Machine Head
Diese Dinge mussten gesagt werden!

Interview

Monate vor Veröffentlichung des neunten MACHINE-HEAD-Albums „Catharsis“ (26. Januar 2018) treffen wir Robb Flynn himself im Konferenzraum eines Business-Hotels am Düsseldorfer Flughafen. Album-Promo auf diesen Level bedeutet halt eine mehrsternige Presse-Reise durch Europa anstelle von stressigen Interview-Slots an Tour-Offdays. Dementsprechend entspannt und souverän steht uns Mr. Flynn auch Rede und Antwort zur politischen Message des neuen Albums, der Trennung zwischen Bühnen- und Familienpersönlichkeit und der eigenen Drogenvergangenheit.

Robb Flynn von MACHINE HEAD (Interview 2017)

Kutten und Nieten im Konferenzhotel.

Das neue Album von MACHINE HEAD wird den Titel „Catharsis“ tragen. Auf welche Katharsis spielst du damit an? Ist es vielleicht eine Art musikalische Katharsis, wie jene, die du schon auf „Unto The Locust“ mit den Worten „music my saviour“ besungen hast?

Musik war schon immer etwas sehr kathartisches für mich. Schon bevor ich selbst in einer Band spielte. Ich habe METALLICA gesehen, wie sie am Berkeley Square vor 250 Zuschauern als Vorgruppe von RAVEN gespielt haben. Ich ging ganz nach vorne, habe geheadbangt und mich in die Circle Pits geschmissen. Ich kam mit einer gebrochenen Nase oder Rippe wieder aus dem Pit heraus, und es hat sich angefühlt wie eine Kriegsverletzung, die zu tragen eine Ehre ist. Und dann habe ich selbst angefangen in Bands zu spielen und es wurde umso kathartischer in diesem Gruppenumfeld.

Als wir uns jetzt diese Sammlung von neuen Liedern anschauten, mit Tracks wie „Volatile“ und „Bastards“, die sehr politisch sind, bis zu einem Song wie „California Bleeding“, der einfach nur ein verdammter Party-Song ist, „Eulogy“, der sich mit Depressionen befasst oder „Triple Beam“, bei dem es um Drogen geht, schien trotzdem jeder das Thema Katharsis auf seine Art zu behandeln. Im Titeltrack singe ich eine Zeile die folgendermaßen lautet: „The only thing keeping me sane / The music in my veins / And if these words are my fists / This is my cartharsis“. Das fasst eigentlich ziemlich gut zusammen, was wir mit dem Album sagen wollten.

„Catharsis“ ist ein sehr facettenreiches Album geworden und klingt stellenweise so, als hättet ihr euch wieder eingehender mit eurer Früh- beziehungsweise eurer Zwischenphase beschäftigt, die ja wesentlich mehr im Hardcore und Nu Metal angesiedelt war. Habt ihr dieses Mal ganz bewusst zurückgeschaut?

Ich meine, es gibt keinen Plan. Wenn wir damit beginnen, Musik zu schreiben, ist es immer auch der Beginn einer Reise. Und du weißt nie, wo diese Reise enden wird. Du folgst einfach der Musik, die dir in den Sinn kommt. Und diese Platte ist irgendwie einfach sehr facettenreich geworden. Es kam vor, dass wir etwas geschrieben und gespielt hatten und uns dann dachten: „Man, das ist wirklich weit weg von dem, was wir ansonsten machen.“ In der Regel lässt du es dann ein bisschen sacken und sagst dir dann entweder, dass du damit einen Schritt zu weit gegangen bist oder du denkst dir: „Fuck, das ist einfach ein verdammt geiler Song!“

Man sollte dabei immer versuchen, es nicht zu sehr zu zerdenken. Ich denke, die Art und Weise auf die wir das Album aufgenommen haben, hat uns wirklich geholfen, die Energie zu erhalten. Der normale Weg, ein Album aufzunehmen, ist, dass du sechs bis zehn Monate mit dem Schreiben verbringst und dann eine gewisse Zeit ins Studio gehst. Du machst es alles an einem Stück. Und ich bin einfach nicht sonderlich gerne im Studio. Es macht mich verrückt. Nach zwei Wochen ticke ich aus. Dann muss ich einfach raus.

