Cryptosis
Von avantgardistischen Außenseitern

Interview

Wenn es um Extreme-Metal geht, den man dieser Tage keiner sauberen Kategorie mehr zuordnen kann, dann dürfte inzwischen auch immer der Name CRYPTOSIS fallen. Von einer progressiv angehauchten Thrash-Metal-Kapelle unter dem Namen DISTILLATOR gegründet, entwickelte sich das niederländische Trio zum Technologiewunder harter Spielarten und krönt dies momentan mit dem zweiten Album „Celestial Death“. Nachdem Bassist Frank Te Riet und Sänger/Gitarrist Laurens Houvast aufgrund technischer Probleme auf metal.de-Seite festgestellt hatten, dass sie nicht das CRYPTOSIS-IT-Team sind, war der inhaltliche Einstieg schnell gefunden.

Nun lasst uns dann doch zu dem kommen, was euch offensichtlich besser liegt: Die Musik. Ich glaube bei DISTILLATOR haben damals viele an eine Alkohol-Thrash-Band gedacht, die ihr ja zweifellos nie wart. Warum habt ihr euch irgendwann dazu entschlossen, dass der Name nicht mehr passt?

Frank Te Riet: Du hast die exakte Antwort schon in deiner Frage gegeben. Wir haben für DISTILLATOR schon Alben geschrieben, die sich mit ernsthaften Themen befasst haben. Auf der anderen Seite haben wir uns niemals inhaltlich mit Saufen oder irgendeinem Müll dieser Art befasst. Nach zwei Alben wollten wir neue Territorien erkunden, auch was die musikalische Komponente angeht. Die Namensänderung sollte uns in dieser Hinsicht mehr Raum zur Entfaltung geben.

Ihr wolltet also niemals wirklich auf diese Spaßschiene, habt euch am Anfang aber dennoch für den Namen entschieden.

Frank: Die ersten paar Demos mögen vielleicht noch in eine solche Richtung gegangen sein. Wir waren jung und haben selbst noch nach unseren Wegen gesucht. Irgendwann sind wir dann mit größerer Ernsthaftigkeit an das Schreiben eines Albums gegangen und haben Lyrics dazu geschrieben, die damit konform gehen. Danach ist alles seinen Gang gegangen. Wir hätten auch dazu niemals gedacht, dass die Dinge nach unserem Debüt mit DISTILLATOR so schnell gehen würden. Vielleicht hätten wir unseren Namen damals schon ändern sollen, aber das ist eben nicht so gekommen.

Ihr habt einmal gesagt, dass ihr euch inzwischen Musik zwischen RUSH und DIMMU BORGIR vorstellen könntet. Seid ihr dieser Vorstellung nun mit CRYPTOSIS nähergekommen?

Laurens Houvast: Ja, 100 Prozent. „Celestial Death“ ist genau genommen das erste Album, welches wir inhaltlich auch komplett unter dem Banner CRYPTOSIS aufgenommen haben, „Bionic Swarm“ war bereits vor der Änderung des Namens im Kasten. Der einzige Grund, warum wir letztlich unseren Namen geändert haben war, dass wir für kommende Aufnahmen mehr Open-Minded sein und mehr Kreativität in die Aufnahmen legen können. Dieser Schritt hat uns geholfen, in die richtige Richtung zu gehen.

Frank: Das Witzige ist, dass wir „Bionic Swarm“ im Jahr 2020, als die Pandemie gerade in vollem Gange war, ohne die Erwähnung eines Bandnamens an verschiedene Labels gesendet haben. Dann hat sich Century Media gemeldet, wir hatten einen Vertrag, aber keinen Namen.

Avantgardistische Außenseiter

Ich muss leider selbst noch bis zum Graveland Festival diesen Jahres warten, aber jeder, der euch bisher Live sehen konnte, erzählt von einer wahnsinnig tighten Performance. Ihr hattet kaum Wechsel im Line-Up bisher. Macht sich das dahingehend bemerkbar?

Frank: Definitiv. Wir haben bisher nur den Drummer getauscht, aber schon früh, als wir angefangen haben zusammen zu spielen im Jahr 2014. Seither sind wir zu Dritt aktiv. Umso mehr du gemeinsam auf der Bühne stehst, Erfahrung sammelst, die verschiedenen Auftritte, die Entwicklung, immer größere Stages – all das macht sich auch dann bemerkbar, wenn du ins Studio zurückkehrst und zusammenarbeitest. Laurens und Ich waren schon Freunde vor dieser Zusammenkunft und Marco hat sich da inzwischen eingefügt. Wir haben eine gute Verbindung zusammen und können uns direkt ins Gesicht sagen, wenn uns etwas nicht passt.

Laurens: Mit Frank spiele ich nun 15 Jahre gemeinsam – seit 2010.

Wirkt ihr dann auch entsprechend alle beim Schreiben neuer Songs mit?

Laurens: Frank und Ich schreiben die komplette Musik, auch die Drumparts. Diese sind dann prinzipiell zu 95 Prozent abgeschlossen, gehen dann aber nochmal zu Marco, der auch noch Ideen einbringt und im Studio noch etwas Finetuning darüber laufen lässt.

