Metallica
Das Schwarze Album auf dem metal.de-Seziertisch

Special

Am 12. August 1991 erschien mit dem selbstbetitelten Album von METALLICA eines der kommerziell erfolgreichsten und wichtigsten Metal-Alben aller Zeiten. Es erschien in einer Zeit des radikalen Umbruchs und sollte vor allem den Grundstein für die Entwicklung des Thrash Metals in den Neunzigern legen. Viele Songs von der Scheibe haben sich auch außerhalb des Metals zu Hits entwickelt. Dabei hat diese Platte auch abseits davon interessante Nummern zu bieten. Deswegen haben wir Markus Endres, Philipp Gravenhorst, Steffen Gruss, Dominik Rothe und Johannes Werner gebeten, sich die einzelnen Songs des Albums genauer anzuschauen.

1. Enter Sandman

Am 29. Juli 1991, also zwei Wochen vor der Veröffentlichung des gesamten Album, lief zum ersten Mal das Musikvideo dieses Songs bei MTV. Es ist ein Statement. Mit einer Länge von 5:32 Minuten ist der Track kürzer als fast alle Songs des Vorgängers „…And Justice For All“. Im Vordergrund steht ein eingängiges Riff, das sich durch den ganzen Song zieht. Allgemein ist der Track viel simpler gehalten. Nieder mit vertrackten, überlangen Songs, die sich auf den musikanalytischen Parametern nicht eindeutig zuordnen lassen wollen. „Enter Sandman“ ist die perfekte konzeptionelle Overtüre zu dieser Scheibe.

Philipp Gravenhorst

2. Sad But True

„Sad But True“ steht auf „Metallica“ an der wohl schwierigsten Position überhaupt. Schließlich folgt der Song auf einen gigantischen Singlehit, der das Album mit einem Paukenschlag eröffnet – und nicht wenige Menschen zum Kauf der Platte bewegt. Doch Hetfield und Ulrich gelingt ein schleppendes, schmetterndes Machtwerk, das gegenüber dem Eröffnungstrack in Sachen Hitfaktor nicht abfällt.

Die Riffs sitzen so arschtight, dass headbangen zur Pflicht wird. Ulrich unterstützt die Gitarrenarbeit mit sackfetten Beats. Dazu zeigt sich Hetfield als gereifter Sänger. Das Rhythmusgespür, das sein Gitarrenspiel schon immer auszeichnet, überträgt er insbesondere in den Strophen so gekonnt auf seinen Gesang wie nie zuvor. Hammett trägt derweil ein knackiges Solo bei, wie es in jeden METALLICA-Hit gehört.

Dominik Rothe

3. Holier Than Thou

Wenn METALLICA-Fans dem „Black Album“ eine Sache vorwerfen, dann den Mangel an Thrash-Riffs. „Holier Than Thou“ ist einer der wenigen Tracks der Platte, der das Verlangen danach zumindest ein bisschen befriedigt.

Natürlich rückt der Song niemals in die Geschwindigkeitsregionen von „Kill ‘Em All“- oder „Ride The Lightning“-Zeiten vor. Aber das krachende Intro und das Mid-Tempo-Riff im Refrain sind zwei Momente, die in ähnlicher Form problemlos auf „Master Of Puppets“ funktioniert hätten. Gleiches gilt für die Gitarrenmelodie im Mittelteil.

Dazu trumpft Hetfield mit einigen seiner besten Textzeilen überhaupt auf. „You lie so much you believe yourself/ Judge not lest ye be judged yourself“ aus der ersten Strophe ist nur ein Beispiel dafür, wie zielsicher der Frontmann seine Aussagen auf den Punkt bringt, ohne in billige Klischees zu verfallen.

Dominik Rothe

4. The Unforgiven

„The Unforgiven“ ist die erste (Halb)Ballade des Albums. Gerade die balladesken Stücke stießen bei Old School Thrashern immer wieder auf Kritik, tausende Fans wandten sich ab. Aber METALLICA trafen eben auch mit diesen eingängigen Songs den Zeitgeist, kamen endgültig im Mainstream an und verkauften millionenfach.

Und das melancholische „The Unforgiven“ überzeugt in vielerlei Hinsicht. Waren die bisherigen Balladen von METALLICA in der Struktur mit hartem Refrain mit verzerrten Gitarren, welcher einer ruhigeren melodischen Strophe folgt, aufgebaut, ist es nun genau umgekehrt. Riffing und Gesangsmelodie werden zusammengeführt, gemeinsam mit der bestechenden Simplizität, dem deutlich melodischeren, einfühlsamen Gesang von James Hetfield, der enorm viel Emotionalität transportiert, eine neue Entwicklung im Schaffen von METALLICA. Gerade die in der nuancierten Stimme sowie dem Text durchschimmernde Melancholie und tiefe Bitterkeit sorgen zusammen mit dem gefühlvollen Gitarrensolo für enorm viel Gänsehaut. „He tries to please them all, this bitter man he is“ – das geht unter die Haut, Singlehit hin oder her!

