Hexvessel
"Das Album war eine Beschwörung. Ich bin nur das Gefäß."

Interview

HEXVESSEL sind zurück und präsentieren mit „Polar Veil“ ein Album voller Atmosphäre, Naturmystik und Selbsterkenntnis. Mit im Vergleich zu den Vorgängern deutlich härteren, kälteren Gitarrenklängen zeigen sich die Okkult Rocker noch einmal von einer neuen Seite. Mastermind Mat „Kvohst“ McNerney steht uns Rede und Antwort zum neuen Album, Black Metal als Lebensgefühl und der Magie des Winters.

„Polar Veil“ ist härter als alle eure vorherigen Alben. War das eine natürliche Progression oder eine bewusste Entscheidung aufgrund des Themas des Albums?

Ich habe ein Problem mit dem Wort Progression. Es würde darauf schließen lassen, dass ich mich bewusst weiterentwickelt oder von der Vergangenheit entfernt habe. In unserem Sound und unserer Atmosphäre war schon immer etwas Black Metal enthalten, auch wenn es nicht sofort offensichtlich war. Es war eher unterschwellig. Es geht nicht darum, zu reifen oder sich zu verändern, sondern einfach darum, etwas zu zeigen, das schon immer da war. Wie ein inneres Heiligtum, das sich öffnet. Das ist der Schleier, der sich lüftet. Wenn du dir “Dawnbearer“ anhörst, ist es Folk, aber das Thema ist okkult (eine Anspielung auf das, was verborgen ist und entdeckt werden muss), und die Musik hat sehr viel mit den disharmonischen Melodien zu tun, die wir im Black Metal verwenden. Folk mit Black-Metal-Akkorden und die Atmosphäre sollte auch beunruhigend sein. Auch das Ziel war ähnlich. Transzendenz durch die mystischen Kräfte der Natur, die per Definition antireligiös ist.

Als ich mich vom Klima des Nordens inspirieren ließ, dachte ich darüber nach, warum ich hier bin. Warum hat es mich in die Arktis gezogen? In meinem Inneren weiß ich, dass ich im Grunde meines Herzens ein Naturmystiker bin, ein Heide, ein Verehrer der alten Götter. Wenn das in deiner Seele steckt, dann musst du im Einklang mit deiner Umgebung leben und die Götter dort finden, wo sie leben. Nicht nur das Instagram-Bild eines schönen Waldes, sondern das Ganze, was auch immer das Wetter und die Jahreszeit mit sich bringen. Das Überleben und die Notwendigkeit, auch dann weiterzuleben, wenn es schwer ist, nicht nur bequem. Die Musik und die Denkweise sind ein Teil der Person. Das ist nichts, das man sich nur „überzieht“, es ist eine Art zu leben.

Das ist für mich auch Black Metal. Es ist kein Genre, es ist eine Lebenseinstellung. Deshalb betrachte ich meine Vergangenheit, meine Jugend, meine prägenden Jahre als mein Fundament im Black Metal – als meine unerschütterliche Weltanschauung. Ich werde nie in der Lage sein, Black Metal abzuschütteln oder die Welt anders zu sehen. Das ist wer ich bin. Das ist es, was dieses Album ausdrücken will. Ich entferne das Fleisch, der Schleier wird gelüftet und darunter kommt ein tiefschwarzes Skelett der gnadenlosen Natur zum Vorschein. So gingen die Musik und die Themen Hand in Hand, und das Album war eine Beschwörung, etwas, das aus der Dunkelheit heraus rief. Ich bin nur das Gefäß.

Ihr habt im Laufe der Jahre und Alben viele verschiedene Genres und Sounds durchlaufen, so dass es fast unmöglich ist, HEXVESSEL in eine Schublade zu stecken. Was ist der unveränderliche Kern des HEXVESSEL-Sounds für dich?

