Whitechapel - The Valley

Review

Dass WHITECHAPEL entwicklungsfähig sind, haben sie Zeit ihrer Karriere bewiesen. Doch der Schritt auf „The Valley“ ist nicht nur mutig, sondern auch der passende zur richtigen Zeit. Einst als Death-Metal-Truppe gestartet, sind sie vor allem als ziemlich brachiale Deathcore-Band bekannt geworden. Eindimensional war der Vorwurf, den man ihnen bis zu „Mark Of The Blade“ machen konnte, ja vielleicht sogar musste. Doch vom einstigen reinen Weltuntergangs-Soundtrack, bei dem außer finster grollenden Wolken nichts mehr zu erkennen ist, hat sich die Band Jahre nach ihrer Gründung einigermaßen entfernt.

Haben sich WHITECHAPEL neu erfunden?

Nicht etwa, dass „The Valley“ ein Sonnenschein-Album ist, ganz und gar nicht. Die Brutalität, die WHITECHAPEL schon immer ausgestrahlt haben, ist auch ihrem siebten Studioalbum anzumerken. Aber sie sind facettenreich wie nie, geben Melodien Raum zur Entfaltung und lassen sogar gänzlich andere Einflüsse wirken und mit der finsteren Gewalttätigkeit ihrer Wurzeln kollidieren. Der inhaltlich düstere, depressive und schwerverdauliche Hintergrund des Albums – es befasst sich mit den Tagebüchern und Erfahrungen der Mutter von Sänger Phil Bozeman, die eine gespaltene Persönlichkeit hatte – schlägt sich auch in der instrumentalen Ausdrucksweise nieder.

Neben gewohnten Deathcore-Walzen gibt es auflockernde, nachdenkliche und emotional packende Momente. Zeitweise sind diese wie im Opener „When A Demon Defiles A Witch“ in fast schon herzzerreißenden Hooks verarbeitet, die den harten Kern WHITECHAPELS melodisch und mit Klargesang abmildern und einen schlicht berühren. Songs wie „Forgiveness Is Weakness“ oder „Brimstone“ beweisen dann, dass „The Valley“ nicht gänzlich aus der Reihe fällt, da hier der gewohnt brachiale Deathcore inklusive bösartig-bedrohlicher Gitarren und tiefen Growls zu Tage tritt.

Der Fünfer hat mehr als nur ein brutales Gesicht

Aber der Fünfer hat eben noch ein anderes Gesicht, das sich in „Hickory Creek“ völlig entblößt zeigt. Zeitweise beinahe balladesk findet sich der Song ganz klar in modernen Rock-Sphären wieder, die mit musikalischer Vielseitigkeit glänzen und deutlich musikalischer wirken als die wirkungsvolle, aber eben relativ eingeschränkte Ausdrucksweise der Deathcore-Songs – sogar inklusive Akustikgitarren-Gezupfe, das wie ein leichter Sonnenstrahl wirkt. Und so findet sich „The Valley“ zwischen den Extremen, die WHITECHAPEL heraufbeschwören wieder, zieht mal klar die Grenze und lässt selbige an anderen Stellen wieder verschwimmen (u.a. in „Third Depth“).

„The Valley“ ist eine krasse Überraschung

Es wirkt beinah irrational, dass „The Valley“ neben überraschend aufgerissenen Ohren sogar schwerer im Magen liegt, als so manche ihrer Deathcore-Alben. Aber die Emotionalität, die WHITECHAPEL heuer an den Tag legen, gepaart mit einem guten Songwriting und interessanten Spannungsbögen, braucht Zeit zum Ergründen, Kennenlernen und sich Wiederfinden. Dass sich auch ältere Fans der Band wohlfühlen können, gibt dem Werk einen zusätzlichen Schliff, da es eben nicht mit der Vergangenheit bricht, sondern sich als klare Entwicklung einordnen lässt. Eine Überraschung, die in dieser ausgefeilten Form kaum zu erwarten war.

29.03.2019

Chefredakteur

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