Heidevolk
"Was die Leute nicht aus der Geschichte lernen, werden sie selbst wieder falsch machen."

Interview

Kaum haben HEIDEVOLK ihr aktuelles Album „Vuur Van Verzet“ veröffentlicht, geht es auch schon auf Europatour mit KORPIKLAANI, ARKONA und TROLLFEST. Das Ganze läuft unter dem Titel „Folk Metal Superstars“-Tour und machte unter anderem Halt in Berlin. Die Gelegenheit, HEIDEVOLK vor Ort zu treffen und ihnen zum neuen Album und anderen Themen auf den Zahn zu fühlen, wollten wir uns natürlich nicht entgehen lassen. Versammelt hat sich fast die ganze Band, nämlich Rowan Middelwijk, Joost Westdijk, Lars Vogel, Jacco de Wijs und Koen Romeijn. Dankenswerterweise von Jacco mit Kaffee versorgt, mache ich es mir schonmal gemütlich, während Rowan noch den Knabberkram auspackt und sich ganz glamourös Wein in einen Plastikbecher gießt.

Jetzt beginnen wir das HEIDEVOLK-Interview mit diesem Geräusch von Wein, der eingegossen wird…

Rowan: Genau, so, wie jedes Interview anfangen sollte (wir lachen).

Dann erstmal zu den offensichtlichen Fragen. Wie war die Tour denn bisher so?

Rowan: Die Tour war bisher wirklich toll. Viele Shows waren schon ausverkauft und viele sind kurz davor, ausverkauft zu sein. Das Tourpaket funktioniert einfach, deshalb ist es für alle Bands ein guter Abend. Wir haben viele positive Reaktionen auf Facebook, oder auch bei den Konzerten selbst.

Gibt es denn schon lustige Geschichten?

Die Jungs sehen sich gegenseitig an und brechen in Gelächter aus.

Jacco: Manche Geschichten sollten nicht erzählt werden (mehr Gelächter).

Na gut… Aber mal auf das neue HEIDEVOLK-Album „Vuur Van Verzet“ bezogen. Wie hat sich das Material bisher bewährt? Auf dieser Tour spielt ihr es ja zum ersten Mal.

Jacco: Es gibt viele gute Reaktionen zu den neuen Songs, und wir spielen recht viele Stücke vom neuen Album. Für uns war es toll, zu sehen, wie gut die Reaktionen sind, denn man weiß ja vorher nie. Aber ja, die Reaktionen und Interaktionen mit dem Publikum waren bisher toll.

Heidevolk – Vuur van Verzet Cover

Für euch ist es sicher auch toll und aufregend, die neuen Songs zu spielen, oder?

Rowan: Ja, natürlich. Wir haben sechs neue Songs im Set, was recht viel ist, wenn man eine Stunde und fünf Minuten spielt. Wir versuchen, Abwechslung reinzubringen, zum Beispiel schnelle Songs wie „Tiwaz“, aber auch langsamere, wie „Yngwaz‘ Zonen“, der A-cappella-Song. Das schafft eine etwas andere Atmosphäre, was sehr cool ist.

Joost: Wir versuchen, die Songs wirklich gut in die Show einzubinden, sodass man einen Fluss verschiedener Songs hat, die aber miteinander verwoben sind. Damit die Leute mit uns auf diese Reise gehen. Und ich kann sehen, dass das wirklich gut funktioniert. Nicht einfach wahllose Songs hintereinander, sondern eine Gesamtperformance, die die Zuschauer wirklich mitnimmt, selbst, wenn sie die Songs nicht wirklich kennen.

Ich hatte mich tatsächlich gefragt, wie eine HEIDEVOLK-Selist zustande kommt. Wechselt ihr auch mal, wenn ihr merkt, dass etwas nicht so gut funktioniert?

Joost: Ich glaube, wir haben echt erst vor ein paar Tagen das Set finalisiert. Am Anfang waren da noch ein paar Songs, die wir ausgewechselt haben, oder bei dem wir die Position geändert haben.

Rowan: Ja, hauptsächlich die Position. Es ist auch so: Wenn du drei Jahre lang das gleiche Album gespielt hast, bist du dran gewöhnt, dass die Leute durchdrehen, weil sie die Songs schon kennen. Wenn man neue Songs spielt, muss man akzeptieren, dass manche Leute einfach nur zuhören und sich reinfinden. Bei der ersten Show denkst du dir „Oh Gott, mögen die das überhaupt?“ (lacht). Aber dann siehst du die Reaktion und den Jubel danach. Je weiter die Tour fortschreitet, desto mehr verstehst du, wie sie auf die Stücke reagieren. Ich denke, dass die neuen Songs, die wir jetzt aufgenommen haben, wirklich gut funktionieren.

