Avantasia
"Ist das innovativ? Mir egal, ist geil."
Interview
Mit „Here Be Dragons“ steht das zehnte AVANTASIA-Album an und wir sprachen mit einem gewohnt gesprächigen Tobias Sammet darüber. Dabei verzettelten wir uns und sprachen über sein Frühwerk, seine dreißigjährige Musikkarriere und schwere Abschiede. Es entstand ein interessantes Gespräch, das wir in bester „Wetten, dass..?“-Manier um ein gutes Stück überzogen.
Moin Tobi, ich gratuliere dir zum zehnten AVANTASIA-Album!
Ja, ich werde alt (lacht). Danke, ich habe das gar nicht bemerkt, bis die Plattenfirma das im Promotext erwähnte. Es kommt immer darauf an, wie du es zählst: Wenn du die „Lost In Space“-EPs und das Livealbum dazurechnest sind es mehr, doch es ist die zehnte offizielle Studioplatte. Zählt man die zehn EDGUY-Scheiben hinzu, überrascht es mich, dass ich bereits 20 Platten gemacht habe und trotzdem noch nicht alles gesagt ist. Es gibt natürlich Leute, die sehen das anders und meinten schon beim ersten Output, das sei einer zuviel (lacht).
Es hat mir Spaß gemacht, „Here Be Dragons“ zu schreiben. Ich will das Rad nicht neu erfinden – ich mache die Musik, die mir gefällt. Wenn ich das Resultat höre, habe ich das Gefühl, es klingt anders als die Vorgänger und das ist mit 20 Werken auf dem Buckel nicht selbstverständlich. Zudem ist es besonders, mit 47 Jahren schon 20 Scheiben veröffentlicht zu haben.
Stimmt, bei „The Metal Opera“ warst du erst Anfang 20 und hattest schon sehr viele namhafte Gäste an Bord.
Ich hatte Welpenschutz. Ich glaube, die fanden es lustig, dass jemand in meinem Alter diesen Sound macht und Erfolg damit hat. Wir haben zu der Zeit mit EDGUY Bands wie ANGRA, IRON SAVIOR oder GAMMA RAY supportet. Kai Hansen kannte ich dadurch schon und Timo Tolkki hatte Alben von uns abgemischt. Über viele Umwege kam ich an Michael Kiske ran und wir mochten uns.
Wir waren sehr demütig, auch wenn unser Image in der Öffentlichkeit ein anderes gewesen sein mag. Wir haben die Platzhirsche geehrt und hatten dadurch einen guten Stand. Nach den EDGUY-Alben bis „Theater Of Salvation“ hat mir die Plattenfirma vertraut und gab mir ein Budget, sodass ich die Musiker bezahlen konnte.
Es war die Gnade des frühen Anfangs. Wir waren die Jüngsten und spielten in Clubs, in denen unsere Eltern drangewesen wären, wenn die Polizei gekommen wäre. Wir zockten „Breaking The Law“ und eigene Songs und bis auf den Gesang war das gar nicht so scheiße. Als der Stimmbruch dann hinter mir lag, ging der auch (lacht).
Im Herbst kam „Hic Svnt Dracones“ von DRAGONY, nun kommt „Here Be Dragons“ von AVANTASIA – wisst ihr voneinander?
Ich kenne Siggi Samer [Sänger von Dragony, Anm. d. Red.], aber wir haben nie darüber gesprochen. Der Song „Here Be Dragons“ hätte schon auf „A Paranormal Evening With The Moonflower Society“ stehen können, denn der war schon fast fertig. Geoff Tate hat den schon vor zwei Jahren eingesungen.
Ich habe den Satz auf einer Seekarte entdeckt und dachte, das klingt gut. Es geht bei dem Titel um unerforschtes Gebiet, wo keiner weiß, was sich dort befindet. Es ist das erste Mal, dass ich ein AVANTASIA-Album anders angegangen bin, nämlich ohne vorher einen Plot zu schreiben. Ich wollte Songs ohne festen Rahmen schreiben. Ein Konzeptalbum kann inspirieren, aber auch einschränken. Ich habe mir gesagt, ich schreibe trotzdem ein AVANTASIA-Album und die Songs geben trotzdem eine Einheit ab ohne, dass sie miteinander verwoben sind.