Markus Endres

5. Wherever I May Roam

„Wherever I May Roam“ werde ich immer mit der Tour „Wherever We May Roam“ in Verbindung bringen – ich hatte das Glück, damals eines der Konzerte zusammen mit meinem Vater in Stuttgart besuchen zu dürfen. Wann immer ich das Lied anhöre – die Erinnerung an das Konzert kommt wieder, ebenso wie beim damaligen Opener „Enter Sandman“. Ein prägender Moment meiner Jugend.

Der klar strukturierte Song, der inhaltlich vom Tourleben handelt, ist so typisch für das schwarze Album. Unglaublich wuchtiger Sound, arschtight und schwer groovend, effektives, prägnantes Riffing, eingängige Melodielinien, Mitsing-Refrain, und James Hetfield ganz groß bei Stimme! Und bei aller makellosen Zugänglichkeit ist der Ohrwurm „Wherever I May Roam“ dennoch kraftvoll zupackend. Unsterblicher Klassiker!

Markus Endres

6. Don’t Tread On Me

Dass METALLICA mal aus dem Musical „West Side Story“ zitieren würden, hätte vor „Don’t Tread On Me“ wohl niemand gedacht. Und doch passiert es im Intro dieses Songs, für das sich die Band eine kurze Melodiephrase aus dem Track „America“ ausleiht.

Doch ist das nicht das Einzige, was hier irritiert. Nachdem METALLICA auf ihren vorherigen Alben klare Anti-Kriegs-Songs wie „One“ oder „Disposable Heroes“ zum Besten gaben, heißt es in „Don’t Tread On Me“ plötzlich: „To secure peace is to prepare for war.“

Hetfield selbst gibt an, dass der Song als Gegenpol zur massiven Kritik, die er in früheren Texten an dem Leben in den USA geübt hat, zeigen solle, dass es trotzdem der beste Ort zum Leben sei. Diese seltsam-widersprüchliche Message außen vorgelassen, bleibt der Track dank seines Ohrwurm-Refrains hängen. Die Klasse der großen Hits des „Black Album“ erreicht er aber nicht.

Dominik Rothe

7. Through The Never

Gemeinsam mit Stücken wie “Holier Than Thou” und “The God That Failed” stellt “Through The Never” eines der letzten Relikte der Thrash-Vergangenheit dar. “Through The Never” ist inmitten der omnipräsenten Neuausrichtung der Band sogar das oldschooligste Stück. Der im METALLICA-Katalog eher unterrepräsentierte Song zeichnet sich durch ein tolles Schädelspalter-Riff aus den Fingern von Kirk Hammett aus und kommt insgesamt wie eine etwas gezähmte Version eines “… And Justice For All”-Songs rüber. Dem Songs fehlt demgegenüber aber nicht nur das Verspielte jener Ära, sondern auch die aufregende Hörerfahrung, niemals zu wissen, was als nächstes passieren wird. Insgesamt eines der Stücke zweiter Reihe, über die man sich beim METALLICA-Hören eher freuen kann. Das dürften sich auch TRIVIUM gedacht haben, die 2006 mit “Unrepentant” eine gelungene Riff-Hommage schrieben.

Für den Verfasser dieser Zeilen war “Through The Never” zudem der erste echte Riff, der erste echte Metal-Song, den er bei Papa im Alter von fünf gehört hat. Auf einem schmuddeligen Tape, auf einem noch schmuddeligeren Kasettenrecorder. Good times.

Johannes Werner

8. Nothing Else Matters

„Nothing Else Matters“ ist das größte Novum des Albums. Sicher, METALLICA waren schon nach „Kill ‚Em All“ nicht mehr die erbarmungslose Geschwindigkeitsmaschine. Intros mit Akustikgitarren fanden regelmäßig den Weg auf ihre Platten und mit „Fade To Black“ sowie „Welcome Home (Sanitarium)“ haben sich die Bay-Area-Thrasher auf das Feld der Ballade vorgewagt. Doch das war neu: Der sanfte Gesang von James Hetfield, die Streicherbegleitung und vor allem der fehlende metalllische Ausbruch. Dieses Stück bietet einen angenehm sentimentalen Text und eine tolle Gitarrenarbeit von Hetfield, der in dieser Hinsicht meistens im Hintergrund steht. Eigentlich ist es ein ziemlich schönes Lied, wenn es doch nicht bloß so ein Hit geworden wäre.

Philipp Gravenhorst

9. Of Wolf And Man

Dieses stampfende Biest gehört ebenfalls in die Kategorie Songs, die zwischen der großen Anzahl an Hits auf dem „Black Album“ oft sträflich übersehen wird. Immerhin schaffte es der Song während der gewaltigen Tour zum Album häufiger in die Setlist. Unter anderem nachzuhören auf der legendären „Live Shit: Binge & Purge“ beim Auftritt in Mexico City von 1993. Auch auf der ersten „S&M“ kam der Song zu verdienten Ehren. Abgesehen davon, ist er leider eher selten in der Setlist anzutreffen.