Für einige von euch (Jacco, Koen, Kevin) ist es ja auch das erste Studioalbum mit HEIDEVOLK. Hat das etwas verändert? Neue Leute bringen ja auch neue Dynamiken mit sich.

Jacco: Ich denke ja. Einige Dinge ändern sich natürlich, weil neue Mitglieder neuen „Ballast“ mitbringen. Andere Sounds, Erfahrungen, alles halt. Vielleicht nicht beim Schreibprozess, weil das eigentlich alles Rowans Arbeit ist, aber bei der Umsetzung bringt jeder sein eigenes Ding mit ein. Das bestimmt dann das Endresultat.

Rowan: Da gebe ich Jacco Recht. Obwohl ich das Album geschrieben habe, haben wir die Preproduction zusammen mit allen Musikern gemacht. Jeder hat angefangen, an seinen eigenen Parts zu arbeiten, und so machen sich die Einflüsse der neuen Mitglieder bemerkbar. Zum Beispiel die Gitarren-Parts von Koen und Kevin. Die sind jetzt an einem Punkt angekommen, wo man sich denkt „OK, ich glaube, da müssen wir nichts mehr ändern“. Bei früheren Alben gibt es immernoch den Gedanken „hmm, vielleicht hätten wir das so machen sollen, oder so…“. Aber jetzt sind die Gitarren-Parts wirklich fertig. Das Gleiche gilt für die Vocals. Lars und Jacco haben zusammen daran gearbeitet und haben im Studio auch zusammen gesungen. Dadurch wirken sie frisch, aber auch wirklich eng miteinander verbunden. Beide Vocal-Lines sind einfach perfekt geworden.

Jacco: Wir haben versucht, die Interaktion, die wir auf der Bühne haben, auch auf der Platte nachzubilden, indem wir gleichzeitig gesungen haben, statt die Tracks separat aufzunehmen.

Bandlogo von Heidevolk

Genau das hatte ich mich bei den klassischen HEIDEVOLK-Doppelvocals gefragt. Ob ihr die tatsächlich zusammen aufnehmt.

Lars: Es war das erste Mal, dass wir das ausprobiert haben, und es hat perfekt funktioniert.

Was auf diesem HEIDEVOLK-Album vor allem auffällt, sind die englischen Lyrics, die ihr so vorher noch nicht hattet, oder liege ich da falsch?* Wie kam es zu der Entscheidung?

Rowan: Wir haben 1,5 Songs auf Englisch geschrieben. Da ist „The Alliance“, in dem es um die Angeln, Sachsen und Friesen geht, die nach Britannien ziehen. Sie wollen den Leuten da helfen, suchen aber auch nach einem neuen Zuhause. Dann macht der Song eine Wende und ist aus der Perspektive der Britannier erzählt, die auf Englisch singen. Der Gastsänger dabei ist Alan von PRIMORDIAL und es wäre ein wenig fies, ihn auf Niederländisch singen zu lassen. Aber es hat auch mit den beiden Seiten des Songs zu tun.

Der andere Song („A Wolf In My Heart“ – Anm. D. Red.) basiert auf der Geschichte von Offa von Mercien, der Angelsachse war. Die Angelsachsen kamen aus Dänemark, haben aber auch England seinen Namen gegeben. Sie haben diesen Teil von Britannien erobert und ihn „England“ genannt. Diesen Song auf Englisch zu machen, war also ein netter Twist. Dann haben sich aber einige Stimmen erhoben, die gesagt haben „dann müssen wir ihn aber auch auf Niederländisch machen“. Also haben wir ihn auch auf Niederländisch gemacht, was super geklappt hat. Das ist auch ganz praktisch für Fans, um Niederländisch zu lernen.

Jacco: Es ist aber keine wortwörtliche Übersetzung (es folgt allgemeine Zustimmung).

Lars: Wir haben versucht, so eng wie möglich am Gefühl und der Bedeutung des Textes zu bleiben, als wir ihn übersetzt haben. Wortwörtliche Übersetzungen klingen nicht so gut, also mussten wir uns dabei einige Freiheiten nehmen.

Joost: Auf dieser Tour wechseln wir täglich zwischen der englischen und niederländischen Version. Aber beim letzten Refrain benutzen wir die jeweils andere Sprache.