Ich habe nie beabsichtigt, dass HEXVESSEL ein Sound oder ein Stil ist. Es sollte nicht einmal eine traditionelle Band sein. Ich mag keine Bands und Szenen. Das ist nur eine Möglichkeit für die Leute, ihre Erfahrungen zu kontrollieren und ein Weg, Kunst zu begrenzen. Ich sehe mich selbst eher als Auteur-Regisseur, der einzigartige Erfahrungen schafft. Ich möchte, dass das Publikum mir vertraut, wenn ich es auf eine Reise mitnehme. Der unveränderliche Kern von HEXVESSEL wäre dann einfach ich.
 Im Laufe der Jahre sind wohl auch unser langjähriger Schlagzeuger Rämänen und unsere Geigerin und Keyboarderin Helen dazugekommen.

Wie hast du vor die Songs von „Polar Veil“ in eure Live-Sets zu integrieren, da sie um einiges härter sind als die anderen Alben? Gibt es einen Song, bei dem du dich besonders darauf freust, ihn live zu spielen?

Wir spielen im Moment nur neues Material. Ich habe den Backkatalog von HEXVESSEL über 10 Jahre lang gespielt. Wir haben zum Beispiel „Dawnbearer“ komplett live gespielt und das kann man sich auf Youtube ansehen. Ich habe im Moment nicht das Bedürfnis, die alten Songs zu integrieren. Ich denke, dass es weniger ein Erlebnis ist und die neue Atmosphäre beeinträchtigt, wenn man sie nicht originalgetreu präsentiert. Wir haben „Listen To The River“ bereits auf unserer Tour mit CHELSEA WOLFE/CONVERGE’s „Bloodmoon“ gespielt und es kam beim Publikum gut an. Ich freue mich darauf, mehr von „Polar Veil“ live zu spielen.

Es ist auch das erste Album seit dem Debüt von HEXVESSEL, das keinen einzigen Baum auf dem Cover hat. Kannst du uns etwas über die Hintergründe des Cover-Artworks erzählen?

Das Cover des Albums stammt von Benjamin König und existiert schon länger als die Musik. Ich habe seine Kunst entdeckt und war besessen von diesem Bild. Ich hätte ihn bitten können, ein neues Bild für das Cover zu malen, aber dieses Bild gibt die Atmosphäre dessen, was ich erreichen wollte, so genau und lebendig wieder, dass ich es perfekt fand. Ich glaube nicht, dass ich darauf geachtet habe, dass dort kein Baum zu sehen ist, aber ich denke, dass es unter den gegebenen Umständen ganz passend ist, dass es einen klaren Bruch mit den bisherigen Konventionen gibt. In diesem Album geht es mehr um das Klima und die Mentalität als um Flora und Fauna.

Gibt es einen bestimmten Mythos oder ein bestimmtes Erlebnis, das „Polar Veil“ inspiriert hat?

Heutzutage werde ich mehr vom Wandern als vom Hören inspiriert. Jetzt habe ich die Musik im Blut. Es ist mehr ein Gefühl für den Ort und das langsame Verweilen bei den Dingen, die das Wandern in der Natur mit sich bringt. Die Schritte sind deine Beats und Rhythmen, der Wind ist dein Gitarrensound und die Vögel sind deine Melodien. Ich glaube auch, dass die Erfahrung dieser grenzenlosen Momente ein Reset für den Geist sind. Man ist in der Lage, die Dinge im rechten Licht zu betrachten.

Die Einstellung zum Schaffen besteht für mich heute darin, jeden Tag näher an ein künstlerisches Leben heranzukommen und die Welt auf diese Weise zu sehen. Alles, was man tut, fließt dann in den kreativen Prozess ein. Darüber gibt es ein Buch mit dem Titel „The Art Spirit“ von Robert Henri. „Polar Veil“ ist also in vielerlei Hinsicht eine Aufzeichnung darüber, wer ich bin, wie ich mein Leben lebe und woraus ich gemacht bin. Wir sind Wälder und Sterne, aber wir sind auch Schneewehen und Kälteeinbrüche und die Gleichgültigkeit des Chaos im Herzen des Universums.

Mein Lieblingssong des Albums ist wahrscheinlich „A Cabin In Montana“, vor allem vor dem Hintergrund, dass du das Album tatsächlich in einer Hütte geschrieben hast. Hast du einen Lieblingssong auf dem Album?

