Nachtblut - Chimonas

Review

Es gibt einen ganz bekannten Aphorismus zum Begriff der Kunst, der sicher einem Großteil unserer geneigten Leserinnen und Leser über den Weg gelaufen ist: Kunst kommt von Können; käme sie von Wollen, hieße sie Wulst. Würde ich gebeten, exemplarisch zu zeigen, wie dieser Ausspruch wohl gemeint sein könnte, würde ich – zack! – „Chimonas“, das vierte Album der „Dark Metaller“ NACHTBLUT aus den (Un-)Tiefen meiner Promo-Sammlung ziehen und es interessierten Gemütern vor den Latz knallen: „Hier! Echte Wulst – geräuchert und abgehangen im Osnabrücker Land!“

Ähem.

Man verzeihe mir diese etwas oberflächliche Annäherung an „Chimonas“ – selbstverständlich will ich mich nachfolgend bemühen, den zehn Songs in all ihrer Tiefe gerecht zu werden. Hier nun aber der entscheidende Unterschied zwischen ‚Kunst‘ und ‚Wulst‘: Sobald man bei ‚Wulst‘ an der Oberfläche kratzt, ist da nichts. Überhaupt nichts. Die knapp fünfzig Minuten, die der Vierer hier serviert, sind bar jeglichen künstlerischen Wertes; sie sind eine hohle Ansammlung fast aller Klischees, die sich zwischen Neuer Deutscher Härrrrrte und Bombast-„Black“-Metal so auftreiben lassen. Seien das die vollkommen überpräsenten Vocals, die sich irgendwo zwischen Dani Filth, Michael Roth und Till Lindemann bewegen (und einerseits nicht nur selbst in balladesken Momenten nicht die Kurve zum Klargesang bekommen, andererseits auch einem geflüsterten „ihr“ das RAMMSTEIN-®®®® verpassen), die vorhersehbaren Gitarrenmotive, die ausgelutschten Harmonien oder die stereotypen Synthetik-Elemente.

Noch nicht genug? Einen Refrain in seiner Wiederholung einen Ganzton nach oben zu transponieren, gehört zu den abgegriffensten Stilmitteln, die die Popmusik(!) jemals hervorgebracht hat – NACHTBLUT sind sich auch hierfür nicht zu schade, wie mindestens zwei Beispiele auf „Chimonas“ beweisen. Dazu nehme man noch den zu Tode komprimierten Klang, mit „Wien 1863“ eine „Hymne“ in bester MANOWAR-Manier und mit „Und immer wenn die Nacht anbricht“ die Ballade des Albums – und fertig ist ein Dark-Metal-Gebräu, das den Begriff „Authentizität“ nicht einmal aus der Ferne gesehen hat.

Ähnlich dem Kollegen Erik, der sich damals sehr amüsiert zu den lyrischen Ergüssen „Dogma„s geäußert hatte, kann auch ich mir das gelegentliche Schmunzeln (im Wechsel mit Kopfschütteln) nicht verkneifen: Fieseste Reime, ins Metrum gezwungener Satzbau, Betonungen auf falschen Silben – von der inhaltlichen Ebene mal ganz zu schweigen. All das ist vollendet symptomatisch für NACHTBLUT als Wulstprodukt einer „Szene“, die ähnlich dem Zauberlehrling ihre Geister nicht mehr los wird.

Das alles dürfte für niemanden, der sich irgendwann einmal mit NACHTBLUT beschäftigt hat, eine echte Überraschung sein. Wie man NACHTBLUTs wülstlerischen Ansatz bewertet, steht indes auf einem ganz anderen Blatt – wer sich mit oberflächlicher Bedienung von Klischees zufrieden gibt und keinen Wert auf echten Inhalt oder gar Tiefe legt, kann mit „Chimonas“ durchaus glücklich werden. Alle anderen werden um NACHTBLUT auch weiterhin einen großen Bogen machen. Ich ab jetzt auch wieder.

21.10.2014
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