Lars: Es ist etwas verwirrend, aber nach 13 Tagen haben wirs drauf (lacht).

Wenn man sich den Folk Metal ansieht, dann gibt es ja eine Art Skala der Ernsthaftigkeit. Diese Tour hat zum Beispiel ARKONA, die (jetzt) super ernsthaft sind und auf der anderen Seite KORPIKLAANI, die eher Spaßmacher sind. Ihr seid dann irgendwo dazwischen mit einem Hang zur Ernsthaftigkeit. Ist das eine bewusste Entscheidung, oder seid ihr einfach ernsthaftere Menschen?

Joost: Ehrlich gesagt glaube ich, dass das einfach die Art ist, wie die Band immer war. Wir haben die Musik und die Auftritte immer sehr ernst genommen. Auf der anderen Seite nehmen wir es aber auch sehr ernst, Spaß zu haben. Wenn wir auf der Bühne sind, kann man sehen, dass wir Spaß haben. Es geht uns darum, zu unterhalten, und wir wollen das auf unsere Art durchziehen. So war das schon immer.

Rowan: Beim lyrischen Konzept siehst du auch diese beiden Seiten. Bei vielen Metalbands geht es um das Böse und Schlechte. Bei HEIDEVOLK geht es aber neben ernsthaften Themen genauso darum, darüber zu singen, womit man Spaß haben kann und worauf man stolz sein kann. Wir wollen auch das Positive besingen.

Joost: Es geht auch um die Dinge, die uns im Leben geprägt haben. Wer wir sind, wo wir herkommen. Der historische Teil ist uns dabei sehr wichtig. Es geht nicht um „könnte/würde/sollte“. Schaut euch in eurer eigenen Umgebung um. Geht raus und entdeckt sie. Jeder kann um die Ecke diese Geschichten finden. Das ist uns sehr wichtig. Dass die Leute aufhören, nur irgendwas auf Netflix zu bingewatchen.

Rowan: Wir versuchen aber nicht, Geschichtsunterricht zu geben. Wenn man zwischen den Zeilen liest, erkennt man, dass es keine Geschichten der Historie sind, sondern Geschichten des Alltags. Leute, die nach einem Zuhause suchen. Rebellionen, die losbrechen.

Koen: Leute, die ihre Position vertreten. Sich selbst treu bleiben.

Wo wir bei ernsten Themen sind. Eine Sache, die der Folk-Szene anhängt, ist ja leider, dass manche Leute sie als Grundlage bzw. zur Verbreitung ihres rechten Gedankenguts nutzen. Ich war zum Beispiel vor einer Weile auf einem WARDRUNA-Konzert, bei dem wohl entsprechende Individuen Ärger gemacht haben. Bei einer Band, die nichts mit sowas zu tun hat. Weil das „Germanische“ historisch dafür missbraucht wurde. Ist HEIDEVOLK sowas auch schon untergekommen?

Rowan: Ich glaube, zum letzten Mal habe ich sowas vor über zehn Jahren gehört, als uns jemand gefragt hat, ob wir auf nationalsozialistischen Kram stehen. Ich meine, man muss sich nur unsere Lyrics anschauen und was wir tun, um zu merken, dass wir damit nichts am Hut haben.

Joost: Leider hatten wir in unserer Vergangenheit Probleme mit solchen Personen. Aber das waren immer Leute, die sich nicht wirklich damit beschäftigt haben, was wir machen.

Natürlich nicht. Denn wenn sie es getan hätten, müsste es ihnen ja klar sein.

Joost: Das ist das Problem. Und man sieht das in verschiedenen Kontexten. Zum Beispiel bei der Olympiade, wo das norwegische Team seine Jacken nicht tragen konnte, weil Runen darauf waren. Sie mussten ihre Outfits ändern. Die Leute haben nicht verstanden, dass diese Runen einfach Teil deren Kultur sind, und nur von engstirnigen Leuten in den Dreck gezogen wurden. Das ist traurig, weil manche Leute gleich zu dieser Sichtweise springen, wenn man „Geschichte“ sagt. Ich hoffe, dass wir als Band wenigstens ein wenig Bewusstsein geschaffen haben, dass es nicht nur diesen Teil der Geschichte gibt.

Galerie mit 23 Bildern: Heidevolk - "Folk Metal Superstars"-Tour 2018

Themawechsel. In einem Interview mit einem Kollegen vor ein paar Jahren habt ihr mal über wirtschaftliche Herausforderungen für Bands gesprochen. Unter anderem darüber, wie ihr mal von einer Firma betrogen wurdet, die etwas für HEIDEVOLK produzieren sollte, es aber trotz Zahlung nie geschickt hat. Sind solche Vorkommnisse nach wie vor ein Problem für Bands?

