Metallica
“S&M 2” – Die Detailanalyse

Special

Bei jedem Projekt, das METALLICA nach ihrem selbstbetitelten ’91er-Millionenseller in die Wege geleitet haben, konnte man sich im Grunde die Frage stellen, ob die Jungs sehr mutig oder ein bisschen dämlich sind. Im besten Fall beantworten die Resultate ihrer Vorhaben selbst diese Frage. So auch im Fall des Haute-Couture-Events “S&M 2”. Die ursprüngliche “S&M”-Liveplatte mit Orchesterbegleitung hat gewiss einige Fans vor den Kopf gestoßen und wenige werden sie für DIE Veröffentlichung von METALLICA schlechthin halten. Dennoch gibt es eine große Zahl unermüdlicher TALLI-Maniacs, die nahezu alles verehren (und kaufen), was der San-Francisco-Vierer ihnen so vor den Latz knallt. Gleichermaßen wird es sich weitläufig mit der Jubiläumsauflage “S&M 2” verhalten haben. Die Anzahl derer, die bei der Ankündigung der neuen Orchesterkollaboration Freudensprünge gemacht haben, wird sich stark in Grenzen halten. Doch gerade angesichts des vielen Lamentierens innerhalb der eigenen Fanschar, ist METALLICA selbstverständlich Mut in Bezug auf ihre Ideen zu unterstellen. Oder wie der musikalische Leiter des Orchesters Michael Tilson Thomas es auf der DVD ausdrückt: “Not only do they have the chance to do it – they have the guts and the spirit to do this.”

James Hetfield & Lars Ulrich

Dementsprechend bleibt festzuhalten, dass METALLICA ohnehin nicht bekannt dafür sind, Erwartungen der Fans gezielt erfüllen zu wollen. Und ja, sie tun oft Dinge, einfach weil sie es können – aber warum nicht? Nicht jede Idee zündet vielleicht in den Augen der Mehrheit, doch ist es ausdrücklich zu begrüßen, wenn es so gelingt, einige künstlerische Grenzen auszuweiten, was immerhin ein ursprünglicher Sinn von Rockmusik ist. Das macht die einen glücklich, weil sie sich über alles freuen, was kein zweites “Lulu” ist (das einzig nachhallende Verbrechen der jüngeren METALLICA-Historie, das auch in weiser Voraussicht hätte verhindert werden können und müssen); und die anderen, weil sie genüsslich über alles lästern, was nicht nach “Kill ’em All” bis “… And Justice For All” klingt. Aber seien wir mal ehrlich: Es ist viel zu leicht, der Band einen 17 Jahre alten Drumsound in gebetsmühlenartiger Gehässigkeit vorzuhalten. Deshalb soll an dieser Stelle versucht werden, den Eigenwert von “S&M 2” differenziert zu ergründen. Auch wenn dies eine Herausforderung darstellt, hüpfte der Autor dieser Zeilen doch vor zwanzig Jahren jeden Tag mit grober Euphorie aus der Grundschule, um Papas frisch erworbene “S&M”-Doppel-CD voll aufdrehen und der (aus Sicht eines etwa Siebenjährigen) größten und besten Band aller Zeiten huldigen zu können. Nur um einige Jahre später mit etwas mehr Kenntnis und Erfahrung festzustellen, dass METALLICAs erste Orchester-Liveplatte weder in Bezug auf Orchesterkollaborationen noch in Bezug auf Livealben oder in Bezug auf METALLICA insgesamt das Nonplusultra war …


Was konnte “S&M” im Jahre 1999?

Die erste “S&M”-Doppelscheibe war ein ambitioniertes, doch nicht vollends geglücktes Projekt. Man muss METALLICA und ihrem damaligen Chefdirigenten Michael Kamen (inzwischen leider verstorben) zugute halten, dass sie sich für eine Setlist entschieden, die nicht ausschließlich auf Ausschlachtung der kommerziell erfolgreichen und eher ruhigen Songs beruhte, sondern auch Songs der Marke “Battery” und “Master Of Puppets” beinhaltete. Mit dem eigens für die Aufführung komponierten “No Leaf Clover” enthielt das Album gar einen ihrer besten Songs aus den Neunzigern. Warum also hat “S&M” so viele kritische Reaktionen einfahren müssen?

