Memoriam - The Silent Vigil

Review

Ein Jahr nach „For The Fallen“ blasen MEMORIAM zum zweiten Mal zum Angriff. Bekanntermaßen gilt die Band ja als Quasi-Nachfolger der legendären BOLT THROWER. Doch schon auf der Listening Session hat sich eine Sache markant herauskristallisiert: Die Band hat auf „The Silent Vigil“ Abstand von der Kriegsthematik genommen, um deutlich direkter auf Themen von brennender Relevanz eingehen zu können; Themen die an niemanden vorbeigehen und auch nicht vorbeigehen sollten. Denn gerade der Wahnsinn, der sich derzeit in den politischen Lagern dieser Welt abspielt, fordert ein Statement förmlich für sich ein. Und kaum jemand kann wirklich von sich behaupten, in einer Blase zu leben, die ihn von allen politischen Einflüssen freispricht. Die große Frage, die im Falle MEMORIAM nun aber im Raum steht, ist natürlich: Funktioniert der Panzer musikalisch auch ohne Panzer?

MEMORIAM funktionieren auf „The Silent Vigil“ auch ohne Kriegslyrik

Wenn sich eine Erkenntnis aus der Listening Session auch langfristig bewahrheitet hat, dann die, dass „The Silent Vigil“ sehr sperrig ausgefallen ist. Es gibt eigentlich keinen Song, der sich auf Anhieb in die Gehörgänge schießt. Auch die vergleichsweise lange Spielzeit von fast 50 Minuten lässt nicht gerade auf leichte Kost schließen. Die Engländer haben die Sicherheit des Panzers verlassen und gehen nun auf direkte Tuchfühlung mit ihrer Umgebung. Das bedeutet natürlich auch, dass sie auf Schusters Rappen unwegsames Gelände beschreiten müssen. Und tatsächlich stellt sich „The Silent Vigil“ als weniger straff, dafür deutlich kantiger und erdiger dar als noch sein Vorgänger, bei dem es MEMORIAM ja noch richtig krachen lassen haben. Nein, „The Silent Vigil“ ist da wesentlich zurückhaltender, was schon bei der Produktion anfängt. Dieses Album vollzieht eine Gratwanderung, die darin besteht, zu gleichen Teilen roh und aggressiv sowie unglaublich sauber und aufgeräumt zu klingen. Man muss sich zugegeben etwas mit dem Schlagzeug anfreunden, das recht hell und dünn abgemischt worden ist, doch diese Entscheidung ergibt im Gesamtbild Sinn, zumal der Mix generell recht leise ist. Die old-schoolige, ranzige Seite der Medaille hat natürlich den kosmetischen Effekt, dass der Sound schön altbacken klingt. Wenn MEMORIAM hier Krieg führen, dann gegen den anhaltenden Loudness-Wahn der Musikindustrie.

Natürlich ist der Sound nur die halbe Miete, was können die Songs? Diese profitieren natürlich immens vom Sound und machen sich diesen zunutze. Statt bombastischem Bombenhagel bieten MEMORIAM hier düstere, irgendwie sinistre Songs, die das Bild der Mahnwache, wie es sich die Herren vorstellen, gut einfängt. Man spürt förmlich, wie der Zorn innerhalb der Songs brodelt, wie sich dieser jedoch statt entladen zu werden immer weiter steigert, ohne entladen zu werden. Kleine Macken in der Musik hier und da spielen dem generellen Feeling von Frustration in die Karten. Von Katharsis keine Spur. Die Songs transportieren so ein Gefühl, das sich irgendwo zwischen Wut und Ohnmacht einordnen lässt, was das Bild des normalen Individuums innerhalb dieser verrückten Zeit hervorragend widerspiegelt. Damit treffen die Herren zielsicher den Nerv unserer Zeit.

Ein verstohlener Blick in Richtung zelebrierter Langsamkeit

Um den stimmungsorientierten Charakter des Albums weiter zu unterstreichen trumpfen die Briten mit einem oftmals langsamen Tempo auf, das manchmal sogar ein Stück in Richtung Doom schielt. So stampft „Soulless Parasite“ nach seinem aggressiven, fiesen Auftakt wie durch den slugdigen Sumpf dahin. Scott Fairfax hat seine Gitarre scheinbar schon sehr lange nicht mehr sauber gemacht, so dreckig wie das Teil hier klingt. Frank Healys Bass knurrt sich derweil bedrohlich unter den Gitarren ein und sorgt für eine giftige Grundlage, über der Karl Willets thront. Dessen Darbietung klingt teilweise schon gar nicht mehr nach bellendem Death Metal, sondern eher nach einer zornigen Brandrede, die um ein bis zwei Ecken mit dem Hardcore verwandt ist. Der Titeltrack ist zwar kurz, dafür punktet der Song mit seiner stimmigen Melodik, die tatsächlich so klingt, als würde die Band hier eine Nation zu Grabe tragen. Effektiv werden die schleppenden Rhythmen natürlich vor allem dann, wenn sie wie in „As Bridges Burn“ mit einem flotten Uptempo-Einschub in Relation gesetzt werden. Und gerade der Song wartet mit einigen zermarternden Riffwalzen auf. Ein weiterer Höhepunkt ist der Rausschmeißer „Weaponised Fear“, der wie ein zorniger Gigant aufstampft, ehe sich fiese Gitarren wie Sägen durch das Fleisch schneiden. Auch hier ist wieder ein Hauch von Teergrube im Sound wahrzunehmen, der Song trödelt zeitweise nur einen tranigen Steinwurf an der zelebrierten Langsamkeit vorbei.

Natürlich klingt der alte Kriegspanzer schon relativ einschlägig durch. So ganz werden MEMORIAM den dann wohl doch nicht abschütteln. Dennoch markiert „The Silent Vigil“ einen wichtigen Schritt in der Entwicklung der Band. Ja, selbst diese alten Haudegen können sich noch wandeln und präsentieren ein stimmungsvolles, effektives und emotionales, aber auch verdammt sperriges Album. Die Songs muten dank der meist einfach gehaltenen Instrumentalarbeit täuschend simpel an, sodass man sich hier nicht auf die falsche Fährte leiten lassen und das Album schnell abschreiben sollte. Hier steckt mehr drin, als sich auf den ersten Blick erahnen lässt – wiederholte Hördurchgänge sind zum Genuss des Albums absolut imperativ. Und hat „The Silent Vigil“ dann erst einmal zugepackt, lässt es so schnell nicht mehr los. Klingt abgedroschen, ist aber so.

16.03.2018

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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