Turisas
Listening-Session zu "Stand Up And Fight"

Special

Nachdem die Waräger über Ostsee, Newa und Ladogasee und von dort weiter über Lowat, Dwina und Dnjepr bis nach Miklagard gereist waren, landeten sie in Iserlohn. Oder so ähnlich. Jedenfalls bietet diese Stadt im Sauerland mit der Dechenhöhle eine interessante Kulisse für die Vorstellung des dritten Albums der finnischen Metal-Kämpen TURISAS. Mit Mathias „Warlord“ Nygård und Olli Vänskä sind extra zwei Bandmitglieder angereist, um der Vorführung beizuwohnen und erste Auskünfte über ihr neues Opus „Stand Up And Fight“ zu erteilen.

Zunächst steht aber für die internationale Fachpresse eine Führung durch ebenjene Tropfsteinhöhle an, in deren Verlauf nicht nur allerlei Spinnengetier gesichtet wird, sondern auch der gefährliche Höhlenbär. Zumindest in Skelettform. Ein weiteres Highlight der Tour: Der Guide, der seine Führung in einem wunderbaren ‚English with German accent‘ bestreitet, spielt auf einem Stalaktitenkamm die französische Nationalhymne. Das Ziel der Führung ist schließlich die Kanzelgrotte, in deren majestätischer Umgebung den Pressevertretern erstmals „Stand Up And Fight“ in die Ohren geblasen wird. Allerdings bedeutet das auch rund eine Stunde bei den ganzjährig in der Höhle herrschenden 10 Grad auszuharren, was für Mitte November recht frisch ist. Insofern hofft jeder der Anwesenden, dass die Musik ordentlich einheizen wird.

Studiotechnisch hat das Sextett aber nichts anbrennen lassen: Aufgenommen wurde „Stand Up And Fight“ zwischen März und September 2010 im Sound Supreme Studio in Hämeenlinna, Finnland, wo die Band bereits ihr Vorgängerwerk „The Varangian Way“ eingespielt hat. Die Bänder gingen zum Mixen dann weiter zu Jens Bogren in die Fascination Street Studios nach Örebro, und als Ergebnis steht ein voluminöser Sound, der in der Tropfsteinlandschaft unter Tage nicht an Größe verliert.

Thematisch ist „Stand Up And Fight“ lose mit dem Vorgängerwerk verbunden: Die Waräger sind in Konstantinopel angekommen und in den Dienst des Kaisers getreten. Zwar bildet das Byzantinische Reich des 11. Jahrhunderts die Kulisse für die Texte, aber es wird keine durchgehende Geschichte erzählt. Die Texte sind universeller gehalten, und auch wenn sie in einem historischen Rahmen erscheinen, können sie auch auf moderne Zeiten übertragen werden. Dann ab in die Gegenwart und mitten hinein in „Stand Up And Fight“.

„The March Of The Varangian Guard“ ist der perfekte Opener mit heroischen Chören, Pauken und Trompeten. Breite Orchesterparts ergänzen den klaren Gesang. Nach einem instrumentalen Zwischenteil setzt Breitwand-Epik ein, und die Warägergarde stimmt einen Chorus an, den jeder mitsingen kann.

„Take The Day!“ beginnt mit Trompeten, aus denen sich ein stampfender Rhythmus schält. Breites Midtempo ist angesagt, die Krieger um Warlord Nygård setzen sich in Bewegung, während er mit narrativer Stimme die Rahmenhandlung vorgibt. Plötzlich spannt er seine Stimmbänder an, ein mächtiges Stampfen gesellt sich hinzu, dann ein Bassbreak und kaskadenhaft ineinander geschachtelte Engelsstimmen. Spätestens hier zeigt sich, dass TURISAS diesmal stark an der Orchestrierung gefeilt haben. Das Stück endet mit einem Instrumentalteil.

„Hunting Pirates“ ist der Piratensong des Albums, aber in der Eingangsszene auf dem Markt mit Chören, Geigen, Singen und Ausgelassenheit ist noch nicht recht klar, ob die Piraten die Jäger oder die Gejagten sind. Nach zwei Minuten setzt ein langsamer Instrumentalteil ein, der in ein Solo mündet.

