Nailed To Obscurity
"Vor 20 Jahren haben wir eigentlich nur Geknüppel gehört."

Interview

Fast sieben lange Jahre dauerte es bei NAILED TO OBSCURITY, bis das erfolgreiche „Black Frost“ mit „Generation Of The Void“ endlich einen würdigen Nachfolger gefunden hat. Wie damals schnappten wir uns auch dieses Mal Gitarrist Jan-Ole Lamberti und Sänger Raimund Ennenga zum entspannten Plausch, um nicht nur zu klären, was in der Zwischenzeit passiert ist, sondern auch, warum die Platte nochmal ein ganzes Stück ruhiger ausgefallen ist, als ihr Vorgänger. (Bandfoto: Mumpi Künster)

Hallo Jan-Ole, hallo Raimund. Danke, dass Ihr Euch noch die Zeit genommen habt, obwohl ich ein wenig spät dran bin. Wie läuft es denn bislang mit dem neuen Album? Wie zufrieden seid Ihr gerade?

Jan-Ole: Eigentlich sind wir ziemlich zufrieden. Wir haben zwar immer ziemlich positiven Zuspruch bekommen, aber ich glaube, jetzt ist es nochmal ein bisschen eindeutiger. Es gab sonst auch mal Ausreißer, bei denen wir dachten, damit sind wir nicht einverstanden (lacht). Dieses Mal ist es aber auffällig positiv und was ich persönlich am coolsten finde ist, dass das Feedback bei den meisten Leuten, mit denen wir geredet haben, was ja zum jetzigen Zeitpunkt überwiegend Journalisten waren, ziemlich genau das herausarbeitet oder erwähnt, was wir uns auch als Ziel gesetzt haben. Mal schauen, wie es bei Dir nachher ist, wenn du dazu noch was sagst. Das fühlt sich an, wie eine Bestätigung, dass genau das, was wir anders machen wollten oder das, was wir besonders herausstellen wollten, auch genauso verstanden wurde. Ein ziemlich cooles Feedback, finde ich persönlich, da das beim Songwriting der Plan war und die Leute es scheinbar genauso verstehen. Ansonsten liegt ja auch viel Zeit zwischen den beiden letzten Alben und es hat sich einiges verändert.

Man sieht das schon an den Verkaufszahlen oder an der Gewichtung zwischen den physischen Varianten und dem Streaming. Streaming sah bislang noch nicht so gut aus, aber auf der anderen Seite merkt man natürlich auch, dass man es als kleinere Band heutzutage noch schwieriger hat, weil es so ein großes Angebot gibt und immer mehr Bands immer mehr herausbringen und immer mehr Videos und Social Media gefühlt die Reichweite eher limitieren, als dass man tatsächlich mehr Leute erreicht. Das merkt man schon, da hat sich zu dem letzten Release auch einiges zum Negativen verändert. Alles in allem ist das Gefühl aber ganz gut und wir haben bald unsere Tour. Das ist ja auch ein neuer Schritt für uns, eine Tour als Headliner zu spielen und nicht, wie in den letzten Jahren, in denen wir zwar sehr große Touren gespielt haben, aber immer als Support. Wir waren gerade in Griechenland und in der Türkei. Dort waren wir vorher noch nie und in der Türkei waren wir zum Beispiel direkt Headliner. Das waren sehr coole Shows, die für uns ein wichtiger Vorgeschmack auf die Tour waren. Ich hoffe die wird ähnlich gut.

Du hast es gerade schon kurz, mit einem Halbsatz angesprochen: Was war da eigentlich los? Wir haben das letzte Mal zu „Black Frost“ gesprochen, das ist jetzt fast sieben Jahre her. Ich vermute, dass es nicht geplant war, dass es so lange dauern wird?

Raimund: Du hast dich nicht gemeldet, Du hast dich nach einem Interview gefragt. Das ist ja wohl die eindeutige Antwort.