Frank: Wir schreiben auch einiges separat für uns zuhause und treffen uns dann, um die Dinge zusammenzuführen. Teilweise geht es dabei auch nicht nur um Riffs, sondern um ganze Passagen, die Laurens oder Ich schreiben und dann über Google Drive uns gegenseitig übermitteln, um weiter daran zu feilen. Das ist eine sehr gute Kooperation, die dann nochmal bei Marco landet. Er ist nicht immer mit allem zufrieden, denn wir haben ein recht unterschiedliches Spektrum an Musik, welche wir mögen. Wir beide sind experimenteller unterwegs und Marco holt uns mit seinem Old-School-Blick manchmal wieder zurück in die Realität, wenn wir zu avantgardistisch werden.

Wo seht ihr denn eure hauptsächlichen musikalischen Einflüsse?

Frank: Ich höre selbst so viele unterschiedliche Sachen wie MASSIVE ATTACK, APHEX TWIN, aber auch Punk und Black Metal, während Laurens mehr gitarrenorientierte Einflüsse wie OPETH oder SYMPHONY X hat.

Laurens: Bei mir kommt natürlich noch DEATH dazu. Darüber hinaus MEGADETH und ein bisschen schwedisches Zeug wie IN FLAMES und CHILDREN OF BODOM, mit denen ich aufgewachsen bin und die sich in meinem Kopf festgesetzt haben. Man muss auch betrachten, dass ich in einer ganz anderen Teenagerzeit aufgewachsen bin wie Marco. Damals waren KORN, SLIPKNOT und SYSTEM OF A DOWN der absolute Shit, auch das schlägt sich sicherlich irgendwo nieder.

Frank: Marco ist sechs bis acht Jahre jünger als wir und er hatte in seiner Jugendzeit einen anderen Umgang. Da war die Zeit von gewissen Sachen schon vorüber und er hat sich mehr den straighten Dingen wie AC/DC oder MOTÖRHEAD gewidmet. So bringt jeder von uns seinen musikalischen Erfahrungsschatz mit, um dann in unserer Band etwas Einzigartiges kreieren zu können. Das ist auch ein zweischneidiges Schwert, denn eine klare Identifikation fehlt uns. Wir sind keine Black-Metal-Band, aber auch keine Thrash-Band, wir spielen keinen Progressive Metal, genauso wenig wie Death Metal. Auf der anderen Seite können wir aber auch auf entsprechenden Festivals auftreten. Wir sind gewissermaßen Außenseiter.

Ich habe nicht den Eindruck, dass die Identitätsfindung mit „Celestial Death“ einfacher wird.

Frank: Ich habe vor kurzem ein Interview gehabt, wo ich gefragt wurde, wie wir denn unseren Stil beschreiben würden und ich sagte, dass ich keine Ahnung habe. Danach habe ich in den Kommentaren zu einem unserer Videos gelesen, dass „Celestial Death“ wohl die korrekte Stilbeschreibung wäre und irgendwie kann ich mich damit anfreunden.

Mit der EP „The Silent Call“ habt ihr schon angedeutet, dass es erneut weiter weg von der Basis geht. Macht ihr euch Gedanken darüber, dass das für manche Fans der ersten Stunden irgendwann etwas zu viel werden könnte?

Laurens: Ich würde nicht sagen, dass wir Angst davor haben. Uns war schon klar, dass wir eventuell ein paar Fans verlieren könnten, doch für uns geht es erstmal darum, die Musik zu spielen, die wir lieben. Das ist nicht unser Full-Time-Job, sondern wir machen das nebenher, sodass wir nicht finanziell von dem Erfolg von CRYPTOSIS abhängig sind.

Frank: Es ist ja nicht so, dass wir plötzlich Thrash Metal hassen, wir wollen einfach nur ein bisschen mehr.

Habt ihr eine Vision, wie es in Zukunft weitergehen soll oder lasst ihr alles auf euch zukommen?

Frank: Wir machen einfach, was uns gerade am Besten in den Kram passt. Manchmal schreiben wir einen Song, mit dem wir sehr zufrieden sind, doch nach zwei Jahren fällt uns auf, dass er doch nirgendwo hineinpasst. Man nehme den Song „Absent Presence“ vom neuen Album. Wir hatten länger das Gefühl, dass etwas fehlt, doch für „Celestial Death“ war dieser langsame Track hervorragend. Wir hatten großen Spaß beim Schreiben und Einspielen, vielleicht werden wir demnächst auch mehr gemäßigte Stücke schreiben, wer weiß. Du kannst Kreativität nicht erzwingen. Wir werden aber nichts schreiben, was man mit 100 % Thrash Metal oder Death Metal charakterisieren kann. Das haben andere Bands schon zu Genüge getan und wir wollen gerne neue Territorien für uns entdecken.

Laurens: Wir wollen ein Album schreiben, wo jeder Song auch individuell für sich stehen kann. Wo du durchgehend sagen kannst: „Ja das sind gute Songs“. Man kennt es häufig, dass Alben zwei oder drei gute Singles mitbringen und der Rest ist Füllmaterial. Ein paar Steine und der Rest ist Zement. Das wollen wir vermeiden.