„Venetoi! – Prasinoi!“ setzt ein mit Fanfaren und einem schnellen Rhythmus. Das Stück erinnert in den instrumentalen ersten zwei Minuten in seiner Schichtung an Filmmusik. Die beiden rivalisierenden Fraktionen, die Blauen und die Grünen, erscheinen auf der Bildfläche. Immer wieder ertönen Schlachtenrufe, dann das Durchzählen der beiden Teams.

Der Titelsong „Stand Up And Fight“ beginnt im schweren Midtempo, bis der Warlord nach einer halben Minute einen Erzählteil einschiebt. Das Stück bietet reichlich Bombast im Refrain, aber nach dem ersten Höreindruck noch nicht das erwartete Hitpotential. Das kommt wahrscheinlich später.

„The Great Escape“ variiert die bekannten Zutaten geschickt: Zunächst ein Riff, ein stampfender Rhythmus und giftige Vocals. Dazu gibt es knusprige Gitarren und musicalartigen Gesang. Nach einem straighten Zwischenpart setzen Fanfaren und Chöre ein, bis ein Break mit Trommelwirbeln ertönt. Das Stück läuft schließlich in Geigen aus.

Im Kontrast dazu beginnt „Fear The Fear“ mit einem straighten Uptempo-Rhythmus mit Trompetenübermalung. Plötzlich erklingt ein Gitarrenbreak, das ein wenig an den Titelsong eines bekannten Stallone-Boxfilms erinnert. Der Song lebt von seinem langsamen, aber stetigen Spannungsaufbau, der nach fünf Minuten und einem Break im Cinemascope-Bombast endet.

„End Of An Empire“ ist mit über sieben Minuten der längste Song des Albums. Zunächst erklingen sanfter Gesang und Akustikgitarren, immer wieder unterbrochen vom Klavier. Nach anderthalb Minuten steigert sich das Tempo und breite Orchestrierung und Chöre setzen ein. Nach viereinhalb Minuten wechselt das Arrangement in Bläser und verträumte Klavierklänge, während der Warlord raunt: Das Reich steht im Angesicht seines Untergangs, der mit viel Uptempo, Chören und einem monumentalen Ende besiegelt wird.

„The Bosphorus Freezes Over“ ist der Nachhall mit Streichern und Harfe. Der Warlord erzählt, dann setzen Chöre, Gitarre und sanftes Schlagzeug ein. Nach 3:20 setzt ein letztes Mal Breitwandbombast ein, der den Song nicht mehr verlässt.

Keine Frage: „Stand Up And Fight“ ist stark von Filmmusik beeinflusst, und hier besonders von epischen Schinken wie „Ben Hur“ oder „Spartacus“. Allerdings – und da musste ich ein wenig schlucken – kommt immer wieder der Begriff des Musicals in den Sinn, wenngleich TURISAS es verstehen, den aufgefahrenen Bombast nicht ins Kitschige abgleiten zu lassen. Dafür ist „Stand Up And Fight“ einfach zu vielschichtig, und ein gewisses Augenzwinkern ist bei den Finnen auch immer zu erkennen.

Bleibt die Frage, wo eigentlich das Akkordeon geblieben ist, denn immerhin hat die Band nach dem letzten Album mit Netta Skog eine überaus talentierte junge Akkordeonistin angeheuert, die den plötzlich abhanden gekommenen Lisko ersetzte. Dazu Sänger Mathias: „Ich mag den Klang vom Akkordeon, aber er drängt die Musik in eine sehr folkige Ecke. Auf dem Album wollten wir aber eher Klanglandschaften wie bei Filmmusik erschaffen, weswegen wir bei den Aufnahmen auf das Akkordeon verzichtet haben. Live sieht das aber natürlich wieder ganz anders aus.“

Das ist natürlich ein Wort, und schon bald können wir erleben, wie und in welcher Form TURISAS ihre neuen Stücke live präsentieren werden: „Stand Up And Fight“ erscheint am 25. Februar 2011 über Century Media Records, und kurz danach ist die Band in unseren Breitengraden unterwegs, wenn sie DIE APOKALYPTISCHEN REITER auf ihrer „Moral & Wahnsinn Tour 2011“ begleiten wird.

20.12.2010

- Dreaming in Red -

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