Therion - Beloved Antichrist

Review

Zu welchen musikalischen Glanzleistungen Christofer Johnsson einmal fähig sein würde, weiß der  geneigte THERION Fan spätestens seit dem 1993er Werk „Symphony Masses – Ho Drakon Ho Megas“. Dort werden so einige der genialen Ideen vage angedeutet, die dem Meister schon damals durch den Kopf schwirrten. Mit „Theli“ (1996) setzte die Band dann endgültig neue Maßstäbe im Bereich des symphonischen Metal und veröffentlicht seitdem in schöner Regelmäßigkeit ausnahmslos gute bis sehr gute Werke. Die Krönung dieses Weges soll nun also die monumentale Rockoper „Beloved Antichrist“ sein, ein Mammutwerk mit gut drei Stunden Spielzeit. Ob dieses Vorhaben letztendlich auch wirklich gelungen ist, wollen wir im Folgenden etwas ausführlicher unter die Lupe nehmen.

THERION begeistern mit einem dreistündigen Mammutwerk

Das Werk ist in drei Akte auf drei CD‘s unterteilt und basiert auf Wladimir Solowjows Prophetie „Kurze Erzählung vom Antichrist“ aus dem Jahre 1899. Darin geht es ganz kurz gesagt um einen vermeintlichen Wohltäter, der an die Weltherrschaft gelangt. THERION haben diese Geschichte jedoch wesentlich weiter ausgeschmückt und mit eigenen Charakteren ergänzt. (Mehr dazu in unserem Interview mit Christofer Johnsson)

Im Rahmen dieses Reviews kann natürlich nicht auf jedes der 46 Lieder eingegangen werden, das würde den Rahmen mehrfach sprengen. Konzentrieren wir uns daher am besten auf einige ausgesuchte Perlen, die den umfangreichen Charakter dieses Werkes bestmöglich umreißen.

Und eine solche ist dann auch gleich mal ganz klar der Opener „Turn From Heaven“. Hier kommen sofort diese altbekannten THERION-Chöre zum Einsatz, passend untermalt von Bläsern. Und weil der Song auf einer dieser urtypischen Christofer-Johnsson-Melodien basiert, ist dies ein absolut würdiger Auftakt in dieses Epos. „Where Will you Go?“ bietet dann ein geniales Wechselspiel zwischen Tenor und Chor und zeigt, warum diese Scheibe die Bezeichnung Rock Oper absolut verdient hat. Das hat mit THERIONs Metal-Vergangenheit fast gar nichts mehr zu tun. Diese Einschätzung trifft u.a. auch auf das recht sparsam aber dafür sehr wirkungsvoll instrumentierte „Through Dust, Through Rain“ zu. Hier regiert jedoch der Sopran. Bei „Sings Are Here“ setzt nach einem feinen orchestralen Auftakt der Chor mit einer mega genialen Darbietung ein. Anschließend konkurrieren die einzelnen Sängerinnen scheinbar um die beste Melodie. Das kurze „Never Again“ geht dann mal deutlich Richtung THERION-Metal und hätte in der Form auch auf vielen anderen Veröffentlichungen der Band seit 1998 stehen können. Auch „Morning Has Broken“ schlägt in eine ganz ähnliche Kerbe, hier paaren sich große Melodien mit wechselnder Dynamik.

Bei „The Solid Black Beyond“ kommt nach einem orchestralen Auftakt zunächst nur der Tenor zum Einsatz, bevor dann ein herrlicher Übergang den Song doch Richtung Rock abdriften lässt. Das erinnert doch stark an TRANS SIBERIAN ORCHESTRA. „Garden Of Peace“ ist dann ein regelrechter Ohrenschmeichler, dieses herrliche Duett mausert sich zu einem richtigen kleinen Hit. Im Gegensatz dazu ist das darauffolgende „Our Destiny“ einfach „nur“ ein feiner Rocker mit großem Refrain.

Mit „Anthem“ gelingt THERION dann eine regelrechte Überraschung. Denn obwohl dieser Song passend zum Titel überwiegend hymnisch daher kommt, setzt er nach der Einleitung auch auf einen regelrecht speedigen Part und geht damit sogar zurück Richtung „Theli“. Das konnte man so hier nicht unbedingt erwarten, ist aber prima gelungen. Auch „Hail Caesar!“ ist um einiges metallischer als ein Großteil der Scheibe unterwegs. (Aber Achtung, das muss an dieser Stelle unbedingt mal klar gestellt werden: Begriffe wie metallisch usw. sind hier stets im THERION-Kontext zu verstehen!) Hier gibt es mal wieder großes Johnsson-Kino zu bestaunen. Das Lied hat eigentlich alles, warum man diese Band mag oder eben nicht.

„The Arrival Of Apollonius“ führt nicht nur sehr gekonnt in Akt II des Werkes ein, sondern zaubert dem Hörer mal wieder so einige ausdrucksstarke Bilder vor das innere Auge. Das darauffolgende „Pledging Loyalty“ kommt zunächst wie reine Filmmusik daher, bevor einem der feine Bass-Gesang eine dicke Gänsehaut beschert. Und die wird dann nur noch verstärkt, wenn Band, Chor und Orchester einsetzen. Bei „Night Reborn“ übernimmt schließlich wieder Gevatter Metal das Zepter. Im Prinzip spannt „Beloved Antichrist“ also sehr gekonnt den Bogen über sämtliche THERION Veröffentlichungen seit „Theli“.