James Hetfield

Eine erste Möglichkeit, diese Frage zu beantworten, könnte in dem Umstand begründet liegen, dass die Kombination METALLICA und Sinfonieorchester für außenstehende Ohren erstmal schlechter klingt als für die Band selbst. Klar, METALLICA hatten in den Achtzigern überlange Songs mit verschiedenen Parts und Dynamiken, ohnehin stand Ur-Bassist Cliff Burton enorm auf Johann Sebastian Bach. Allerdings ist das klangliche Gesamtbild, mit dem sie zuforderst identifiziert werden doch eher durch Rock ’n‘ Roll und einem gewissen Straßenkötergeist geprägt, als durch Pomp und Bombast. Hetfield & Co. schienen das anders zu sehen, wiederholten sie doch jedem, der es hören wollte, dass METALLICA und klassische Musik quasi zwei direkt aneinander anknüpfende Wegpfeiler der westlichen Musikgeschichte seien. Dirigent Michael Kamen stieß prinzipiell in das gleiche Horn – kann man alles so sehen, muss man bei Licht betrachtet aber nicht.

“S&M” – unterhaltsam? Ja. Aber METALLICA?

Nichtsdestotrotz sei die steile These aufgestellt, dass die Kombination dennoch besser hätte funktionieren können, denn das Orchester als solches war nicht das Problem von “S&M”. Vielmehr sorgte Kamen für zwar handwerklich sehr geschickte, aber ohne Wenn und Aber überambitionierte Orchesterarrangements, die den ursprünglichen Songs viel zu viel Zusatz überstülpten und sie stellenweise in beliebig klingendes Notenflirren entschweben ließen, was innovative Ansätze oft ad absurdum führte. Ja, möglicherweise war Kamen etwas zu sehr daran gelegen, den Songs “seine” Identität mitzugeben; vielleicht lag es aber auch an der ohnehin experimentellen Natur der Sache.

Lars Ulrich

Die sinfonische Chose funktionierte jedenfalls bei einigen Songs (so zum Beispiel “The Call Of Ktulu”, “The Memory Remains”, “Hero Of The Day”) und riss andere völlig neben die Spur, indem sie künstlich und geradewegs am originalen Charme vorbei aufgeblasen wurden (“Master Of Puppets”, “Until It Sleeps” oder “One” beispielsweise). An manchen Stellen wirkten Band und Orchester nicht hundertprozentig aufeinander eingespielt. Zudem waren Audio-Mix und Bühnendesign – zumindest aus heutiger Sicht – kritikwürdig. Auf dem kurz vorher erschienenen audiovisuellen Live-Mitschnitt “Cunning Stunts” gelang es der Band jedenfalls deutlich besser, sich in Szene zu setzen. Wenngleich sicherlich anzumerken ist, dass sich 2020 andere technische Möglichkeiten bieten als 1999. Unterhaltsam ist “S&M” aber auch nach zwanzig Jahren noch, zumindest für die Aufgeschlossenen.

METALLICA und das Orchester-Revival: Wie gut ist “S&M 2”?

Bereits ein Blick aufs Äußere zeigt, dass METALLICA Kontinuität zur ersten “S&M” herstellen wollen. Der Einstieg mit dem obligatorischen “The Ecstasy Of Gold”-Intro aus der Feder des kürzlich verstorbenen ENNIO MORRICONE und dem langen Instrumental “The Call Of Ktulu” ist deckungsgleich. Zudem wird mit dem tollen “No Leaf Clover” ein eigens für die Urversion geschriebener Song erneut aufgeführt (auf das ebenfalls 1999 exklusiv geschriebene “-Human” verzichtet die Band jedoch). Allerdings weicht der seinerzeit aktuelle “Load”/“Reload”-Schwerpunkt der Setlist heuer einigen neueren Songs – und einem eigenen, wenn auch recht kurzem Non-METALLICA-Block.

