Ghost
"Wenn ich mir jetzt fünf Margaritas reinkippen würde, würde ich mich in Papa Emeritus verwandeln."

Interview

GHOST sind ja bekanntlich seit einigen Jahren in aller Munde. Einen gehörigen Schub bekamen sie 2016, als sie einen Grammy für „Best Metal Performance“ gewannen. Ende 2017 machten sie dann mit einem weniger angenehmen Thema Schlagzeilen. Die bis zu diesem Zeitpunkt anonyme Band um die Gestalt des ebenso anonymen Papa Emeritus demaskierte sich selbst und reichte wegen angeblich unterschlagener Tantiemen Klage gegen den somit ebenfalls enttarnten Bandkopf Tobias Forge ein.

Obwohl das Verfahren aktuell noch läuft, scheinen sich die Wogen geglättet zu haben. Tobias Forge führt GHOST mit neuen Musikern weiter, hat sich als Alter Ego für das aktuelle Album „Prequelle“ den Cardinal Copia ausgedacht und tritt fortan verstärkt als er selbst auf. Im Rahmen eines Events zum neuen Album trafen wir ihn Anfang Juni in Berlin.

Danke, dass du dir die Zeit nimmst! Du hast ja erst vor Kurzem angefangen, GHOST-Interviews als du selbst zu geben. Fühlt es sich anders an, zum Beispiel authentischer im Dialog?

Ich habe über die Jahre immer mal Interviews wie jetzt [ohne Kostüm, Anm. d. Red.] gemacht, ich wurde nur nicht namentlich genannt (Pause). Naja, was es bewirkt, ist, dass jetzt klarer ist, um was es mir bei der Band geht, was vorher immer etwas spekulativ war (Pause). Aber praktisch gesehen macht es keinen sehr großen Unterschied für mich in meinem Leben. Mein Alltag wird dadurch wenig beeinflusst.

Es war mir aber immer schon sehr wichtig, Interviews wie hier face-to-face zu machen, weil ich denke, dass die Interviews dadurch einfach besser werden. Das ist etwas anderes, wenn es nur fünf Sätze über irgendeinen Quatsch sind, dann ist das egal. Aber immer, wenn ich ein längeres, mehrseitiges Interview mit einem richtigen Magazin gemacht habe, ist es immer viel besser geworden, wenn ich das als ich selbst gemacht habe. Manche Dinge waren sonst auch schwer zu erklären.

Jetzt ist es einfacher, zu erklären, warum wir gewisse Dinge tun. Früher war es manchmal verwirrend und Leute haben gefragt „ich interviewe jetzt also Papa Emeritus?“ Nein, tust du nicht. Ich vergleiche das immer gerne mit Star Wars. Wenn du mit Harrison Ford zusammensitzt, sagst du auch nicht „oh, ich sitze hier mit Han Solo“.

Es war für dich also immer mehr ein Kostüm als ein Alter Ego, das du sogar in Situationen wie Interviews angenommen hast?

Ja, genau. Ich meine, wenn ich mir jetzt fünf Margaritas reinkippen würde, würde ich mich in Papa Emeritus verwandeln. Deshalb trinke ich auch nicht, also jedenfalls keinen starken Alkohol. Ich denke aber, es ist sehr wichtig, zu verstehen, dass es eine Theater-Show ist und dass das eine Rolle ist. Für mich war es schon immer so – seit es GHOST gibt – dass ich das Privileg habe, meine Maske abzunehmen. Nur wenige Leute würden dann von mir erwarten, dass ich mich so verhalte wie er.

Ghost – Prequelle (Albumcover)

Welchen Einfluss hat die Tatsache, dass du enttarnt wurdest, auf das aktuelle GHOST-Album „Prequelle“ gehabt? Nun schreibst du als du selbst, und es wurden auch alle Musiker ausgetauscht. Wie hat das also das Endprodukt verändert, das wir jetzt hören können?

Sehr wenig. Ich habe deshalb nicht die Musik oder meine Art zu schreiben verändert. Die neuen Umstände haben aber zu einigen Dingen geführt, die mir beim Machen des Albums sehr gefallen haben. Ich habe mich dabei auch sehr an die Arbeiten zum ersten Album erinnert gefühlt. Denn damals waren nicht sehr viele Leute involviert. Und mit involviert meine ich, dass sie anwesend waren und darauf gewartet haben, dass etwas passiert.