Jan-Ole: Das Album war ewig fertig, aber Du hast dich nicht gemeldet. (beide lachen)

Ich bin schuld, das wird die neue Schlagzeile: „Album verzögert sich wegen metal.de-Redakteur mehrere Jahre.“

Raimund: Ich denke, wenn man sich diese große Lücke mal in Summe anschaut, steht natürlich erst einmal der Elefant im Raum: Die Pandemie. Das ist auch tatsächlich so. Wir haben 2019 „Black Frost“ offiziell veröffentlicht und haben dann entsprechend das Album betourt, neben der eigentlichen Tour auch noch Festivalauftritte, Einzelshows, usw. gespielt. Anfang 2020 haben wir nochmal eine größere Tour gespielt, kamen quasi gerade nach Hause und sind in diese neue Situation rein geschlittert. Damit mussten wir uns auch erst mal arrangieren, da wir uns persönlich nicht mehr treffen konnten. Wir haben in den Interviews bis zu „Black Frost“ immer betont, dass das finale Arrangement eigentlich im Proberaum passiert. Wir mussten uns also ein Stück weit neu erfinden und hatten zudem auch sehr ambitionierte Pläne, was die Ausgestaltung der Musik angeht, die dann auch nochmal ein Learning erforderten. Der Prozess gestaltete sich entsprechend insgesamt ausgedehnter mit den Hürden, die durch die Pandemie gegeben waren. Wir hatten schon vor, dass die Songs dynamischer werden, dass wir mehr Clean-Gesang zulassen, wir die Songs auf eine gewisse Art und Weise größer werden lassen, in Sachen Arrangement. Da kann Jan-Ole sicherlich auch eine ganze Menge zu sagen. Es war also der Prozess dahinter der, bedingt durch die Pandemie, ein bisschen gebremst war.

Als die Pandemie vorbei war, haben wir 2022 unser tourstärkstes Jahr überhaupt gespielt. Wir sind siebeneinhalb Wochen durch die USA getourt, waren dann in Summe auch noch einmal siebeneinhalb Wochen in Europa unterwegs, auf zwei Touren verteilt, haben dazwischen noch Einzelshows gespielt. Entsprechend hatten wir fast gar keine Zeit, um uns wirklich auf das Songwriting zu konzentrieren, das Ganze zu fokussieren und haben deswegen nochmal auf das Bremspedal getreten. 2023 haben wir dann gesagt, wir finalisieren dieses Album, haben dabei aber auch nochmal gemerkt, dass das Erreichen dieses Zieles einen weiteren, sehr großen Lernprozess erfordert. Wir haben sehr viel Zeit in das finale Ausgestalten der Songs investiert. So kam es dann am Ende eben dazu, dass wir zwar 2022 schon mal zwei Songs veröffentlicht haben, mit denen wir sozusagen das Produktionssetup getestet haben.

Jan-Ole hat, gemeinsam mit uns, bereits eine sehr stark ausgearbeitete Vorproduktion erarbeitet, bevor wir damit ins Studio gegangen sind – erst einmal instrumental bei V. Santura (TRYPTIKON, ex-DARK FORTRESS, Anmerk. d. Verf.) und dann bei Jacob Hansen in Dänemark, wo wir die Vocals aufgenommen und sowohl Mixing als auch Mastering gemacht haben. So konnten wir zumindest „Liquid Mourning“ und „Clouded Frame“ schon mal droppen. Wir haben dachten eigentlich auch schon, dass die beiden das Vehikel für die Albumkampagne sind, aber es hat sich dann eben, wie gerade schon geschildert, doch noch ein bisschen gezogen. 2023 haben wir das Album mehr oder weniger finalisiert und 2024 ist auch noch eine Menge daran passiert. Jetzt ist eine ganze Menge Zeit verstrichen, aber endlich ist „Generation Of The Void“ draußen. Im Prinzip haben wir das, was wir erreichen wollten, ein Stück weit auch erreicht, wenn man sich das Feedback anhört.