Was wir also gemacht haben, war, den Prozess etwas aufzuteilen. Wir haben drei Songs geschrieben und ganz in der Nähe eines sehr guten Studios geprobt. Dann sind wir mit unseren Sachen rübergefahren, haben diese drei Songs eingespielt und sind wieder raus. So ging es super schnell. Wir haben uns einen weiteren Monat genommen und ein paar mehr Songs geschrieben, sie schnell eingespielt und das Studio wieder verlassen. Es war wie Demos machen, wenn du dieses Gefühl von Eile hast. Und das hat das Ganze sehr frisch und unmittelbar wirken lassen. Und es war spannend. Manche Songs sind tatsächlich so auf dem Album gelandet, wie wir sie am ersten Tag nach ihrem Entstehen gespielt haben. „Kaleidoscope“ haben wir zum Beispiel im Studio geschrieben und noch am selben Tag aufgenommen. Und du hörst diese verrückte Energie in dem Song. „Triple Beam“ ist noch so ein Song, der einfach super schnell entstanden ist. Und ich glaube nicht, dass wir diese Momente so gut hätten einfangen können, wenn wir „Catharsis“ auf herkömmliche Weise geschrieben und aufgenommen hätten. Ich denke, es hat diese Art der Unmittelbarkeit und der Aufregung gebracht und ich bin der Meinung, dass man das auch fühlt.

Seid ihr auf diese Art und Weise dann am Ende auch bei 15 Songs gelandet? Das Album ist ja sehr lang geworden …

Weißt du, wenn ich mir diese 15 Songs anschaue, sehe ich natürlich, dass das Album eine Herausforderung darstellen kann. Für mich ist jedes Album, das wir rausbringen, wie eine Art Film. Und „Catharsis“ ist definitiv „The Lord of the Rings“ oder „Harry Potter“. Aber mir ist auch klar, dass die Leute Musik nicht mehr auf Albumlänge konsumieren. Die meisten werden sich einfach zwei oder drei Songs rausgreifen – und das ist auch in Ordnung. Wenn du halt nur diese zwei oder drei Songs auf deine Playlist packen willst, ist das auch cool. Aber: Wenn du dich wirklich in dieses Album hineinfinden möchtest und dich auf diese Reise begeben willst, ist es für dich auch in Gänze da.

Du musst wissen, ich bin 50 Jahre alt, das ist unser neuntes Album, und ich mache das alles seit meinem 16. Lebensjahr. Ich habe viele Veränderungen miterlebt. Aktuell fühlt es sich wieder an, als erreichten wir eine Ära der Singles. Alles dreht sich um eine Handvoll Tracks. Im Grunde ist das fast wie in den Anfangstagen des Rock ’n‘ Roll, als die STONES und die BEATLES starteten. Die haben Singles rausgehauen und das Album war meistens eher ein zweitrangiger Gedanke. Alles drehte sich um Singles. Wir haben Singles, aber da wir nicht mehr die Jüngsten sind, hängen wir trotzdem auch an diesem Albumformat. Für mich ist es einfach ein großes Kunst-Portfolio.

Robb Flynn, Metalhead und Medienprofi.

 

Würdest du also sagen, der Trend geht eher zur EP oder zu noch kürzeren Formaten?

Oh, ich glaube, es werden nicht einmal mehr EPs sein. Es werden einfach nur noch Singles sein. Und wir haben den Test mit „Is There Anybody Out There“ schon gemacht. Das war einfach ein Song, der ganz für sich stand. Er gehörte weder zu einem Album noch zu einer Tour. Wir waren 20 Monate auf Tour gewesen und haben diesen Track vier Monate später rausgehauen. Und weißt du was? Es war cool. Zunächst fühlte es sich komisch an, da wir so etwas vorher noch nie gemacht hatten – aber jetzt ist es der am zweithäufigsten gehörte MACHINE-HEAD-Song bei Spotify. Und der am häufigsten heruntergeladene. Wir haben keine physische Version von „Is there Anybody Out There“ veröffentlicht, keine CD, keine Schallplatte, nichts. Nur diesen Download. Und wir fanden es cool, dass so etwas 2016 möglich ist. Früher war so etwas so einfach nicht umsetzbar.