Dieser Song steht sinnbildlich für das ganze Album. Der Text geht so:

Follow the wings of the morning/To a deeper sense of belonging/Follow the bends of the river/To a deeper sense of meaning/Life begins anew

Dieser Text ist eine starke Botschaft und zeigt, wo ich mich befand, als ich in der Hütte schrieb. Es ist ein Ort, der schon weit über 100 Jahre alt ist, das Holz ist alt und rissig, abgenutzt von der Zeit, als es als Scheune und Lager für Haushaltsgegenstände auf dem Bauernhof diente. Man hat das Gefühl, dass das Gebäude Menschen kommen und gehen gesehen hat (ich habe Kugeln und falsche Zähne in der Fundamenterde gefunden), und in dieser Hinsicht hat es mich demütig gemacht, diese Welt in den Schaffensprozess mit einzubeziehen. Auf dieser Platte gibt es keine Fantasie. Es ist alles fantastische Realität.

Du hast das Album in ziemlicher Isolation geschrieben. Wie hat sich das auf den Schreibprozess ausgewirkt?

Ich schreibe immer in Isolation, aber dieses Album habe ich ganz alleine geschrieben. Ich habe eigentlich niemandem Sketches vorgespielt, ich hatte die Songs schon geschrieben, bevor wir sie mit der Band gespielt haben. Ich denke, das verleiht dem Ganzen Introspektion und Kälte. Es gibt ein Ein-Mann-Gefühl, das auch auf einigen der 90er-Platten zu finden ist. Ich denke, das ist ein wichtiger Aspekt des Black Metal. Es ist kein Rock’n’Roll. Wie Techno braucht er die Isolation und den Sound einer einzelnen, sich irgendwie durchbeißenden Person. Es ist keine Party, es ist einsames Handwerk.

Angesichts des grundsätzlichen Themas – hat das Leben in Finnland deine Sicht auf den Winter verändert? Was ist der Zauber des Winters für dich?

Es gibt ein Gedicht von Robert Graves, das wir in der Broschüre zitieren und das mein Gefühl perfekt wiedergibt.

“The skies are jewelled all around,
The ploughshare snaps in the iron ground,
The Finn with face like paper
And eyes like a lighted taper
Hurls his rough rune
At the wintry moon
And stamps to mark the tune.”
-Robert Graves, „Finland“

Ich habe immer die Anziehungskraft des Nordens gespürt. Ich habe in Karasjok in Norwegen gelebt, im Norden in der Finnmark, als ich erst 19 Jahre alt war. Ich habe im Winter 2001 ein Album in Finnland aufgenommen und ich hatte schon immer eine starke Konstitution, wenn es um Kälte und das subarktische Klima ging. Es fasziniert mich, weil ich glaube, dass das menschliche Leben am besten ist, wenn wir kämpfen müssen. Das Überleben ist Teil unserer DNA und wir sollten für unser Essen und unser Vergnügen arbeiten. Ich glaube, dass Komfort und Kapitalismus unseren wahren Sinn für Menschlichkeit zerstört haben. Ich mag es, täglich mit Leben und Tod konfrontiert zu werden und ich glaube, dass die Jahreszeiten wichtig sind. Ich könnte nicht im Süden leben und ich verabscheue heißes Wetter mit Leidenschaft. Die Leute lachen über die Winterbesessenheit von IMMORTAL, aber für mich ist das realistisch und nicht zufällig oder ein Image. Das ist unsere Welt.

Bleibt nur noch die Frage: Wie geht es mit HEXVESSEL weiter? Geht es zurück zu ruhigeren Klängen oder wirst du einfach sehen, wohin die Musik dich führt?

Das hier ist das Nächste. Das hier ist das Jetzt. Jeder konzentriert sich immer auf das, was als nächstes kommt, weil sie sich nicht auf das konzentrieren können, was sie gerade vor Augen haben. Ich glaube nicht, dass ich in nächster Zeit ruhiger werde. Ich bin zu sehr auf die Winterstürme eingestellt und sie peitschen sich in Rage. Ich warte nicht auf Musik, ich muss erst einmal mit der Musik des Zorns der Natur fertigwerden. Das ist mein Derwisch-Tanz, und ihr könnt mitmachen, wenn ihr die richtigen Schneeschuhe dafür habt.

Quelle: Mat „Kvohst“ McNerney
22.09.2023

"Es ist gut, aber es gefällt mir nicht." - Johann Wolfgang von Goethe

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