Jan-Ole: Die größte Herausforderung in der Pandemie war eigentlich, dass wir, weil wir es als Band zusammen nicht anders können, im Proberaum sein mussten und dann auf einmal zu Hause oder in einer Studiosituation schreiben mussten. Ich wollte das eigentlich auch immer, habe das teilweise auch zusammen mit Volker (Dieken, Gitarre, Anmerk. d. Verf.) schon gemacht, dabei hatte ich mich aber immer um die Technik gekümmert und Volker ist dazugekommen. Das haben wir immer vorher so gemacht und dann im Proberaum finalisiert. Jetzt war es aber dann so, dass alle irgendwo verstreut waren, wir aber eben nicht zusammensitzen konnten. Es hat auch eine Weile gedauert, bis Volker gesagt hat, dass wir irgendwie auch wieder zu zweit weitermachen können. Also kam es beispielsweise dann so, dass es hieß: „OK, jetzt muss jeder mal Cubase lernen, damit wir Songwriting machen können, denn bisher kann es nur einer“.

Am Ende ist zwar dann doch viel in diesem Raum entstanden, bei mir. Trotzdem hatte das eine positive Seite, dass wir teilweise so arbeiten konnten und ich glaube, das hatte auch einen sehr großen Einfluss darauf, wie das Album jetzt klingt. Vor allem, da wir viel mehr Zeit für den Gesang hatten. Auch das war ein Punkt, den wir erst neu lernen mussten, denn so ins Detail sind wir bei der Gesangsproduktion noch nie gegangen. Wir hatten zwar immer wieder Klargesang auf unseren vorigen Alben, aber nie so, dass sie so ein großer Teil der Komposition waren. Das hat auch Zeit gekostet. Aber es gibt natürlich auch ganz andere Faktoren, die jetzt noch gar nicht genannt wurden. Beispielsweise, dass wir alle berufstätig sind und die Zeit erst mal finden müssen. Wir waren ja auch bei den Alben davor nicht wirklich schnell, es lag immer viel Zeit zwischen den Alben. Wir würden das auch gerne schneller machen, aber dann würde, glaube ich, die Qualität darunter leiden, wenn wir es erzwingen. Andererseits würden wir sehr viel schneller sein, wenn wir uns mal ein halbes Jahr hinsetzen könnten und das unsere einzige Arbeit wäre.

Man darf aber auch einen anderen Punkt nicht ganz vergessen, den wir noch in keinem Interview genannt haben: Wir haben uns viel vorgenommen mit dem Album und ein recht aufwändiges Setup. Wie Raimund gerade schon sagte: Recording bei V. Santura, weitere Aufnahmen und Mix bei Jacob Hansen, einige Sachen haben wir hier wiederum bei mir aufgenommen. Die kamen nachträglich noch dazu, weil wir dachten: „Da fehlt noch was, ein paar Soli, ein paar Synthesizer, usw.“. Das war natürlich alles viel teurer, wir mussten schauen, dass wir Termine bekommen, bei den verschiedenen Studios, was auch nicht einfach war. Während Corona nicht, aber erst recht nicht danach, als alle auf einmal wieder wollten. Wir hätten bestimmt zwei Jahre eher fertig sein können, aber auf der anderen Seite bin ich zufrieden, dass es am Ende so gekommen ist, denn in der Zeit ist an den Songs auch wieder ein bisschen was passiert. Es ist also echt super viel zusammengekommen, was letztlich zu der Verzögerung geführt hat.

Raimund: Ich finde auch, wenn man ein bisschen weggeht von den ganzen technischen Aspekten, dass es so eine Art Corona-Hangover gab. Emotional zu reflektieren, was da eigentlich gerade passiert ist, in Bezug auf die Isolation und direkt danach in 2022 plötzlich in eine Kriegssituation in Europa zu rutschen. Letzteres passierte während wir in den USA waren, was für uns auch völlig absurd war. Bevor ich dabei war, waren die Jungs zwar auch schon mal in Mexiko, aber prinzipiell waren wir das erste Mal interkontinental unterwegs, wir sind sozusagen einmal nicht in Europa und ausgerechnet dann passiert so etwas. Das hat viel mit uns gemacht und wir haben es erst 2023 so richtig verarbeitet. 2022 hatten wir so viel Ablenkung durch das Live-Spielen, das hat einen hier und da vielleicht auch mal ein bisschen gelähmt und dazu geführt, dass es vielleicht die ein oder andere Woche länger gedauert hat, bis man wieder den Kopf frei bekommen hat, um kreativ zu sein.