„Es wird Leute verärgern, aber das ist mir ziemlich scheißegal.“

Zurück zum Album selbst: Es fällt auf, dass viele der Songs sich diesmal mit explizit politischen Themen beschäftigen. Hast du, vor allem vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Situation in den USA, den Drang gespürt, dich wieder politischer zu äußern? Und denkst du, dass mehr Leute und Kollegen sich in diesen Dingen zu Wort melden sollten?

Ich denke nicht, dass irgendjemand irgendetwas tun sollte. Was die Leute tun, sollen sie für sich selbst entscheiden.  Ich persönlich aber bin mit viel Punk Rock aufgewachsen, sowie mit Hardcore, Hip Hop und Thrash Metal.  Aber besonders Punk und Hip Hop haben die verwendete Sprache auf ein ganz neues konfrontatives Level gebracht, mehr als Metal das meiner Meinung nach jemals getan hat. Besonders im Hip Hop herrscht einfach eine sehr raue, vulgäre und direkte Sprache vor. Und ich habe das Gefühl, dass Metal seit nunmehr 30 Jahren die gleichen Themen besingt. Wir sangen immer noch in biblischen Metaphern, als die Musik selbst sich schon weit darüber hinaus entwickelt hatte. Und auf „Catharsis“ wollte ich einfach sehr direkt und klar sprechen und ich war der Meinung, dass diese Dinge gesagt werden mussten. Es wird Leute verärgern, das weiß ich, aber das ist mir ziemlich scheißegal. Es musste gesagt werden, und es musste innerhalb der Szene gesagt werden. Und ich war etwas überrascht, dass es vorher in dieser Deutlichkeit noch nicht gesagt worden war.

Wenn dir also ein ehemaliger Fan erzählt, dass er von nun an die Musik von MACHINE HEAD nicht mehr hören wird, weil er sich an deiner linksliberalen politischen Einstellung stört, wo er doch eigentlich immer nur die Musik genießen wollte, was sagst du ihm dann?

Das ist okay. Niemand wird gezwungen, MACHINE HEAD zu hören. Es gibt 15 Songs auf „Catharsis“ und wenn du den einen nicht magst, dann kannst du ihn gerne skippen. Wir sind nicht mehr in den 70ern, als du gezwungen warst, die Vinyl durchzuhören. Wenn es sie so sehr abstößt, dann sollen sie es nicht hören. Gleichzeitig muss ich allerdings nicht die Musik schreiben, die diese Person zufriedenstellt. Ich schreibe Musik, um mich selbst und uns zufriedenzustellen.

Machen Musik für sich selbst: MACHINE HEAD.

Aber würdest du sagen, es gibt Musiker, die Angst haben, ihre Fanbase auf diese Art und Weise zu verschrecken?

Absolut. Besonders im Musik-Business, wo es heutzutage so verdammt hart ist, überhaupt irgendetwas zu erreichen, hat jeder Angst irgendjemanden zu verärgern. Und da liegt das verdammte Problem. Manchmal musst du einfach das Richtige tun und auf die Konsequenzen scheißen.

Aktuell greift diese etwas komische Erwartungshaltung zunehmend um sich. Dieses: „Shut up and play! Niemand will dein Gelaber hören!“ Auf diesem Weg werden Musiker zunehmend entmenschlicht. Ihnen wird das Recht abgesprochen, eine Meinung zur Lage der Welt zu haben. Ich glaube aber, dass wir als Musiker nur deswegen die Verbindung zu unserer Kunst spüren können, weil wir von Natur aus emotionaler sind und unsere Emotionen in unserem Werk verarbeiten. Deswegen fände ich es sehr merkwürdig, unsere Emotionen, Gefühle und Meinungen dabei rauszuhalten. Dass gerade wir dieses Recht nicht haben sollten, während andere es haben, wirkt dabei umso verkehrter auf mich.

Deswegen tun wir, was wir tun. Ich meine, ich will nicht hier sitzen und den Eindruck erwecken, als sei das ganze Album ein einziges politisches Statement. Das ist es definitiv nicht. Aber als wir mit dem Schreiben begonnen haben, ist das dabei rausgekommen. Ich saß da und habe es mir angehört und plötzlich gehört, dass ich stellenweise eine sehr raue Sprache verwende. Aber das war es nun einmal, was gesagt werden musste und wir haben es durchgezogen.