Beim zweiten und dritten Album war das aber der Fall. Denn sobald ich dann ein neues Album machen wollte, waren gleich alle ungeduldig und haben gefragt „OK, also was machen wir? Was machen wir?!“ Ich meinte nur „ihr könnt gerne gehen und an euren anderen Bands arbeiten, ich mache so lange das Album.“ Das haben sie aber nie gemacht. Sie haben einfach weiter rumgesessen und meinten „Mann, so ein Album zu machen, nimmt aber echt viel Zeit in Anspruch.“ Dabei hätten sie einfach heimgehen können.

Bei diesem Album war ich sehr vorsichtig. Wir wohnen nicht in der gleichen Stadt. Wir sind keine alten Freunde. Deshalb ist es viel einfacher zu sagen: „OK, wir sind jetzt mit diesem Teil durch, wir sehen uns dann im April.“ Und das ist sehr gut und fühlt sich wie damals an, als ich „Opus Eponymus“ gemacht habe. Weil da nicht so viele Leute waren, die darauf gewartet haben, etwas zu tun zu haben. Die im Grunde darauf gewartet haben, einen Job zu haben.

Das hat das Schreiben nicht wirklich beeinflusst, und wenn, dann positiv. Ich habe den gleichen Stil wie bei den anderen Alben. Ich werde jedes Mal ein bisschen besser darin, ein bestimmtes Gefühl zu finden, das ich auszudrücken versuche. Das hat aber eher was mit Erfahrung zu tun.

Galerie mit 30 Bildern: Ghost auf der Popestar Tour am 4.4.2017 in Luxemburg

Wo wir bei der Entwicklung der Musik sind. Ich muss ja zugeben, dass ich mich mit GHOST so überhaupt nicht auskenne, von „Prequelle“ mal abgesehen. Der Kollege, der „Prequelle“ rezensiert hat, erwähnte aber zum Beispiel einen Rückgang des Metalanteils. Kannst du für einen Laien wie mich mal zusammenfassen, wie sich GHOST entwickelt hat und an diesen Punkt gekommen ist?

Ich sehe große Parallelen zwischen meiner Arbeit und der eines Filmregisseurs. Oder der eines Profikochs. Wenn du so ein Koch bist und Erfolg hast, machst du vielleicht nicht nur ein Restaurant auf, sondern gleich mehrere. Die meisten, die nicht den Charakter eine Kette wollen, werden verschiedene Typen von Restaurants eröffnen. Es mag vielleicht alles Japanese Fusion sein, aber wahrscheinlich anders dekoriert und in verschiedenen Locations. Der Stil wird also immer etwas anders sein.

Woody Allen macht Filme, die sich recht ähnlich sind. Wenn du einen Woody-Allen-Marathon machst, fällt dir auf, dass sie alle auf die gleiche Weise anfangen. Die Schrift im Vorspann ist gleich, alle spielen in New York, außer einer, der in Paris spielt. Aber jeder Film hat natürlich eine andere Geschichte. Wenn ich selbst ein Regisseur wäre, wäre ich lieber ein wenig mehr wie Stanley Kubrick.

Der hat einen Space-Film gemacht, einen historischen Film über „Barry Lyndon“, dann einen Horrorfilm („The Shining“) und dann „Lolita“, was auch ein komplett anderer Film ist. Und „Eyes Wide Shut“ ist wieder anders, weißt du? Ich habe nicht den Wunsch, den gleichen Film nochmal zu machen. Warum sollte ich auch? Leider wird das aber oft erwartet, vor allem in der Metalszene. Als gäbe es einen Ehrenkodex, genau das Gleiche immer wieder zu machen. Dann kriegst du eine Medaille für deinen treuen Dienst. Du bist deinen Prinzipien treu geblieben.

Kann man es also so sagen, dass du lieber einzelne Filme als Episoden einer Serie machen willst, um mal in der Metapher zu bleiben?

Ja, das ist eine gute Analogie.

Um mal weiterhin bei den Veränderungen zu bleiben. Es ist jetzt zwei Jahre her, dass GHOST einen Grammy gewonnen haben. Was hat sich kurzfristig und langfristig verändert? Ist manches wieder beim Alten, oder hat sich einfach das komplette Level geändert?

Nein, es gibt immer noch Regen. Es gibt immer noch gute Tage und schlechte Tage. Was so etwas, wie einen Grammy zu gewinnen, glaube ich bewirkt, ist, dass es dein Musikertum legitimiert. Danach gibt es niemanden mehr, der dich belächelt, wenn du sagst „ich bin Musiker“ oder „ich bin Songwriter“. Ich habe es oft erlebt, dass Leute dann gefragt haben „aber was machst du wirklich?“ Es zeichnet dich also als tatsächlichen Profi aus. Trotzdem kommt nicht gleich jeder mit „oh, der Grammy-Gewinner Tobias Forge“ auf dich zu. Du bist immer noch ein Mensch.

