Mastodon - Hushed And Grim

Review

Wenn selbst den Atlanta-Prog-Heroen von MASTODON die Farbpalette aus den Händen rutscht und eine grauschlierige Zwischenwelt an die Stelle von psychedelisch-bunten Tagträumen tritt, dann müssen es wahrhaft düstere Zeiten sein. „Hushed And Grim“? Ein über siebzigminütiges Doppelalbum ohne Lichtblicke? Haben Troy, Bill, Brent & Brann sich diesmal unter dem Einfluss einer scheinbar nicht enden wollenden Pandemie verhoben?

Werkschau und Weiterentwicklung

Entwarnung – für MASTODON-Fans und eigentlich die gesamte stilistisch aufgeschlossene Musikwelt. „Hushed And Grim“ ist zum Glück unheimlich gut, weist keinerlei Längen auf, verbindet Werkschau und Weiterentwicklung und kommt vor allem gar nicht so düster herüber, wie Cover und Titel vermuten lassen.

Schon die drei vorab veröffentlichten Tracks „Pushing The Tides“, „Teardrinker“ und „Sickle And Peace“ vermittelten einen gewissen Eindruck von der Stilvielfalt, die MASTODON auf „Hushed And Grim“ servieren könnten – und auch von den neuen Pfaden, die das Quartett stets zu schlagen bereit ist. Wo „Pushing The Tides“ bis zum erlösenden Brann-Daylor-Refrain noch am ehesten den Sludge-Wurzeln der Südstaatler huldigt, ist „Teardrinker“ eine Classic-Rock-Hymne, die mit frech konventionellem Aufbau und unverschämter Eingängigkeit viel riskiert und alles gewinnt. Und „Sickle And Peace“? Hypnotisch, irgendwie neu, irgendwie ganz schön fesselnd.

MASTODON waren vielleicht nie besser

Von einer Track-für-Track-Besprechung soll an dieser Stelle abgesehen werden, weil erstens jedes MASTODON-Album eine Reise darstellt, bei der sich vieles nur im Kontext erschließt und zweitens für überzeugende Doppelalben genau das gleiche gilt. Die Reise von „Hushed And Grim“ führt uns zu einigen der vielschichtigsten und verschrobensten Kompositionen, aber auch zur vielleicht ersten reinen Ballade der Bandgeschichte. Wir werden Zeuge, wie Brent Hinds einen Southern-Sludge-Prog-Bastard gebiert und „Peace And Tranquillity“ mit einem manischen Prog-Jazz-Riff Lügen straft. Wir dürfen einer Band zuhören, bei der vier großartige Musiker sich nicht gegenseitig neutralisieren, sondern einander immer wieder zu neuen Höchstleistungen in ihren jeweiligen Disziplinen anspornen. So gelingt sogar das unwahrscheinliche Kunststück, ein Doppelalbum keine Sekunde zu lang wirken zu lassen.

Ohne Werke wie „Leviathan“,  „Crack The Skye“ und ihr Vermächtnis schmälern zu wollen: Es könnte sein, dass MASTODON nie besser waren als auf „Hushed And Grim“. Ausnahmslos jeder der 15 Songs weist hier eine Tiefe und Vielschichtigkeit auf, die auf den letzten Veröffentlichungen nie so ganz bis zum Ende durchgehalten wurde. Zudem haben MASTODON heute MASTODON vor 15 Jahren voraus, dass sie ihre prägnanten Stimmen nicht als Dressing auf knackige Prog-Epen träufeln, sondern als integrale Song-Bestandteile mitdenken. Solch ganzheitliches Songwriting macht am Ende den Unterschied zwischen Genre-Meilensteinen und Meilensteinen aus.

29.10.2021
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