Den Song „Bastards“ habt ihr bereits im November 2016 in einer akustischen Proberaum-Version und als Folk Song angekündigt bei YouTube hochgeladen. War von Anfang an klar, dass der Song es auf „Catharsis“ schaffen würde?

„Bastards“ habe ich wenige Tage nach dem Ende der Präsidentschaftswahlen geschrieben, nachdem ich ein längeres Gespräch mit meinen beiden Söhnen geführt hatte. Als ich ihn bei YouTube hochgeladen habe, hatte ich keinerlei Ambitionen, ihn auch auf das Album zu tun. Wir hatten gerade erst mit dem Songwriting für „Catharsis“ begonnen und ich dachte, ich würde „Bastards“ einfach hochladen und dann damit abschließen. Als das Album dann aber Form annahm, tauchte ein Thema immer wieder auf, das in einer Textzeile von „Bastards“ enthalten ist: „Stand your ground, don’t let the bastards win!“ Es fand sich in „Hope Begets Hope“, in „Eulogy“, in „Catharsis“, in „Grind You Down“.

Weißt du, bei MACHINE HEAD haben wir viele „Empowering Songs“: „Imperium“, „Ten Ton Hammer“, solche Sachen, aber dieser Zeile wohnte etwas besonders kraftvolles inne. „Stand your ground / Don’t let the bastards grind you down / Be bold, be strange, dont let their fears make you afraid.“ Also haben wir es weiter ausgearbeitet. Diesen Tapping-Part hatte ich schon vorher und dachte dann, es könnte cool werden, das Ganze runterzustimmen. Also richtig tief, auf F. Wir haben es versucht, ein bisschen damit rumgespielt. Dann haben wir die Hammond-Orgel hinzugefügt. Und da dachte ich mir schon, dass hier am Ende etwas Besonderes und Einzigartiges stehen könnte. Über einen solchen Song stolperst du nicht alle Tage. Zu so etwas musst du dann einfach stehen und es veröffentlichen.

Ein weiterer Song, den du bereits angesprochen hast und der mir beim Hören von „Catharsis“ auch besonders aufgefallen ist, ist „Triple Beam“.  Hier thematisierst du ziemlich offensichtlich auch deine eigene Drogenvergangenheit.  Wie stehst du heute zu Drogen und wie wirst du reagieren, wenn deine Söhne irgendwann ihre ersten eigenen Erfahrungen machen?

Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Dieser Song beschreibt einen Moment in meinem Leben aus meinen Zwanzigern. Ich weiß gar nicht so richtig, wo dieser Song überhaupt herkam. Ich habe diese Lyrics nicht zu genau dieser Musik geschrieben. Ich wache jeden Morgen zwischen vier und halb fünf auf und schreibe Lyrics, vor allem wenn ich mich gerade mitten im Schreibprozess befinde. Die meisten Sachen die ich schreibe sind richtig scheiße, aber ab und an ist was Gutes dabei. Den Text zu „Triple Beam“ fand ich von Anfang an gut, aber ich hatte keine Musik dazu. Und dann haben wir diese spannenden Rahmen dazu geschrieben.

Was meine Kinder angeht: In meiner Rolle als Vater bin ich glaube ich ziemlich konservativ. Ich fluche zum Beispiel nicht, wenn sie in der Nähe sind. Zumindest versuche ich, es nicht zu tun. Es passiert natürlich trotzdem, dass wir Campen gehen und ich mich mit meinen Freunden betrinke und dann bin ich auch schnell wieder ein richtiger Motherfucker. Aber wenn sie mich auf der Bühne sehen, sind sie überrascht. Sie sind es nicht gewohnt, dass ich so viel fluche. Als mein Ältester mich zum ersten Mal sah und wir zu „Imperium“ auf die Bühne kamen und alle „fucking fingers“ sehen wollten, hat er sich zu seiner Mutter herumgedreht und gesagt: „Mama, Papa flucht ganz schön viel auf der Bühne.“ Die meisten meiner Songs haben sie noch nie gehört. Noch nicht einmal „Bastards“. Möglicherweise wird das auch nie passieren. Ich habe ihnen weder  „Imperium“ vorgespielt noch „Davidian“. Es wird eine Zeit kommen, da werde ich das tun, vielleicht in ein paar Jahren. Aber ich werde sie sicher nicht dazu drängen. Das gehört für mich dazu, wenn man ein guter Vater sein will. Wir machen halt einfach keine Musik für Kinder. Punkt.