Rob Trujillo

Der neue Dirigent Edwin Outwater hat den Original-Partituren von Michael Kamen eine Frischzellenkur verpasst, die den Songs hörbar zugute kommt. Zumindest spielen Band und Orchester wesentlich näher beieinander. Der Eindruck könnte auch durch den nunmehr viel besseren Sound entstehen. Bei “The Call Of Ktulu” und dem anschließenden “For Whom The Bell Tolls” sitzen die Orchestersätze richtig gut. Beide gehören auch zu den METALLICA-Nummern, deren Dramatik sich tatsächlich für ein erweitertes Arrangement eignet. Aus irgendeinem Grund wird sogar “The Memory Remains” ein lieb gewonnenes Kleinod der nicht immer legitim verteufelten Neunziger-Ära, das sofort ansteckt. Überraschend gut funktionieren überdies “Moth Into Flame” und das inzwischen dynamischere klingende “Confusion” vom letzten Album “Hardwired … To Self-Destruct” – unter anderem, weil Outwater hier etwas reduzierter vorgegangen ist als sein Kollege Michael Kamen.

Welche Gimmicks erwarten uns auf “S&M 2”?

METALLICA wären nicht METALLICA, wenn sie zwei Mal exakt das Gleiche tun würden und so finden sich zahlreiche neue Features auf “S&M 2”. Bereits erwähnt wurde ein Orchester-Block in der Setlist. Wohl um zu beweisen, wie unfassbar verwandt METALLICA und klassische Musik miteinander sind, spielt das Orchester zuerst ohne Band SERGEJ PROKOFJEWs“The Scythian Suite, Op. 20 II: The Enemy God And The Dance Of The Dark Spirits”. Die Performance ist exzellent und sicher war es beim Konzert selbst ein besonderer Moment, doch stört es den Fluss auch durch seine relativ langen Ansagen von Lars Ulrich und Orchesterleiter Michael Tilson Thomas zumindest in der CD-Fassung erheblich. Im Anschluss performen Band und Orchester gemeinsam ALEXANDER MOSSOLOWs “The Iron Foundry, Op. 19”. Ebenfalls eine gut gemeinte Idee, die den Beteiligten sichtbar Spaß macht, jedoch auch einiges abverlangt. Das Band-Arrangement hierzu ist relativ unspektakulär, da METALLICA es augenscheinlich nicht gewohnt sind, sich an das Orchester anzugleichen und direkte Klassik-Adaptionen eine Ausnahme in ihrem Schaffen einnehmen. Dass Vergleichbares funktionieren kann, bewiesen zum Beispiel MEKONG DELTA unzählige Male. In der METALLICA-Form wirkt es ein bisschen plump.

Kirk Hammett

Mutig ist außerdem, nach dem gut inszenierten “The Unforgiven III” den Song “All Within My Hands” zu präsentieren. Glatt könnte man denken, abermals ein exklusiv komponiertes Stück zu hören – als ob irgendjemand “St. Anger” jemals bis zum letzten Lied durchgehalten hat … Selbigem Song wurde allerdings ein komplett neues, nach Saloon und Swing klingendes Unplugged-Gewand verpasst, das ziemlich cool ist. Zuletzt ist da noch die denkwürdige Darbietung des Basssolos “(Anesthesia) – Pulling Teeth” durch Kontrabassist Scott Pingel, selbst langjähriger Cliff-Burton-Fan. Ein rührender wie auch beeindruckender Moment, denn Pingel gelingt eine ziemlich exakte Reproduktion des Originals. Stimmig und rund abgeschlossen wird das Set von fünf unverzichtbaren Klassikern, nämlich “Wherever I May Roam”, “One”, “Master Of Puppets”, “Nothing Else Matters” und “Enter Sandman”. Leider wurde in der aktuellen Fassung von “One” nicht darauf verzichtet, den stimmungsvollen Minimalismus des Original-Intros durch einen unkoordiniert wirkenden Streicher-Einsatz gleich am Anfang zuzukleistern, was in der 1999er-Auflage schon störte. Der eine oder anderer in dieser Form bisher nicht präsentierte Klassiker wäre auch interessanter gewesen, als das leider immer noch zähe “The Outlaw Torn”.