Nach dem fiesen Intro-Riff bellt James Hetfield: „Off Through The New Day’s Mist I Run,/ Out From The New Day’s Mist I have Come,/ I Hunt,/ Therefore I am,/ Harvest The Land,/ Taking Of The Fallen Lamb“ und macht damit klar, wer hier das Alphatier ist. Hier klingt er tatsächlich wie der große böse Wolf, vor dem man sich besser in Acht nimmt. Im Text geht es um die Rückkehr zu den Wurzeln der Natur und dem inneren Tier. Verpackt wird das Ganze in lykanthropische Formulierungen über den Menschen, der sich wieder in seine wilde Form zurückverwandelt. Diese Metapher wird musikalisch passend untermalt von den Gitarren, die so schneidend klingen wie ein frisch geschärftes Jagdmesser. Seine Hymne an die wilde Natur untermauert Hetfield in den gesprochenen Zeilen: „In Wildness Is The Preservation Of The World,/ So Seek The Wolf In Thyself“.

Steffen Gruß

10. The God That Failed

Ebenfalls in die Kategorie der Setlist-Raritäten fällt „The God That Failed“. Dieser düstere Brecher ist nach „Sad But True“, der vielleicht fetteste Brocken des Albums. Ganz im Spirit von „Leper Messiah“ von „Master Of Puppets“ spuckt Hetfield hier Gift und Galle gegen religiöse Verblendung und ihre Folgen. Hetfield ist bekanntermaßen in der religiösen Gemeinschaft „Christian Science“ aufgewachsen, der seine Eltern angehörten. Diese Gemeinschaft lehnt medikamentöse Hilfe bei Krankheiten ab, da diese aus deren Sicht durch den Glauben an Gott geheilt werden müssen. Diese Verweigerung von ärztlicher Hilfe erschwerte die Krebserkrankung seiner Mutter und als sie starb, sah James die Schuld bei ihrem Glauben. Im Song wettert er über das gebrochene Versprochen eines gescheiterten Gottes in Textzeilen wie „Broken Is The Promise, Betrayal,/ The Healing Hand Held Back By The Deepened Nail,/ Follow The God That Failed“. Seine Wut und sein Frust sind in diesen Zeilen deutlich spürbar.

Eingeleitet wird diese zornige Anklage durch ein drohendes Intro von Schlagzeug und Bass. Wenn dann anschließend die krachenden Gitarren einsetzen, wird man durch die Wucht fast zu Boden gedrückt. Hier geht nur headbangen oder untergehen. Hetfield selbst beschreibt den Song treffend als: „Very Nice… Slow, Heavy And Ugly“.

Steffen Gruß

11. My Friend Of Misery

Es ist allgemein bekannt, dass Bassist Jason Newsted in seiner Zeit bei METALLICA lediglich an drei Stücken mitwirken durfte. Bei “My Friend Of Misery” ist das durch das prägnante, wunderschön stimmungsvolle Bass-Intro gut hörbar. Ursprünglich war der Song von Newsted als längeres Instrumental konzipiert. In der Tat: Versucht man sich Hetfields Gesang wegzudenken, schließt die Nummer logisch an die früheren Epen “Orion” und “To Live Is To Die” an.

Es kam anders; James Hetfield beschloss, dem Song doch noch Gesang und Text hinzuzufügen. Somit entsteht ein Song, der den ’91er-Zeitgeist sowohl allgemein als auch im METALLICA-Kontext gut einfängt – eine getragene, stimmungsvoll-melancholische Nummer mit gelungenem Text und schönem Hetfield-Hammett-Doppelsolo. Lediglich der Refrain wirkt 30 Jahre später immer noch so, als hätte er eigentlich in einen anderen Song gehört. Dennoch gilt: Nach “Dyers Eve” vom Vorgänger der unterbewertetste METALLICA-Song überhaupt.

Johannes Werner

12. The Struggle Within

Ihr erfolgreichstes Album überhaupt beschließen METALLICA mit einem Song, der im kollektiven Metal-Gedächtnis zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist. „The Struggle Within“ mag zwar nicht als Radiohit taugen. Aber genau deswegen stellt er ein Highlight der Platte dar.

Zum vielleicht einzigen Mal auf dem „Black Album“ zeigen METALLICA genau die Art von vorpreschendem, energetischem Riffing, für das ihre Fans sie seit den Anfangstagen lieben. Natürlich trotzdem geschliffen und glattgebügelt ohne Ende, aber eben auch straight, schnörkellos und mitten in die Fresse.

Ulrichs These, dass das „Black Album“ aufgrund des reduzierteren Songwritings viel näher an „Kill ‘Em All“ sei als alle zwischenzeitlichen Veröffentlichungen der Band, lässt sich anhand von „The Struggle Within“ am ehesten nachvollziehen – auch wenn sie natürlich trotzdem grober Unfug bleibt.

Dominik Rothe

12.08.2021
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