Aber man hat dadurch mehr Möglichkeiten. Es gibt einem gewisse Werkzeuge in die Hand. Die kannst du dann nutzen oder eben nicht. Für eine Weile, besonders in Amerika – oder besonders in der Musikbranche, aber ich sage Amerika, weil es ein amerikanischer Award ist, der als Äquivalent zum Oscar sehr viel in der amerikanischen Musikindustrie bedeutet – bekommst du ein wenig mehr Redezeit.

Wenn dich jemand vorstellt und sagt „das ist Tobias Forge von GHOST“ wird das ein schnelles Hallo. Wenn aber einer sagt „er ist ein Grammy-Gewinner“ hast du plötzlich zwei Minuten mehr der Aufmerksamkeit. Du kannst dich natürlich entscheiden, nichts weiter zu sagen und all diese Chancen zu verschlafen, aber auf einmal waren da all diese Promoter und Radiosender, die plötzlich alle wussten, wer wir sind.

Doch dann hängt es von dir ab, die Chance zu ergreifen. Du kannst nicht einen auf verklemmt machen und sagen „nur, weil ich einen Grammy habe, rede ich jetzt nicht mit euch. Ihr hättet mal vor einem Jahr kommen sollen, als ich noch keinen Grammy hatte.“ Wenn du die Einstellung hast, kannst du dich verpissen, dann wird daraus nichts werden. Ein Grammy bringt dich für eine bestimmte Zeit ins Rampenlicht, und du musst dann das Beste daraus machen.

Ghost Promo 2018

Kleiner Themawechsel. In einem Interview, das du vor Kurzem mit Revolver gemacht hast, hast du gesagt, dass du dich schon früh von der Religion abgewandt hast. Dann diese ganze Symbolik bei GHOST. Eine Frage, die in der Redaktion aufkam, war: Was würdest du machen, wenn du der echte Papst wärst? Also wenn du die Macht über eine so mächtige und potentiell böse Organisation wie die katholische Kirche hättest?

(Lange Pause) Ich, ähm… Das ist eine gute Frage (Pause). Die Kirche und der Vatikan sitzen zweifelsohne auf einem Erbe, das sie aufrechterhalten, das viele Probleme für uns in der westlichen Welt verursacht und von dem ich denke, dass sie es streichen könnten. Ich denke persönlich nicht, dass die Kirche per se schlecht ist. Ich bin kein militanter Atheist oder so. Ich glaube, dass ein gewisses Maß an Hoffnung und Vorstellungskraft gut für uns sind. Ich denke, dass bestimmte Werte in der Gesellschaft nützlich sind.

Das Problem ist, dass die viele dieser Werte genommen und für sich patentiert haben. Ihr Copyright draufgehauen haben. Jeder weiß aber, dass man Leute nicht ins Gesicht schlagen sollte. Was ich glaube ich als erstes machen würde, wäre, Kirchen zu Museen umzufunktionieren. Sie sollten geschützt werden, weil sie Teil unseres Kulturerbes sind. Ich will also keine Kirchen niederbrennen. Aus Kirchen, die in den Sechzigern und Siebzigern gebaut wurden, also nur moderne Betonklötze sind, könnte man Jugendzentren machen, oder Bars. Sie in etwas Sinnvolles verwandeln.

Dann würde ich wahrscheinlich eine ernsthafte Debatte darüber anregen, warum ich denke, dass Marihuana besser als Alkohol ist. Marihuana macht Leute glücklich und bewirkt, dass sie nett zueinander sind. Alkohol bewirkt, dass Leute sich gegenseitig aufs Maul hauen und vergewaltigen wollen. Letztendlich will ich, dass die Leute nett und entspannt sind (Pause). Ja, diese Dinge stünden also an meinem ersten Tag auf der Tagesordnung. Es müssten natürlich auch viele Grundsätze geändert werden, aber das hier ist die Kurzversion.

Es braucht schließlich auch keine Kirchen, um ein Gefühl der Zusammengehörigkeit zu haben. Ein gutes Beispiel gab es nach einem GHOST-Konzert kürzlich. Dort ist ein Fan zusammengebrochen und später gestorben. Ein GHOST-Fanclub hat dann eine Crowdfunding-Kampagne für seine Familie gestartet. Das Ziel waren 1000 Dollar. Als ich vorhin geschaut habe, war der Stand schon bei fast 9.500 Dollar. Macht es dich stolz, so eine hilfsbereite Gemeinschaft erschaffen zu haben?

