auch das folgende „Murderers Are Getting Prettier Every Day“ mit leichtem „Holy Wood“-Feeling begegnet einem mit deutlich mehr Feuer. Von der Rückkehr zum härteren Sound kann jedoch gar keine Rede sein; selbst „The High End Of Low“ war stellenweise heavier. Statt Gitarrenpower gibt es relativ viel Elektronik, statt aggressivem Industrial Rock begnügt sich die Band mit einer unsteten Rockmelange. Der Fokus ist verschoben, die Kompassnadel gebrochen.
Der Titeltrack selbst plätschert einigermaßen lustlos vor sich hin, erst gegen Ende gewinnt er an Stärke, erneut mit hörbarer Nähe zu „Mechanical Animals“ – warum dann nicht richtig, warum immer nur so halbseiden? Lieber die Neuauflage eines alten Sounds, als der verzweifelte Versuch, zwei mittlerweile offenbar disjunkte musikalische Persönlichkeiten zu vereinen.

„Breaking The Same Old Ground“ ist die emotionalste Nummer der Platte, aber auch hier überbietet sich Manson meilenweit mit vergangenen Glanztaten. Kein versöhnlicher Abschied, auch der Bonus-Rausschmeißer „You’re So Vain“ (Cover von Carly Simons Hit mit Mick Jagger) mit Johnny Depp als Gast bleibt matt. Nachdem Gitarristen wie einst Scott Putesky, John 5 und Tim Skold MARILYN MANSON jeweils ihren Stempel aufgedrückt haben, merkt man wie leer es ohne solche prägenden Einflüsse geworden ist. Jeordie White ist längst nicht mehr ‚Twiggy Ramirez‘. Er glänzt hier jedenfalls ganz und gar nicht, und dass Manson sich mehr an der Gitarre betätigt hat ist zwar löblich, fällt aber leider gar nicht ins Gewicht. Seine alleinigen Kompositionen sind die schwächsten einer durch und durch mageren Platte.

Was bedeutet das nun? Ist das Feuer aus? Hat das einstige Enfant terrible des modernen Schockrocks endgültig abgedankt? Hört euch das Album an. Tut es. Mein persönliches Kritikeralbum war „The High End Of Low“, was bei mir auf wesentlich mehr Gegenliebe stieß, als bei der Mehrheit der Fans und Käufer. In meinen Augen überragt es „Born Villain“ um Längen, aber vielleicht stehe ich damit wieder auf der Seite der Minderheit. Vielleicht ist „Born Villain“ tatsächlich größer. Vielleicht ist einfach nur zum ersten Mal der Funke nicht übergesprungen. Poor me.

PS: Die spartanische Aufmachung im Digipak, ohne Booklet und auch sonst mit viel Nichts und einem verhaltenen Hinweis auf die Songtexte (die es nur online gibt), ist für Manson-Verhältnisse einmalig. Wo sonst viel Wert auf die künstlerische Gestaltung gelegt wurde, wo Manson selbst noch durch seine Texte sprach, all das scheint wertlos geworden zu sein, nicht mehr als ein Augenzwinkern auf einer Microsite im Internet, die vielleicht schon in 2 Jahren nicht mehr existiert.

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29.04.2012

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2 Kommentare zu Marilyn Manson - Born Villain

  1. JollyRoses sagt:

    Ich hatte nicht so einen negativen Eindruck von Born Villain, aber es ist auch mal interessant von jemandem ein Urteil zu lesen, der High End of Low mag. Mir gefiel jenes auch im Gegensatz zu vielen anderen Fans. Alles in einem finde ich das Urteil sehr extrem, was ich auch wieder verstehen kann, denn provozieren macht spaß.
    Das einzige was ich an dieser Stelle nun ÜBERHAUPT NICHT verstehe ist die beurteilung von Children of Cain.. Musikalisch finde ich es recht lau und einfallslos. Mag sein dass es am Text stärksten ist, aber gut. Was man Born Villain meiner Meinung nach gut heißen kann ist, das man nicht bei jedem zweiten Lied denkt: „Aha da hat er sich also mit Ewan wegen dem und dem gestritten, aha da hat er also stress mit Dita gehabt wegen dies und das…usw.“

  2. Moritz Grütz sagt:

    schönes review, in vielen punkten auch nachvollziehbar, wenn ich nur in einigen punkten zustimmen kann. ich pers. fand HEOL auch einen tick besser, allerdings gefällt mir die von dir angedeutete rückbesinnung auf diverse stile alter tage schon sehr. dass das album sich am ende etwas zieht, ist meiner meinung nach weniger der qualität denn der quantität der songs zuzuschreiben.
    (etwas ausführlicher in meinem review auf metal1.info nachzulesen: http://www.metal1.info/reviews/reviews.php?rev_id=5462 😉 )

    ich frage mich nur, warum das album von dir noch 6 punkte bekommt, es dir offensichtlich überhaupt nicht gefällt? liest sich für mich mehr nach ner 3.5-4.

    Beste Grüße
    Mo || Metal1.info