Raimund mit Nailed To Obscurity auf Tour 2024

Jan-Ole hat ja die Gesangsproduktion gerade schon angesprochen. Man merkt aber auch, dass Du Dich mittlerweile im Klargesang sehr viel wohler oder sicherer fühlst. War das auch ein Grund für Euch zu sagen: „Hey, das hat auf dem letzten Album gut funktioniert, dann können wir das jetzt auch nutzen um flexibler im Songwriting zu werden?“

Raimund: Da steckt eigentlich ein großer Prozess dahinter. Während wir mit dem Songwriting für dieses Album angefangen haben und klar war, dass das Ganze jetzt offener ausgestaltet ist, um Clean-Gesang mehr zuzulassen, musste ich natürlich erst einmal schauen: Wer bin ich eigentlich als Sänger? In der Vergangenheit war es so, dass ich, wenn es eine passende Stelle gab, einfach irgendwie gesungen habe ohne, dass das jetzt irgendwie abwertend klingen soll. Ich habe bewusst Gesangsunterricht genommen, um überhaupt herauszufinden, wo ich stimmlich liege und durch die aufwendigere Vorproduktion, haben wir das Ganze auch immer mal wieder konserviert, damit die anderen auch nochmal hören können, wo eigentlich mein Sweet Spot liegt. Die Gesangsmelodien, die haben Jan-Ole, Volker und ich sozusagen auf meine Stimme geschrieben, das hatten wir vorher noch nie so gemacht. Wir haben immer mal geschaut, wenn sich eine Melodie anbot, dass ich sie singe, um dann vielleicht festzustellen, dass sie zwar für den Song funktioniert, aber nicht für meine Stimme. Das gibt mir am Ende auch das Selbstbewusstsein zu wissen, dass ich das, was ich da mache immer abrufen kann, damit es auch live gut funktioniert. Es ist also eine Mischung, aus einem gewissen Selbstbewusstsein und der anders ausgestalteten Produktion. Ich glaube, ich singe heute bedeutend anders, mit einem anderen Selbstbewusstsein und mit einem anderen Gefühl dabei, weil ich immer mehr den Sänger-Raimund in mir finde, wo vorher vielleicht nur der Schreihals war.

Jan-Ole: Man muss aber auch dazu sagen, dass es schon ein lang angelegtes Ziel war, sogar schon seit „King Delusion“, das mehr zu machen. Es hatte noch nicht mal was mit Selbstbewusstsein zu tun, sondern einfach, dass wir uns dem Gesang gar nicht so gewidmet haben, wie man sich ihm hätte widmen sollen. Der Gesang ist eigentlich immer erst im Studio entstanden, weil uns selber das Wissen fehlte und wir gesagt haben „Wir gehen jetzt einfach ins Studio, wir haben so eine grobe Idee, das probieren wir dann.“ Wenn ich einen Teil aufgenommen habe, saß Volker mit Raimund zusammen und wenn Volker aufgenommen hat, war ich da, haben überlegt und dann haben wir das einfach gemacht und den Produzenten gefragt: „Wie siehst du das?“ Wenn er gesagt hat „ja, klingt gut“ haben wir es so gelassen, aber das war es dann eigentlich.

Jetzt haben wir uns mindestens ein Jahr lang jede Woche getroffen, teilweise gab es auch Wochen, in denen wir uns jeden Tag getroffen haben und haben hier, in der Studiosituation, wirklich nur Vocal-Arrangements gemacht. Da kommt, glaube ich, auch das hörbare Selbstbewusstsein her, weil einfach viel mehr Praxis da ist, viel mehr durchdacht wurde und es am Ende kein Zufallsprodukt ist, sondern wirklich komplett von vorne bis hinten durchdacht und auch hinterfragt, ob es so funktioniert.