Ich kenne das von EDGUY, aber für AVANTASIA war mir das unbekannt. Doch es klang nach Abenteuer und darum habe ich „Here Be Dragons“ als Albumtitel gewählt.
Man muss ja auch mal ein Power-Metal-Album mit Drachen machen – das gehört dazu.
Das habe ich 30 Jahre versucht zu vermeiden (lacht). Die Metal-Drachen-Gilde ist steilgegangen, als der Titel bekannt war und freute sich, dass es ein Konzeptalbum über Drachen gibt, doch sie werden enttäuscht sein, wenn rauskommt, dass es nur eine schöne Metapher ist.
Das Cover finde ich auch sehr gelungen.
Ja, das ist eine Spitzenarbeit von Rodney Matthews. Ich wollte ein Cover haben, das nicht dem Zeitgeist entspricht. Ich meinte zu Rodney, ich möchte seine Idee eines Drachen mit gespreizten Flügeln haben. Es sollte in Briefmarkengröße für die ganzen Streamer zu erkennen sein, aber auch auf Vinyl gut aussehen. Rodney kam mit seinem Entwurf an und manche würden ihn ewiggestrig oder zeitlos nennen, aber er war genau das richtige für mich.
Die erste Assoziation war zusammen mit „Bring On The Night“, dass es ein lautes MAGNUM-Tribut ist.
Ja, wir kannten uns lang. Als Bob Catley das erste Mal bei AVANTASIA sang, waren MAGNUM noch nicht wieder aktiv, doch als er dann zu „The Scarecrow“ wiederkam, war Tony Clarkin skeptisch, weil er ein Kontrollfreak und Bandleader war. Doch er hat mich ins Herz geschlossen, weil er merkte, dass AVANTASIA Türen für MAGNUM geöffnet haben und sie dort spielten, wo Bob durch AVANTASIA bekannt wurde.
Ich bin ein riesiger MAGNUM-Fan. Rodney rief mich an, um mir die schreckliche Neuigkeit mitzuteilen. Wir sprachen zwei Stunden und innerhalb dieses Gesprächs fragte ich ihn – auch, wenn das vielleicht unpassend war – ob er ein Artwork für uns macht. Das war nicht geplant! Er meinte, eigentlich macht er das nicht mehr, aber es wäre ihm eine Ehre, ein weiteres AVANTASIA-Cover zu entwerfen.
„Bring On The Night“ kam im Sommer vergangenen Jahres aus dem Nichts zu mir. Ich habe beim Fußballgucken Klavier gespielt und der war innerhalb von fünf Minuten da. Mir war sofort klar, dass das ein MAGNUM-Song ist. Das ganze Album ist kein kompletter MAGNUM-Tribut, aber unterbewusst beeinflusst einen immer das, was einen gerade beschäftigt.
Diese Endgültigkeit, dass ich nie wieder aus dem Plattenladen ein neues MAGNUM-Album nach Hause tragen und zum ersten Mal auflegen kann hat Spuren hinterlassen und wehgetan. Das habe ich in „Bring On The Night“ verarbeitet ohne, dass der Text explizit an Tony gerichtet ist.
Die MAGNUM-Alben, die du hören musst sind „On A Storyteller’s Night“, „Vigilante“, „Wings Of Heaven“ und auch „Goodnight L.A.“ ist großartig, auch wenn viele Fans das anders sehen. „Sleepwalking“ hat auch tolle Nummern. Nach der Reunion finde ich „Princess Alice And The Broken Arrow“ am besten.
Dass Bob Catley „Bring On The Night“ singt ist klar, doch wie wählst du ansonsten deine Featuregäste aus?
Ich schaue in den gelben Seiten des Heavy Metals nach (lacht). Vieles passiert intuitiv. „Here Be Dragons“ ist die erste AVANTASIA-Scheibe, auf der die meisten Nummern ohne bestimmte Sänger und Sängerinnen im Hintergrund entstanden sind. Deswegen hat sie die Unschuld und Spritzigkeit von frühen EDGUY-Alben. Ich habe alle Lieder selber eingesungen und entschieden, wenn das gut klingt, kann die auch jemand anderes singen (lacht).
