Rhapsody Of Fire - Dark Wings Of Steel

Review

Auf dem Papier ist „Dark Wings Of Steel“ ein normales RHAPSODY-Album. Wer die Band bisher nur beiläufig beobachtet hat, wird beim Durchhören das Gefühl bekommen, dass sich der Sound wieder an älteren Alben, wie „Dawn Of Victory“ oder „Triumph Or Agony“ orientiert. Truemetallische Anleihen an Bands wie VIRGIN STEELE prägen vor allem die erste Hälfte, Gitarrenfrickeleien tendenziell das mittlere Drittel. Generell geht es sehr viel straighter und livetauglicher zu, als auf den klassizistischen Vorgängern. Nach einigen Durchläufen kann man auf die Idee kommen, dass „Dark Wings Of Steel“ zwar kein Genremeilenstein ist, aber zumindest ambitioniert einige starke Songs und viele einprägsame Momente in sich vereint.

Wer RHAPSODY OF FIRE aber in den letzten Jahren genauer beobachtet hat, erinnert sich noch an die Ansage, welche das ehemalige Songwriterduo Alex Staropoli und LUCA TURILLI bei ihrer Trennung 2011 gemacht haben: Beide wollen die Bandgeschichte in unterschiedliche Richtungen weiterentwickeln. TURILLI kaufte sich dafür extra die Rechte für das Bandlogo und erklärte: Das unter LUCA TURILLIs RHAPSODY veröffentlichte „Ascension To Infinity“ sei ein reguläres elftes Bandalbum. Und das zurecht, knüpft es doch nahtlos an die Kompositionsarbeit der letzten beiden RHAPSODY-Alben an. Mit dem vorliegenden Staropoli-Solo „Dark Wings Of Steel“, veröffentlicht unter dem alten Namen RHAPSODY OF FIRE, ist die Teilung in zwei Bands endgültig vollzogen. Fans scheinen davon zu profitieren: Beide Platten bilden unterschiedliche Elemente der Diskographie ab und haben eine beachtliche Qualität.

Doch der Unterschied ist: LUCA TURILLI spielt, als habe er Ehrgeiz und Vision, einen respektablen Beitrag zur Musikgeschichte insgesamt zu leisten. Man kann seine „Neo-Classical“-Gitarrenshreddereien für verkopft und wenig eingängig halten, aber sowohl in der Metal-, als auch in der Klassikgeschichte bespielt er damit einen einzigartigen Pfad, der ihn als Gitarristen und Komponisten auszeichnet. Alex Staropoli hingegen macht in erster Linie guten Powermetal. Er baut die für ihn so typischen Streicherspuren über schnodderige NIGHTWISH-Riffs und erinnert mitunter an Folklore oder Howard Shore. Das funktioniert, weil es leicht zugänglich ist, und man „Dark Wings Of Steel“ die Mühe anmerkt, die in jedes Riff geflossen ist. Er bemüht sich außerdem in allen Songs, dem Genre etwas Neues zu geben, und sich nicht allein auf immer dieselben Epik-Refrains zu verlassen.

Trotzdem fällt auf, dass LUCA TURILLI als Komponist die größeren handwerklichen Fähigkeiten besitzt. Moshbare Riffs beherrscht auch Staropoli meisterhaft. Aber wenn es um Songdramaturgien oder Übergänge zwischen Strophen, Bridges und Refrains geht, meint man es an einigen Ecken noch rumpeln zu hören. Das atmosphärisch dichte „My Sacrifice“ ist etwa einer der stärksten Songs auf dem Album. Die anfänglichen fünf Minuten True Metal scheinen aber nur mühsam zu dem spektakulären Gitarrenfeuerwerk am Ende zu passen. Eines der stärksten Riffs von „Dark Wings Of Steel“ befindet sich im Titelsong, wird dort aber nur zehn Sekunden an dessen Ende als Rausschmeißer verbraten. Und überhaupt spricht es für sich, dass man zum ersten Mal in der RHAPSODY-Geschichte auf ein großes Albumepos verzichten muss.

Starke Unterschiede erkennt man auch in der Inszenierung des Orchesters. Wo auf TURILLIs „Ascension To Infinity“ in mühsamer Kleinarbeit ein täuschend echtes Sampleorchester zusammengebaut wurde, klingen die Streicherspuren auf „Dark Wings Of Steel“ zu jeder Zeit nach Keyboard. Das macht zwar ganz schön Druck, wirkt aber merklich weniger liebevoll. Gitarristen werden außerdem bedauern, dass Roberto De Micheli sowohl qualitativ, als auch quantitativ nicht die Rolle auf dem Album einnimmt, wie TURILLI auf den vorherigen. Er erinnert aber beachtlich an YNGWIE MALMSTEEN und kann damit so manchen Song aufwerten.

Warum „Dark Wings Of Steel“ trotz aller Kritik immer noch ein starkes Album ist, liegt an zwei Dingen. Erstens hat es eine überraschend starke Langzeitwirkung und nährt merklich länger als die letzten NIGHTWISH-Alben. Und zweitens funktioniert es einfach ziemlich gut. So einen Opener wie „Rising From Tragic Flames“ hab ich mir schon seit Jahren gewünscht. Und die Heavy-Ballade „Custode Di Pace“ zieht bereits in den ersten Sekunden alle Register. Ich vermute zwar, dass „Dark Wings Of Steel“ in der langen Diskographie RHAPSODY OF FIREs irgendwann keine große Rolle mehr spielen wird. In diesem Jahr ist es aber unter den Top 3 der Genrevertreter. Wer mal wieder eingängigen Power Metal hören will, der – abgesehen von den Songtiteln – den Intellekt nicht beleidigt, wird mit dem Album eine Menge Spaß haben.

13.11.2013
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