Wir haben auch die Arrangements angepasst. Es ist also nicht nur so, dass wir Melodien rausgeschmissen haben, von denen wir dachten, dass sie nicht passen, sondern haben beispielsweise im Titeltrack, den Chorus komplett getauscht. Er hatte zuerst eine Gitarrenmelodie, die einfach nicht funktionierte, das klang super langweilig.In dem Fall hatte ich dann festgestellt, dass es gar nicht an der Gesangsmelodie liegt. Die ist eigentlich der coole Part. Schlecht daran war, was wir vorher geschrieben haben, was ein Chorus hätte sein sollen, aber nicht den Effekt hatte, den wir suchten. Die Melodie vom Gesang hatte das aber sehr wohl, also haben wir das instrumentale dahinter weggenommen und hinter der Gesangslinie den Chorus einfach neu geschrieben. Dann hat es auf einmal funktioniert. Solche Sachen haben wir gemacht, das gab es früher einfach nicht. Wir haben uns viel, viel mehr Zeit genommen und auch viel gelernt.

Ihr habt es bestimmt schon hundertmal gehört, aber ich muss jetzt einen Namen nennen, den ich auch in unserem letzten Interview schon erwähnt hatte: KATATONIA. Damals ging es in erster Linie um die Klargesangspassagen, ich finde dieses Mal geht es aber auch instrumental an einigen Stellen in die Richtung „melancholischer Rock“. Würdet Ihr sagen, dass das auch so geplant war oder hat sich das ergeben?

Jan-Ole: Das war schon immer ein großer Einfluss, es ergibt sich aber auch daraus, dass, mehr Clean-Gesang da ist. Das eröffnet ja auch mehr Möglichkeiten, instrumental in eine rockigere Richtung zu gehen. Wobei ich sagen kann, dass es definitiv viel KATATONIA-Einfluss gibt, aber auch ganz viele andere Sachen. Wir hören mittlerweile eigentlich alle viel mehr ruhigere Sachen, wenn man das mit vor 20 Jahren vergleicht, als wir eigentlich nur Geknüppel gehört haben. Was natürlich noch dazu kommt ist, dass wir einen Produzenten gewählt haben, der die letzten beiden KATATONIA-Alben vor dem aktuellen gemacht hat (Jacob Hansen ist verantwortlich für Mix und Mastering von „City Burials“ und „Sky Void Of Stars“, Anmerk. d. Verf.)

Wir haben schon gedacht, dass wir diese Tiefe, diese Atmosphäre auch gerne haben wollen, insofern kommen da viele Sachen zusammen, die das ein bisschen bewirken, dass man an KATATONIA denkt. Das finde ich auch überhaupt nicht schlimm. Es gab den Vergleich immer, auch Vergleiche mit OPETH und das sehe ich beides als Kompliment, auch in dem Wissen, dass wir durchaus nicht wie eine Kopie dieser Bands klingen. Das merkt man auch daran, dass ganz oft Bands als Vergleich genannt werden und wir denken: „Können wir jetzt gar nicht nachvollziehen“. Mit INSOMNIUM werden wir beispielsweise sehr oft verglichen, aber keiner von uns versteht so richtig, warum. Wir würden gerne mit INSOMNIUM touren und finden, dass das gut passen würde, aber so richtig verstehen wir nicht, warum wir so oft mit ihnen verglichen werden, wobei ich den KATATONIA-Vergleich wiederum sehr gut nachvollziehen kann.

Man kann im weitesten Sinne sagen, es hat beides Death-Metal-Elemente und ist irgendwie, melancholisch…

Jan-Ole: Das reicht ja eigentlich auch. Das legitimiert ja einen Vergleich und, wenn das die Schublade ist, sind definitiv beide Bands darin.