Mit „Catharsis“ im Gepäck werdet ihr wieder einen großen Tour-Zyklus starten. Abermals im „An Evening With …“-Format. Nur MACHINE HEAD, kein Support. Wie schwer fällt es euch, jeden Abend diese zweieinhalb bis drei Stunden Bühnenprogramm abzureißen?

In gewisser Weise ist es sogar einfacher. Denn wenn du ein Festival spielst, oder einen Support-Slot mit 50 Minuten Spielzeit ausfüllst, ist es einfach nur ein reines Gemetzel. Du willst so viele harte Songs wie möglich spielen und die Leute ausflippen sehen. Und MACHINE HEAD sind definitiv eine Heavy-Band. Die brutalste? Ich denke nicht, dass wir 2017 auch nur annährend zu den brutalsten Bands da draußen zählen. Und wir hatten schon immer diese ruhigeren Momente in unserer Musik. Auf jedem Album. Sei es nun „I’m Your God Now“ oder „The Burning Red“, „Deafening Silence“, „Darkness Within“ oder Descend The Shades Of Night“. Im Festival-Kontext würden wir diese Songs vielleicht niemals spielen, weil der harte Kram da Priorität hat. Bei den „Evening With …“-Shows musst du dich zwangsläufig bremsen. Dich und auch das Publikum. Niemand hält drei Stunden im Circle Pit aus. Deswegen flechten wir diese ruhigeren Momente ein, damit alle mal durchatmen können.

Ich meine, klar, ich muss vor der Tour auch ordentlich trainieren, um in die richtige Verfassung zu kommen. Aber wenn man dann dabei ist, ist es tatsächlich fast einfacher, gerade auch weil du die ruhigeren Songs spielen kannst. Es ist verdammt gut, ich meine, die Leute lieben diesen Kram. Als wir mit diesem Tourformat anfingen, haben wir einige Songs wieder hervorgeholt, die wir ewig nicht live gespielt hatten. Manche sogar noch nie. Und die Leute sind komplett ausgerastet. Als wir „Crashing Around You“ nach Ewigkeiten zum ersten Mal wieder gespielt haben, sind die Leute schlicht ausgetickt.

Das Tourplakat zur „Catharsis“-Welttournee.

„Wir wollen das Level erreichen, auf dem GRATEFUL DEAD und BRUCE SPRINGSTEEN ihr Ding machen.“

Woran liegt es aber dann, dass vor allem im Metal diese Tour-Pakete mit drei oder mehr Bands eher die Regel als die Ausnahme sind. Hat das finanzielle Gründe?

Ich kann da natürlich nicht für andere Bands sprechen. Ich weiß nur, dass wir seit nunmehr 23 Jahren Festivals und Tour-Pakete mitnehmen und ich besonders Festivals mittlerweile nicht mehr ausstehen kann. Ich bin es irgendwann so leid geworden. Die ganzen Verhandlungen, bei sieben Grad und strömendem Regen auf der Bühne stehen. Aber vor allem habe ich irgendwann keine Verbindung mehr zum Publikum gespürt. MACHINE HEAD können ein Festival rulen, die 80.000 Leute sind nicht das Problem. Jeder bekommt die ans Springen oder kriegt den Circle Pit um den Mischturm zustande.