Rowan: Ja, das Interview habe ich gemacht. Sowas ist immer eine Herausforderung, da man in einer Art Schwebe ist. Man kann von der Musik nicht leben, also muss man nebenher auch arbeiten. Und wenn so etwas passiert – wie mit den Vinyls, die nie geschickt wurden, obwohl wir dafür bezahlt hatten – dann reißt das ein Loch in unsere eigenen Geldbeutel. Als Band hat man nicht so viel Geld. Übrigens, er hat uns zwar nie die Vinyls geschickt, wir sind aber auch nicht mehr sauer deshalb. Es ist scheiße, dass das passiert ist, aber wir können nicht für immer wütend bleiben.

Joost: Jetzt, wo wir größer werden und unseren Markt erweitern, reisen wir auch in neue Länder. Und in manchen Ländern ist man einfach nicht so streng, was Tantiemen und Copyright angeht. Wir haben schon Shows gespielt, wo draußen ganze Märkte waren, mit allem möglichen Kram, den wir nie produziert haben. Bikinis, Kaffeetassen, Flaggen und so weiter.

Südamerika soll da sehr schlimm sein.

Joost: Jaaa… (alle lachen) Andererseits ist es sehr cool zu sehen, wie kreativ die Leute mit deinem Merchandise werden (lacht). Ich habe ein paar Sachen zu Hause, die wir nie produziert haben. Zum Beispiel eine Kaffeetasse für 2 €.

Rowan: Aber etwas, das sich wirklich sehr verbessert hat, ist das Downloaden, dass fast bei null angekommen ist. Wegen Streamingservices wie Spotify. Der Erlös darauf hilft uns wirklich, Produktionen größer aufzuziehen.

Ich wäre dann durch. Gibt es noch was, was ihr loswerden wollt?

Rowan verschluckt sich am Essen, was bei den anderen zu lautem Gelächter führt.

Jemand: Wir brauchen einen neuen Bassisten, der hier ist kaputt!

Rowan (als er sich gefangen hat): Ich habe Essen eingeatmet, was eigentlich nicht die Art und Weise ist, wie Essen funktioniert.

Ist das die Abschlussbemerkung?

Rowan: Ich glaube, es gibt eigentlich zwei Abschlussbemerkungen. Erstens – da wir über das Streaming gesprochen haben – es ist mittlerweile so einfach, an Musik zu kommen. Also, wenn ihr das lest, hört mal in unser neues Album „Vuur Van Verzet“ rein und lasst uns auf Facebook oder so wissen, was ihr denkt. Ich hoffe wirklich, dass es euch gefällt. Und zweitens: schaut euch die Geschichten an. Wir haben einige Hintergrundinfos im Booklet. Versucht zu verstehen, dass das nicht nur historische Sachen sind, sondern Alltagsgeschichten. Versucht, daraus zu lernen. Der letzte Song „Het Juk Der Tijd“ ist über den endlosen Kreislauf, in dem wir uns befinden. Wir machen die gleichen Fehler, die wir alle ein- zweihundert Jahre machen.

Beim Schreiben habe ich die Welt schon wieder an einer Art Schwelle zum Krieg gesehen, zwischen Nationen, die gegeneinander aufgehetzt werden. Und ich dachte mir, das ist da schon passiert, und da auch schon, und so weiter. Dann war ich mal in Rom auf dem Forum Romanum und dachte mir, wie merkwürdig es ist, dass so viele römische Kaiser schon dort entlanggegangen waren. Der gleiche Ort, an dem das Fundament für die Demokratie, die wir heute haben, gelegt wurde. Doch die Demokratie wurde von einem Diktator namens Julius Cesar über den Haufen geworfen. Der Gedanke, in einem System zu leben, das auch auf diese Weise gestürzt werden kann, ist einfach beängstigend. Was die Leute nicht aus der Geschichte lernen, werden sie selbst wieder falsch machen. Hoffen wir mal, dass das niemals passiert.

Das ist mal eine gute Abschlussbemerkung. Vielen Dank für das Interview!

*Ich habe mich von HEIDEVOLK eines Besseren belehren lassen. „Vinland“, ein Bonustrack auf „Velua“ hat ebenfalls englische Lyrics.

Quelle: Heidevolk
13.03.2018

headbanging herbivore with a camera

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