Raimund: Ich denke, es ist vielleicht für uns auch schwerer nachzuvollziehen, wenn es Bands sind, die wir sehr aktiv hören. KATATONIA ist sozusagen Common Sense in der Band, da sind wir uns, glaube ich einig. Außerdem eine bestimmte Phase von OPETH oder auch PARADISE LOST und solche Bands, die wir sehr, sehr aktiv hören. Da ist dann vielleicht INSOMNIUM für uns ein bisschen weiter weg, obwohl wir die Band gut finden, aber es ist keine eine Band, die man so richtig inhaliert hat. Wie Jan-Ole gerade auch schon sagt, im Prinzip hört jemand melancholischen Melodic Death Metal, bewegt sich darin als Liebhaber und findet da natürlich auch irgendwie eine Schnittmenge, die wir vielleicht gar nicht sehen, weil wir da gar nicht dran denken. Das soll aber auch nicht heißen, dass wir immer daran denken: „Lass uns möglichst nach KATATONIA klingen“.

Jan-Ole: Im Gegenteil. Wenn ich daran denke, wie wir das Album geschrieben haben, gab es da schon Stellen, wo wir gesagt haben: „Lass uns mal was machen wie…“ Das waren aber dann Sachen wie BRING ME THE HORIZON, zum Beispiel. Ich weiß genau, welcher Part das ist, verrate es aber natürlich nicht, denn dann würde man es vermutlich merken. Nicht, weil es geklaut ist, sondern weil es für uns etwas neues war und man da merkt: „OK, stimmt, wenn sie an diese Band gedacht haben und an den Song, dann ergibt das Sinn“. GOJIRA, LEPROUS, VOLA, an solche Bands haben wir oft gedacht. Aber KATATONIA sind einfach schon seit so vielen Jahren so ein großer Einfluss, dass man das vielleicht auch nicht ganz vermeiden kann, dass man mal so klingt. Ganz ohne Einflüsse geht es ja auch nicht, aber wenn wir wirklich mal gesagt haben, so was ähnliches wollen wir auch erreichen oder bewirken, klingt es lustigerweise nie danach, sondern wird irgendwas ganz anderes. Es wäre ja dumm, wenn es eine Kopie wird, aber das sind immer ganz andere Sachen. So etwas wie BRING ME THE HORIZON hört von uns aktiv keiner so richtig, aber alle denken, das sind ein paar richtig geile Songs. Dann analysiert man es ein bisschen und sagt: „Ah, ich habe verstanden, warum der Song so geil ist, das versuchen wir jetzt auch mal“. Man macht dann eben etwas eigenes und bedient sich an diesem einen Trick, den man entlarvt hat.

Vor kurzem habe ich VOIDHAVEN aus Hamburg mal wieder live gesehen. Der Sänger sagte einen Song, der verhältnismäßig catchy war, als „Stadion Doom“ an. Ist dann „Spirit Corrosion“ Eure Version von Stadion-Death-Metal?

Raimund: Ich verstehe den Gedanken auf jeden Fall. Ich denke der Grund ist, dass der Song so „groß“ klingt. Er hat immer noch die emotionale Gravitas, die unsere Musik, wenn es nach uns geht, haben soll und sie verliert sie dadurch nicht, aber es klingt sehr groß, gerade bei „Spirit Corrosion“, wo wir zum ersten Mal mit von einem Chor gesungenen „Oh’s“ gearbeitet haben. Auch wir hatten natürlich den Moment, in dem wir uns gefragt haben, ob das jetzt vielleicht ein wenig drüber ist, zu nah an „Doomy Gloomy“ oder bringt es den Song voran? Wir haben es einfach ausprobiert, haben es passieren lassen und gemerkt: „Nein, es bringt den Song voran, es öffnet den Song“. Aber ja, es hat eben so ein bisschen diesen Stadion-Effekt.

Jan-Ole: Wenn man auf die YouTube-Kommentare unter dem Video guckt, dann wird es ja auch bestätigt, denn das klingt jetzt ja „wie beschissenes COLDPLAY“.

Raimund: (lacht) Und ich liebe diesen Kommentar, das ist mein Lieblingskommentar.