Die anderen Sänger sind Farbtupfer, aber die Stücke tragen alle extrem meine Handschrift. Das Album kommt auf den Punkt. Dass Michael Kiske „The Moorlands At Twilight“ singt war nicht sofort klar. Ja, der Song ist schnell und bekommt durch ihn und seine Gesangsart HELLOWEEN-Schlagseite, aber er hat auch schrullige Elemente, die untypisch für HELLOWEEN sind. Sein Gesang passt sehr gut dazu, aber es ist nicht zu offensichtlich.
So gehe ich an jeden Track ran. Bei „The Witch“ stand die Demo schon lange und letztes Jahr war Tommy Karevik (KAMELOT) mit uns auf Tour. Irgendwann in Spanien am Pool habe ich ihn gefragt, ob er auf einer AVANTASIA-Platte mitsingen möchte.
Ich bin chaotisch. Power Metal gilt oft als „Malen nach Zahlen“, bei mir ist es das Gegenteil. Ich weiß, wie man eine gute Scheibe produziert, aber es ist vieles total unorganisiert. Wenn ich organisiert sein wollte, wäre ich Lohnbuchhalter geworden.
Das Album hört sich an wie „Best Of AVANTASIA“, es ist aus jeder Epoche was dabei.
Ich fühlte mich zuhause beim Schreiben. „Ist das innovativ? Mir egal, ist geil.“. Musik machen ist für mich wie Tagebuch schreiben. Ich verpacke Gefühle in Melodien, Töne und Texte und verarbeite Dinge aus meinem Leben. Die Platte ist das Nebenprodukt, denn das Hauptaugenmerk ist der therapeutische Prozess des Musikmachens.
Wenn du keiner bist, der ständig einen anderen Zipfel der Welt erkundet, dann steht in einem Tagebuch manchmal etwas, was so ähnlich schonmal vorkam. Manche Gefühle hat man auch mehrmals im Leben. Es ist schön, dass „Here Be Dragons“ sich so anhört, als würde man sich bei AVANTASIA zuhause fühlen.
Ein gutes Beispiel dafür ist der Bonustrack „Return To The Opera“, denn der ist nach dem „Malen nach Zahlen“-Prinzip entstanden, weil Fans wollten, dass ich mal wieder etwas wie „The Metal Opera“ mache. Ich habe Sascha Paeth eine Nachricht geschrieben, dass ich innerhalb von drei Stunden einen Song samt Text schreibe und die Demo fertig mache und wir den morgen aufnehmen.
Nach einer Dreiviertelstunde war „Malen nach Zahlen“ fertig und dann habe ich mir gedacht, ich muss den jetzt vernünftig zu Ende bringen. Ich weiß nicht, ob die Nummer nach „The Metal Opera“ klingt. Ich finde, klingt auch nach EDGUY und alten HELLOWEEN. Wir hätten ihn fast ins Liveset aufgenommen, so geil finde ich ihn.
Dann können Fans gespannt auf das Earbook hinfiebern.
Das können sie. Es ist wie eine Zeitkapsel. Wenn ich in 20 Jahren wissen will, wie meine Karriere 2025 war, dann öffne ich dieses Earbook und lasse mich in diese Zeit zurückversetzen. Ich finde, es ist von allen Earbooks, die ich bisher veröffentlicht habe, das schönste.
Wie wäre es mit einer Neuauflage von „The Metal Opera“ oder „The Scarecrow“ in dem Format?
Zu „The Scarecrow“ ist das in Arbeit, der Re-Release wird richtig fett mit vielen Neuaufnahmen und Bildern aus dem Studio. Bei „The Metal Opera“ bin ich skeptisch, weil es nicht viel Material aus der Zeit gibt und die Plattenfirma geschluckt wurde. Da kommt nicht mehr viel in physischer Hinsicht. Ich verstehe es nicht, aber man kann sich nicht dagegen wehren. Aber auf den Platten danach habe ich die Hand drauf und da kommt was tolles, aber ich möchte noch nicht zu viel verraten.
Danke für das Gespräch, Tobi und viel Erfolg mit „Here Be Dragons“!