“S&M 2” – Das Fazit

Der Rahmen von “S&M 2” ist stimmig und merzt die gröbsten Schönheitsfehler des ersten Teils aus. Das Bühnenbild ist eindrucksvoll, Licht und Videoprojektionen funktionieren auch auf dem Bildschirm hervorragend und der Sound ist wirklich gut. Man hat sich daran gewöhnt, dass die visuelle Ästhetik einer METALLICA-Show nur noch wenig mit einem Heavy-Metal-Konzert gemein hat. Zudem werden Spielfreude und Tightness bei METALLICA im Alter tatsächlich wieder besser: Hetfield singt besonders gut und steht ohnehin über den Dingen, Ulrich spielt weitgehend sauber und zieht wenig Aufmerksamkeit auf sich. Trujillo beweist mit stoischer Gelassenheit seine Wichtigkeit für die Band anno 2020 und Kirk macht … nun ja, er macht eben Kirk-Dinge, ist aber dabei ziemlich liebenswert. Erwähnenswert ist, dass die beiden Shows 2019 im Rahmen der Eröffnung des Chase Centers in San Francisco stattfanden. Die neue Sportarena passt sehr gut zum Setting und bietet vielseitige Möglichkeiten, ein Event dieser Größenordnung visuell zu unterstützen. In diesem Bereich ist der Band anzumerken, dass sie stets anstrebt, wertige Produkte zu präsentieren. Dementsprechend hätte man der DVD zwar etwas mehr “Behind The Scenes”-Material spendieren können, als sechs Minuten Lobhudelei der Protagonisten auf sich selbst, doch insgesamt ist “S&M 2” eine runde Sache. Wer METALLICA mit Orchester von Anfang an für eine schlechte Idee hielt, sollte sich erneut fernhalten. Wer Rock-Entertainment im großen Stil mag und von ihnen alle Experimente akzeptiert, solange sie nur durchdacht umgesetzt werden, kann daher mal Augen und Ohren riskieren.

Zu erwerben gibt es “S&M 2” in den Formaten:

– Deluxe Box (Limited Edition 4LP farbiges Vinyl, exklusives Fotobuch, 2CDs, Blu-ray, Notenblatt, fünf Gitarrenpicks, Poster, Download-Code)
– Schwarzes 4LP Set mit Fotobuch und Download-Code
– Farbiges 4LP Set mit Fotobuch und Download-Code (exklusiv im Indie-Handel)
– 2CD Set mit 36-seitigem Booklet
– 2CD/Blu-ray Set mit 36-seitigem Booklet
– 2CD/DVD Set mit 36-seitigem Booklet
– Blu-Ray
– DVD
– Digitales Album
– Digitaler Film

Tracklist:

  1. The Ecstasy Of Gold (ENNIO-MORRICONE-Cover)
  2. The Call Of Ktulu
  3. For Whom The Bell Tolls
  4. The Day That Never Comes
  5. The Memory Remains
  6. Confusion
  7. Moth Into Flame
  8. The Outlaw Torn
  9. No Leaf Clover
  10. Halo On Fire
  11. Intro To Scythian Suite
  12. Scythian Suite, Op. 20 II: The Enemy God And The Dance Of The Dark Spirits (SERGEJ-PROKOFJEW-Cover)
  13. Intro To The Iron Foundry
  14. The Iron Foundry, Op. 19 (ALEXANDER-MOSSOLOW-Cover)
  15. The Unforgiven III
  16. All Within My Hands
  17. (Anesthesia) – Pulling Teeth
  18. Wherever I May Roam
  19. One
  20. Master Of Puppets
  21. Nothing Else Matters
  22. Enter Sandman
  23. Behind The Scenes – Making of the Show
  24. All Within My Hands Promo
Quelle: Blackened Recordings / Oktober Promotion / Fotos: Anton Corbijn
13.09.2020

Redakteur | Koordination Themenplanung & Interviews

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