Jan-Ole: Ja, ich habe mich auch gefreut. Aber ja, tatsächlich war das so. Wir saßen hier zu dritt, glaube ich, zu dem Zeitpunkt. Volker, Raimund und ich. Wir haben überlegt, da dem Song noch irgendwie etwas fehlte. Die Gesangslinie war cool, aber irgendwie klang es nicht groß, öffnete sich nicht und irgendwann meinte ich: „Ich habe eine richtig dumme Idee, aber vielleicht ist es gar nicht so dumm“. Ich bin rüber gegangen, habe das gemacht, kam zurück und wir haben zehn Minuten überlegt, haben aber irgendwann gesagt: „Nee, eigentlich ist es geil“. Danach haben wir es alle eingesungen und waren uns relativ schnell einig, dass wir das so gut finden. Ich glaube, wir haben dabei auch die Angst davor, einen Schritt zu weit zu gehen und irgendwas zu machen, was die Leute vielleicht nicht mögen könnten, ein bisschen verloren, da wir eigentlich immer schon sofort gehört haben, wie es nachher ungefähr auf dem Album klingen wird. Auch wenn die Soundästhetik ganz anders ist und natürlich viel, viel besser als in der Demo-Version, konnten wir immer Ideen ausprobieren, die Instrumente weglegen oder den Kopf ausschalten. Einfach mal hören und dann in uns hineinfühlen, wie wir das denn so als Hörer empfinden. Das haben wir früher nie gemacht und das war eigentlich das beste Beispiel, wo wir gesagt haben: „Nö, was soll’s, das ist doch gut und wenn sich Leute darüber aufregen, dann ist es vielleicht sogar um so besser“.

Raimund: Ich muss auch sagen, ich freue mich ehrlich gesagt, wenn man starke Meinungen hervorruft. Es ist das Schlimmste, was dir passieren kann, dass jemand sagt: „Ja, den Song kann man ganz gut nebenbei laufen lassen“. Er soll ja etwas auslösen und selbst wenn es jemandem zu drüber ist, dann ist mir das lieber, als eben zu hören: „Ja, das ist ganz nett“.

Jan-Ole: Das Feedback dazu ist ja insgesamt auch super gut gewesen. Dieser eine YouTube-Kommentar ist eben super lustig und ich glaube, eine Bekannte von uns hat noch gesagt: „Ist geil, aber auf dem nächsten Album dann Kinderchöre oder was?“ Sowas finde ich ja selber witzig, also macht das ja auch Sinn. Es ändert aber nichts daran, dass es einer meiner Lieblingssongs auf dem Album ist und ich sehr froh bin, dass wir das so entschieden haben, denn sonst wäre der Chorus nicht so cool geworden, wie er jetzt ist.

Jan-Ole auf Tour mit Nailed To Obscurity

Ihr hattet vorhin schon erwähnt, dass Ihr auf diesem Album größer werden wolltet, was den Sound angeht. Ich finde, gerade die zweite Albumhälfte hat auch noch mehr ruhige und auch noch mehr melancholische Momente. Seht Ihr das auch so und ist das etwas, was seine Ursachen auch in der jüngsten Vergangenheit hat? Ihr hattet vorhin die Pandemie angesprochen und die Situation, als ihr in den USA gespielt habt und der Krieg in Europa los ging. Wenn man den Albumtitel „Generation Of The Void“ nimmt, geht das ja fast schon ein bisschen in eine hoffnungslose Richtung geht.