Auch das bereits vorab vorgestellte „Temple Of New Jerusalem“ rockt wieder schön ab und setzt auf einen feinen Refrain. Das macht diesen Song auch für reguläre THERION Shows absolut livetauglich. Mit „The Lions Roar“ wird es dann erneut bombastischer. Hier übernimmt der Chor das Thema des Solisten und baut es gekonnt aus. Und das Ende ist absolut monumental! Auch „Bringing The Gospel“ ist wieder so ein epochaler Batzen, hier vereinen sich viele große Momente zu einem echten Kunstwerk. „Laudate Dominum“ pendelt auf höchstem Niveau zwischen einem meisterhaften Bass-Sopran-Duett und Filmmusik. Aber Mr. Johnsson kann natürlich auch ganz anders und demonstriert dies mit „Behold Antichrist“. Dieses dramatische Stück verzichtet nahezu vollständig auf Symphonik und bietet außerdem einen recht schrägen kurzen Zwischenpart.

Mit „Shot The Down!“ wird der finale Akt rockig eingeleitet. Hier setzen THERION viel mehr auf Härte als auf Bombast und erinnern manchmal sogar ganz leicht an die SCORPIONS, aber wirklich nur ganz leicht. „Forgive Me“ ist mit knapp zehn Minuten Spielzeit der längste Song der Scheibe, und damit auch das Herzstück? Schwer zu sagen, auf alle Fälle ist der Song sehr vielschichtig und detailverliebt aufgebaut und steigert die Dramatik absolut gekonnt. „Burning The Palace“ ist dann nochmal so ein schwer verdaulicher Brocken mit vielen unterschiedlichen Wendungen. Der braucht auch mehrere Durchläufe und hebt sich die ganz großen Melodien fürs Finale auf.

Wer an dieser Stelle nochmal ein Beispiel für großen THERION-Bombast benötigt, bitteschön, einfach „Rise To War“ hören. „Time Has Come Final Battle“ hingegen setzt zunächst auf die pure Stimmgewalt, völlig zurecht, aber nur um dann Band und Orchester zum richtigen Zeitpunkt mit ins Boot zu holen. Und in diesem bleiben dann alle zusammen sitzen und intonieren „My Voyage Carries On“. Das beste Beispiel für den Musical-Charakter der Scheibe bietet das kurze „Seeds Of Time“, einfach herrlich. Und schlussendlich, nach rund drei Stunden Erlebniswelt für die Lauschlappen, Vorhang auf zum Grande Finale „Theme Of Antichrist“. Hier dominiert der Chor das rockig-dramatische Stück, ein absolut würdiges Finale..! Und viele der Charaktere bekommen nochmal einen Auftritt.

Natürlich ist nicht jeder Song ein Oberknaller, kann man aber auch bei 46 Titeln kaum erwarten. Aber ein gewisses verdammt hohes Niveau wird mit keinem Stück unterschritten, da haben selbst vermeintliche Füller absolute Klasse. Diese Songs sind jetzt im Kontext von THERIONs Schaffen eher unter „gut“ einzuordnen, aber immer noch richtig stark.

„Beloved Antichrist“ ist natürlich schon ziemlich nah dran an anderen Werken der Band, das ist ganz einfach Christofers Stil. Die Truppe reizt den bandinternen Kosmos hier einfach voll aus. Man merkt aber zu jedem Zeitpunkt, wie lange an dieser Scheibe gefeilt wurde, da sitzt echt jedes noch so kleine Detail. Vor allem auf die Gesangslinien wurde vom Meister allerhöchster Wert gelegt, aber das ist natürlich logisch bei einem Werk mit Musical-Charakter. Und immer wieder begeistert einen dieses feine Gespür für die kleinen und großen Melodien, ganz stark. Es fällt generell auf, dass hier die Band meistens die zweite oder gar dritte Geige spielt, im Vordergrund stehen bei dieser Rockoper bzw. diesem Musical ganz klar andere. Ideen hat Mr. Johnsson scheinbar en masse gesammelt für sein Opus Magnum. Und diese absolut einprägsamen Melodien bekommt im symphonischen Metal und Rock kaum einer so wie er in hoher Frequenz auf die Reihe, Hut ab!

Der logische Höhepunkt von THERIONs bisheriger Entwicklung

Vermutlich wird das komplette Werk dann auf der Bühne nochmal ganz anders wirken, mit Orchester, Chor und allen Solisten. Quasi in seiner gesamten Pracht. Man kann nur hoffen, dass diese Inszenierung irgendwann auf die Beine gestellt werden kann.

Unterm berühmten Strich ist „Beloved Antichrist“ nicht weniger als ein imposantes Kunstwerk geworden, das man durchaus als die Krönung von THERIONs bisherigem Schaffen sehen kann. Die Scheibe ist vielleicht nicht für jedermanns Geschmack die bis dato beste der Band, aber der logische Höhepunkt der bisherigen Entwicklung. Sehr beeindruckend!

23.01.2018
Exit mobile version