Habt ihr das mit „Celestial Death“ nicht erreicht? Ich habe schon das Gefühl, dass die Platte in sich schlüssig ist, aber für sich gesehen sind die Tracks auch absolute Killer.

Laurens: Wir wollten ein Konzeptalbum schreiben – inhaltlich, aber auch vom Sound betrachtet, sodass alles seine eigene hohe Qualität hat, aber auch für sich alleine stehen kann. Die Riffs sind von Song zu Song natürlich nicht gleich, aber wenn du das Album komplett durchhörst, dann wirst du bemerken, dass es zusammenpasst. Das ist uns glaube ich ganz gut gelungen.

Wie groß ist eure Vorfreude auf das nächste VEKTOR-Album nach deren Reunion im Jahr 2020?

Frank: Ich konnte schon in drei Songs des kommenden Albums hereinhören und ich würde sagen, die Leute sollten sich auf eine Überraschung einstellen…

Nun einmal zum inhaltlichen Thema von „Celestial Death“. Ihr zeichnet ein düsteres Abbild einer technisierten Zukunft, in der es wenig Hoffnung zu geben scheint. Wie viel Realität steckt darin?

Frank: Wir befinden uns zweifellos in düsteren Zeiten, doch das ist lediglich der Anfang. Das Zeitalter der Technologie hat vielleicht vor 20 bis 25 Jahren begonnen und wir haben bereits einen ziemlichen Prozess vollzogen, doch es wird immer weiter gehen. Stell‘ dir die Welt in 100 Jahren vor. Das, was heute mit AI geschieht ist Kinderkram. „Celestial Death“ kann der Soundtrack vom Ende einer Ära und dem Anfang einer Neuen sein.

„Vielleicht leben wir immer noch in der Matrix“

Du sprichst AI an, die auch immer mehr Einzug in unsere Musik hält. Was haltet ihr davon?

Laurens: Ich muss erstmal klarstellen, dass wir nicht pro oder gegen Technologie sind. Wir stehen dem zunächst neutral gegenüber, denn es gibt auch eine Menge hilfreiche und gute Dinge. Wir wollen aber auch die Gefahren aufzeigen und den Hörer dazu anregen, darüber nachzudenken. AI selbst erstellt eigentlich nur Variationen von Dingen, die schon längst hier sind. Das ist doch irgendwie langweilig. Warum wählst du dir nicht eines von den 100.000 Alben aus, die es bereits gibt, sondern hörst dir stattdessen eine neue Variation dessen durch AI an? Das ist im Prinzip das Gleiche, nur mit einem leichten Twist.

Frank: AI ist etwas für faule Menschen. Es ist so einfach, irgendwas in ChatGPT einzugeben und dann Inhalt dazu zu erhalten. Warum steckt man nicht etwas mehr Hirnschmalz in die ganze Sache oder gibt den Auftrag an einen Künstler weiter, der seine Sicht illustrieren kann?

Laurens: Dazu gibt es dort draußen so viele Bands, die nach SLAYER, DISMEMBER oder ENTOMBED klingen. In der Sache an sich ist das schon ziemlich cool, aber das ist nichts Neues. Alles war schon da. Das hat uns auch dazu inspiriert, für unsere Musik mehr zu wollen. Das ist sicherlich der schwerere Weg.

Als ich vor 20 Jahren ein Teenager war, habe ich eine bestimmte Vorstellung davon gehabt, wie die Welt von Heute aussehen könnte. Irgendwie ist nichts davon eingetreten. Geht euch das ähnlich?

Frank: Ich bin mit Kassetten aufgewachsen und heute kannst du einfach irgendwas in dein Gerät eingeben und erhältst eine fotorealistische Grafik. Es hat sich schon unglaublich viel verändert.

Laurens: Ich habe auf fliegende Autos gehofft, war wohl nix. Scheisse.

Frank: …oder etwas, dass komplett meine Wäsche macht oder das Geschirr spült. Wenn man darüber nachdenkt, wie sich Menschen schon früher die Zukunft vorgestellt haben, dann sind sie oft mit verrücktem Quatsch dahergekommen und nichts davon wurde zur Realität. Ich habe heute Mittag ein Gespräch mit einem freien Grafikdesigner gehabt, der mir die Frage stellte, wie man sich die Arbeit wohl in zehn Jahren vorstellen könne. Checkst du dann nur einmal am Tag, ob AI alle Vorgaben nach deiner Zufriedenheit umgesetzt hat und den Rest hast du frei? Oder es kommt einfach ganz anders.

Laurens: Denk doch mal an „Zurück in die Zukunft“ und wie sich die Menschen dort unsere heutige Gegenwart vorgestellt haben. Nichts stimmt. Ich habe auch gerne Dinge wie Star Wars und Star Trek geschaut, das bleibt eben alles erstmal Fiktion.

Wohl wahr. Wir leben noch immer nicht irgendwo in der Galaxis abseits unserer Erde.

Laurens: Nein, wir leben immer noch in der Matrix. Vielleicht.

Quelle: Zoom-Interview mit Laurens und Frank
28.02.2025
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