Jan-Ole: Zu den Texten kann Raimund sicherlich mehr sagen, aber das ist auf jeden Fall so. Ich kann es gar nicht so genau sagen, woran das liegt, weil es mir auch gar nicht so auffällt. Eine Sache, die wir absichtlich gemacht haben war, dass wir dynamischer sein wollten. Das fängt an mit den mit den Clean Vocals, dass wir einfach viel mehr davon auf dem Album haben, um einen größeren Kontrast zu den Growls zu haben. Auf der anderen Seite stehen dann wieder solche Songs wie „Overcast“, die meiner Meinung nach härter sind als vieles, was wir auf den Alben davor gemacht haben und auch irgendwie treibender und schneller. Sonst wird uns ja oft auch der Doom-Stempel aufgedrückt, was ich auch verstehen kann, aber wir wollten halt nicht nur das sein. Deswegen gibt es eben auch treibendere Sachen, aber auf der anderen Seite auch etwas wie „Allure“, der quasi die Ballade auf dem Album ist, was für uns ebenfalls eine Neuerung darstellt. Insofern war es schon Absicht, dass wir an den ruhigen Stellen noch ruhiger sein wollten, als wir es vielleicht vorher geschafft haben.

Ansonsten würde ich sagen, hat es sicherlich auch was mit den äußeren Einflüssen zu tun, denn die Musik, die wir schreiben ist auf jeden Fall davon eingefärbt, was um uns herum passiert, ob es jetzt privat ist oder in der Welt. Da ist bestimmt irgend etwas mit eingeflossen, aber das passiert dann nicht bewusst. Was wiederum sehr wohl bewusst passiert ist, ist dass wir uns entschieden haben, eine politische Message als zweite Ebene quasi mit einzubauen. Nicht einmal so richtig in die Texte, denn die waren zu dem Zeitpunkt teilweise schon fertig, aber wir haben gemerkt haben, dass man in diese Richtung viel mehr rein interpretieren kann und haben uns entschieden, das auch nach außen zu tragen, aber das ist dann eher Raimunds Thema.

Raimund: Ich sammle eigentlich sowieso die ganze Zeit Textideen und viele Ideen, die auf dem Album gelandet sind, auch von besagter zweiter Hälfte oder ich nenne es mal die „zweite Session“, wurden ja bereits vorab in diesem Setup aufgenommen. Es gab sie also zu einem gewissen Teil schon, aber die finale Ausgestaltung hat natürlich stattgefunden, als wir diese Songs finalisiert haben. Im Nachgang hat man selber auch ein bisschen Abstand zu den Songs und merkt, dass natürlich einiges vielleicht auch durch das Weltgeschehen gefärbt ist. Wie Jan-Ole aber schon sagt, passiert alles auf einer Meta-Ebene, aber wenn ich mir das jetzt anschaue, steckt da sehr viel drin. Sozialkritik war bei mir schon immer ein Thema, auch in den Texten, aber ich glaube auch dadurch, dass der Clean-Gesang sie viel deutlicher macht, ist es auch leichter, zwischen den Zeilen Ebenen zu finden.

Das ist tatsächlich nicht nur von außen so, sondern auch für mich eine wunderschöne Erkenntnis, auch bei meinen Bandkollegen. Dadurch, dass wir viel über die Texte gesprochen haben, auch weil Jan-Ole und Volker bei den Clean-Gesängen so hart involviert waren und diese Texte teilweise sogar selber gesungen haben, um mal eine Melodie zu skizzieren, hat man vielleicht festgestellt, was sonst noch an Subtext drin steckt. Ich möchte nicht immer sagen, dass es hoffnungslos ist, aber teilweise ist es vielleicht eine wertfreie Skizze dessen, was man fühlt. Ich habe aber das Gefühl, dieses leicht hoffnungsvolle, was wir seit „Opaque“ schon immer hatten, ist auch hier noch enthalten. Es ist keine depressive Musik. Es ist melancholische, nachdenkliche Musik, die sich auch mit emotionalen Abgründen auseinandersetzt und diese thematisiert, aber ohne die Leute jetzt nur nach unten ziehen zu wollen. Man kann es am ehesten irgendwie in der Musik lassen und es dann los werden.

Vielen Dank für Eure Zeit, es hat mal wieder viel Spaß gemacht und ich hoffe wir sehen uns bald auf Tour.

Jan-Ole und Raimund: Dir ebenfalls vielen Dank!

Quelle: Interview mit Jan-Ole und Raimund / Nailed To Obscurity
23.12.2025

"Time doesn't heal - it only makes you forget." (Ghost Brigade)

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