Es macht mich sehr glücklich, zu sehen, dass die Leute so mitfühlend sind. Die meisten Leute, die ich treffe und mit denen ich rede, sind sehr warmherzig und sehr menschlich. Das ist die Ironie des Ganzen. Ich denke, dass die Message, die ich mit GHOST rüberbringen will, sehr viel menschlicher ist als alles, was der beschissene Vatikan jemals gemacht hat.

Nicht allein unseretwegen, sondern vor allem, weil die Leute, bei denen es ankommt, so lebensbejahend sind. Ich weiß nicht, wie viele Leute ich schon getroffen habe, die mir gesagt haben, dass sie schon Selbstmordgedanken hatten oder in Lebenskrisen steckten und denen die Musik geholfen hat. Was könnte erfüllender sein als das? Wir wollen, dass die Leute glücklich sind.

Ich glaube, Bob Dylan hat mal gesagt, dass Kunst etwas ist, das Leute inspiriert, selbst Kunst zu schaffen. Und wenn das die grundlegende Essenz von Kunst ist, muss ich sagen, dass ich extrem zufrieden bin, denn so viele Leute kommen zu unseren Shows und bringen uns Zeichnungen, Skulpturen, alles Mögliche. Das sind Kisten voller Geschenke, die wir nach jeder Tour zusammenhaben. Oder auch die ganzen Sachen, die online gepostet werden.

Ich habe gerade irgendwie vergessen, worauf ich damit hinauswollte. Aber dafür, dass wir eine „böse“ Band sind, scheinen wir Teil einer sehr guten Bewegung zu sein. Einer sehr wohlgesinnten, sehr menschlichen, sehr positiven Bewegung. Ich denke, das ist ein lustiges Paradox, wenn du dir anschaust, was der Vatikan sagen würde. Die wären natürlich gegen das, was wir tun, weil wir „böse“ sind. Unsere Fans sind aber wahrscheinlich viel glücklicher, als die es sind. Ich denke, deren Methode ist falsch. Sie bringen Leute dazu, sich schuldig zu fühlen, weil sie nicht genug tun. Was auch immer das bedeutet. Nicht genug zahlen. Nicht genug bereuen.

Cardinal Copia – das aktuelle Gesicht von GHOST

Wahrscheinlich nicht genug zahlen.

Ja, genau. Aber was du nicht vergessen darfst, ist, dass GHOST als Band im Grunde ein Business sind. Nicht weniger als der Vatikan.

Ihr verkauft ein Produkt.

Ja, wir verkaufen ein Produkt. Das tun die auch. Sie verpacken es nur anders. Jeder weiß, dass die sich im Jahr 325 in Nicäa hingesetzt haben und das Paket, das man jetzt als Bibel kennt, geschnürt haben, um die christliche Bewegung im Rom zu kontrollieren. Das war definitiv ein kommerzieller Plan. Das Resultat wird seitdem ständig von Leuten benutzt, die andere ausbeuten und zu ihrem eigenen Vorteil nutzen wollen. Genau wie jedes andere Business. Aber sie haben es unter dem Deckmantel des übergeordneten Wohls getan. Wenn du aber einen Volvo kaufst, weißt du, dass du das tust, damit du ein Auto hast und jemand anders dein Geld. Das ist immer noch ein bisschen fairer.

An dieser Stelle bekommen wir das Signal, dass wir so langsam zum Ende kommen müssen.

Das bedeutet wie immer, dass du nun das letzte Wort hast und sagen kannst, was du bisher nicht losgeworden bist.

Was mir gerade klar geworden ist, als ich das alles erzählt habe, ist, dass es im Rock’n’Roll so eine Art Grauzone zwischen Religion und dem Autokauf gibt. Es ist immer noch eine Transaktion. Im Gegenzug für deinen Konsum bekommst du diese Erfahrung, diesen Service. Ich habe kein Fazit, aber das hat Spaß gemacht. Am Ende des Tages ist es einfach Rock’n’Roll. Ich bin ein Entertainer. Mir wird applaudiert und ich werde dafür bezahlt, Leute glücklich zu machen.

Ich schmuggle mal noch eine schnelle Frage rein. Schminkst du dich selbst?

Ja, aber das heißt nicht, dass ich auch die Maske mache.

OK, das war’s. Danke für das Interview!

Quelle: Tobias Forge, Ghost
19.06.2018

headbanging herbivore with a camera

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