Ich erinnere mich an das letzte Festival, das wir gespielt haben: Es hat mich kaputt gemacht. Wir spielten auf einem Parkplatz zwischen zwei Einkaufszentren vor 15.000 Leuten, es war arschkalt und hat aus Eimern geschüttet. Mein Verstärker hat Aussetzer wegen der Nässe, alle stehen da in ihren beschissenen Regencapes und bis zu den Knien im Schlamm. Und ich dachte nur: „Was zur Hölle tun wir hier? Was hat das mit Metal zu tun? Dafür habe ich nicht mit der ganzen Sache angefangen. Fuck this!“ Für mich war es absolut deprimierend. Und darüber hinaus war einfach niemand wirklich bei der Sache. Jede verdammte Band hätte in diesem Moment auf der Bühne stehen können. Nach dieser Sache haben wir uns intensive Gedanken darüber gemacht, wie wir unsere Band managen wollen. Und natürlich ist das, was sich für uns als richtig rausgestellt hat, nicht unbedingt auch das Richtige für andere Bands. Nicht jede andere Band hat neun Alben im Gepäck und 50 Jahre auf den Knochen. Nicht jede Band hatte die Karriere die wir hatten, nicht jede Band hat die Dinge hinter sich, die wir hinter uns haben. Wir mussten sehen, was das Beste für uns ist. Viele Leute wollten uns dieses Tour-Format ausreden. Das sei etwas für Jam-Bands, für Hippie-Bands. Es ist nicht sonderlich populär. BRUCE SPRINGSTEEN macht so etwas. Wir haben es trotzdem durchgezogen. Weißt du, alles in der Musik-Welt verändert sich. Einfach alles. Was vor zehn oder 15 Jahren funktionierte, funktioniert heute möglicherweise nicht mehr. Und diese traditionelle Art des Tourens funktionierte für uns nicht mehr. Wir zogen weniger Leute an, wir verkauften aus diesem Grund auch weniger Alben. Und wir dachten uns, dass sich etwas ändern muss. Deshalb haben wir mit „An Evening With …“ angefangen. Und es war die beste Idee, die wir jemals hatten. Es hat unsere Passion wiederbelebt.

Insgesamt bin ich aber auch der Meinung, dass mehr Bands diesen Weg gehen sollten. Wenn BRUCE SPRINGSTEEN in die Stadt kommt, fragt keiner nach den Support-Bands. Es ist verdammt nochmal BRUCE SPRINGSTEEN. Gleiches gilt für MCCARTNEY, U2 oder wen auch immer. Im Metal hat es sich irgendwann in diese Richtung entwickelt, dass es immer 150 verdammte Bands sein müssen. Aber ich glaube, es geht auch ganz anders. Wir wollen dieses Level erreichen, auf dem GRATEFUL DEAD und BRUCE SPRINGSTEEN ihr Ding machen.

Die letzte Frage zum Live-Geschäft bezieht sich auf deine Aussage, dass du, wegen der Zeile „Let freedom ring with a shotgun blast“ nach dem Massaker von Las Vegas den Song „Davidian“ nicht mehr live spielen möchtest. Wie ist deine jetzige Position dazu?

Seit dieser Aussage sind MACHINE HEAD noch nicht wieder im Proberaum zusammengekommen. Ich weiß nicht genau, wie ich aktuell dazu stehe. Ich habe diese Aussage unter dem Eindruck dieser schrecklichen Tragödie gemacht. Andererseits haben wir in den USA mittlerweile alle zwei Monate eine Massenschießerei. Alle zwei Monate sterben verdammt nochmal 20, 30, 40 oder 50 Leute bei derartigen Vorkommnissen. Es ist krank. Und es wird mit sehr schwer fallen, diese Worte in nächster Zeit zu sagen und irgendetwas Gutes dabei zu fühlen. Manche Leute meinten, ich solle die Worte für die kommende Tour abwandeln in: „Let freedom ring like a popcorn pack.“ Was ich ziemlich lustig finde. Vielleicht mache ich das, vielleicht ist das der beste Weg darum herum. Aber ich weiß nicht, wie ich mich im Januar fühlen werde. Bis dahin sind es noch zwei Monate.

Abgesehen davon bin ich ja der Meinung, dass wir jede Menge Songs haben, die genauso gut sind wie „Davidian“, wenn nicht noch besser. Die Medien haben diese ganze Aussage auch ordentlich gepusht. Ich meine, wir haben schon ganze Touren durchgezogen, ohne „Davidian“ zu spielen. Es hat niemanden interessiert. Und jetzt kündige ich so etwas an und alle rasten aus und schreien: „Damit lasst ihr die Bösen gewinnen!“ Und ich denke mir: „Inwiefern gewinnt irgendjemand dadurch irgendetwas? Was redet ihr da?“

Wir freuen uns trotzdem auf die Tour und danken dir für deine Zeit!

Es war mir eine Freude!

19.01.2018
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