Wiegedood - There's Always Blood At The End Of The Road

Review

Die Toten haben es nach drei Teilen nun schon lang genug gut gehabt, nach persönlichen Verlusten und Abgründen widmen sich die Belgier WIEGEDOOD aus dem Church Of Ra-Umfeld  auf ihrem neuen Album „There’s Always Blood At The End Of The Road“ eher der abgefuckten Gesellschaft heutzutage. Das macht sich auch gleich schon in der Kompositionsweise bemerkbar: Während die Vorgänger mehr in klassischer Black-Metal-Tugend im Midtempo und langen Songs verankert waren zum Heraufbeschwören der richtigen Atmosphäre, steigt bereits Opener „FN SCAR 16“ chaotisch und aggressiver als gewohnt ein. Knackige Wadenbeißer mit wilder, frischer neuer Energie gibt uns „There’s Always Blood At The End Of The Road“ hauptsächlich, denn wo das starre Konzeptkorsett der Trilogie noch etwas beengend war, sind WIEGEDOOD mittlerweile freier darin, sich musikalisch ausleben zu können und gleichzeitig mächtig angepisst.

WIEGEDOOD sind zum einen so angepisst und zum anderen so frei unterwegs wie nie zuvor

Klar, nicht touren können und dazu gezwungen zu sein, die angestaute Energie und Wut irgendwo rauszulassen, kann sich nur positiv für das Album ausgewirkt haben. Doch auch alte Tugenden wie hin und wieder Post-Einflüsse in Form von (arg schiefen) akustischen Zwischenspielen, Ambientpassagen oder sonstigem sind immer noch vorhanden. Nur halt nicht mehr als Hauptaugenmerk der Songs. Übertrieben gesprochen haben bereits die ersten drei Songs mehr Riffs in Petto als die letzten drei Alben. Wenn „And In Old Salamano’s Room, The Dog Whimpered Softly“ nach anfänglichem harschem Black Metal in der Mitte fast in Doom-Gefilde abgestoppt wird, darüber sich noch ein simples Solo legt und am Ende dann mit verstörenden Sprachsamples endet, ist das mehr „Aufregung“ als jegliches voriges Material der Band verkraftet hätte, geht hier aber überraschend gut auf.

WIEGEDOOD wird der Wandel hier locker abgenommen, wir sind nicht mehr im schwelgenden, elegischen, kurzzeitig ausbrechenden Black Metal der vergangenen Tage, das hier atmet mehr BATHORY-Anfänge als GORGOROTH oder ULVER. Die Attitüde ist eher punkig, aggressiv, schnell und ohne Kompromisse auf den Punkt kommend. Auch ein „Noblesse Oblige Richesse Oblige“ hat mehr etwas von Black/Thrash-Attacken solcher Bands wie DESASTER oder AURA NOIR als dem früheren, eher skandinavischer Prägung beeinflussten Black Metal der zweiten Welle, der rein soundtechnisch eher für WIEGEDOOD’s vorige Musik Pate gestanden hat.

„There’s Always Blood At The End Of The Road“ – mehr Mix aus frühen VENOM und BATHORY mit Charles Bukowski-Verschnitt anstatt Zweite-Welle-Schwarzstahl-Naturromantik

Das ist allerdings auch nicht komplett weg, aber wird heuer anders kanalisiert. Am ehesten sind noch Songs wie „Until It Is Not“ mit den eher elegischeren Gitarren und weniger Prägnanz dran am „alten Sound“ der Band. Der Post-Black ist auf dem folgenden „Now Will Always Be“ auch noch da, aber er kommt halt nur noch stückig vor, nicht ausgewalzt auf Länge und stimmungsmäßig übers ganze Album und wird etwa mit Elementen wie dem Kehlkopf-artigen Gesang, der schon auf dem Vorgänger auf „Prowl“ vorkam, kombiniert. Hat ein wenig was von URFAUST, weniger in der eigentlichen Musik als in der meditativen, mantraartigen Wirkung, die diese auslöst.

„Nuages“ ist ein herrlich hässliches kleines Etwas, fängt eigentlich mit dem Ende des Songs an, es gibt dröhnende Flächen, fies umher torkelnde Riffs, aber auch die gewohnte Black-Metal-Attacke mit einem bös-abartigen Ende, was sich zur ganz eigenen Abneigung gegen den guten Geschmack äußerst treffsicher zusammen braut. Klasse, so experimentiert WIEGEDOOD gekonnt mit vertrautem und neuem Sound um den Effekt musikalischen Schmutzes zu verstärken. „Theft And Begging“ fällt im Anschluss dermaßen hart über einen her, dass der versehentliche Griff zu einer MARDUK-Platte eine gute Ausrede für das Gehörte wäre. „Carousel“ dreht sich ganz dem Namen nach um ein bestimmtes Grundriff, was verschieden ausgeschmückt wird. Passend, aber nach dem wirklich abwechslungsreichem vorausgehenden Material als Abschluss dann ein klein wenig enttäuschend, da relativ gewohntes Material von WIEGEDOOD, aber auch Black Metal insgesamt.

WIEGEDOOD vertonen den persönlichen (oder vielleicht doch kollektiven?) Albtraum

Der kleine angepasste Stilkurs steht WIEGEDOOD überaus gut zu Gesicht: Ein gut gemachtes Stück Black Metal, ein hässliches Stück Musik. Der vertonte Montagmorgen-Kater, Drogenabsturz oder Autounfall. Schlimm anzuschauen oder anzuhören, aber auch irgendwo wieder sinnstiftend im Elend, Leiden als ausstellbare Kunst. Manches Experimentieren tut den Belgiern hörbar gut, die „schwächeren“ Songs auf der Platte wie „Noblesse Oblige Richesse Oblige“ oder „Carousel“ bieten im Prinzip „nur“ mehr vom Altbekannten.

Kollegin Kostudis hat im Review zu „De Doden hebben het goed III“ noch die Gefühle beschrieben, die das Hören des Albums in ihr auslöst, was von einigen Kommentatoren als wünschenswerter gegenüber purer objektiver Beschreibung gesehen wurde.  Nun denn, ich versuche mich auch einmal daran: Wäre ich jemand, der sich gegen den Wind des Lebens gerade selbst angepisst hätte, Job weg, Freundin futsch, Auto kaputt, die Kippe ist in den morgendlichen, eh schon viel zu laschen Kaffee gefallen und auf dem Amt wird mir gesagt, ich müsste doch bitte jenes 38-seitiges Dokument ausfüllen um nicht Insolvenz anmelden zu müssen, wäre mein Kopf am Rauchen von verschiedenen Positionen und Emotionen: Verzweiflung, Wut, Ekel, Verachtung wären nur einige unter vielen.

Wenn dann einem noch wer auf dem Nachhauseweg blöd kommt, schnappe ich mir die nächste Weinglasflasche am Straßenrand, zerdeppere sie und bedrohe mein Gegenüber mit der Scherbe am Hals, was später wahrscheinlich in Gefängnis, darauf Rauswurf aus der Wohnung und dann auf der Straße um Geld betteln enden würde. Das wäre so ungefähr mein Kopfkino zu diesem Album beim Anhören, was im Ausgang dann vielleicht sogar den Titel bestätigen könnte: „There’s Always Blood At The End Of The Road“.

07.01.2022
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