Pripjat
Gar nicht genug Mittelfinger

Interview

Dem Underground sind PRIPJAT längst entwachsen. Auf ihrer aktuellen Split mit HELL:ON, „A Glimpse Beyond“, zeigt das Quartett zudem eine beachtliche musikalische Reife. Wir baten das Gitarrenduo Kirill Gromada und Eugen Lyubavskyy zum Gespräch über persönliche wie musikalische Weiterentwicklung – und bedenkliche Tendenzen in unserer Szene.

Moin Jungs, dieser Tage erscheint eure erste Split. Mit dabei sind HELL:ON. Wie ist die Idee dazu entstanden?

Eugen: Durch euch! Tatsächlich war es so, dass wir gerne etwas Frisches probieren wollten. In jüngster Zeit haben wir einige neue Einflüsse hinzugewonnen, die uns stark inspiriert haben. Ein besonderer Abend war sicherlich ein Konzert von VOIVOD in Köln, bei dem ich mit Kirill und Pablo (Tapia, PRIPJAT-Bassist) zugegen war. Man kann den Gig nur als magisch bezeichnen.

Dort haben wir gesehen, dass Thrash mehr sein kann als die wunderbaren SLAYER und KREATOR, und das hat uns unglaublich inspiriert. Dazu kam auch das letzte Album von VEKTOR, alte CORONER, all der Kram, der zwar irgendwie Thrash ist, aber immer wieder die Grenzen auslotet. Also wollten wir uns da ausprobieren, und eine EP ist das perfekte Format für diese „Tests“. Man muss ja nicht gleich ein „Risk“ aufnehmen

Vor einiger Zeit gab es auf metal.de ein gemeinsames Interview mit uns und HELL:ON. Dort kamen wir zum ersten Mal mit den Jungs in Verbindung. Und als ich irgendwann meine Familie in Kiew besucht habe, habe ich sie angeschrieben, weil ich mal eine Band aus der Ukraine kennenlernen wollte. Ich traf mich mit ihrem Gitarristen Alexey zum Essen, und wir verstanden uns blendend.

Daraus ergab sich eine richtige Freundschaft. Wir halfen ihnen mit Gigs in Deutschland, und sie organisierten uns einige Konzerte in der Ukraine und erfüllten uns damit einen Traum. So war es nun naheliegend, die Synergien zu bündeln und eine gemeinsame EP herauszubringen. Man kann also getrost sagen, dass es diese EP ohne metal.de in der Form nicht gegeben hätte!

„Chain Reaction“ ist gerade mal anderthalb Jahr alt. Jetzt habt ihr auf „A Glimpse Beyond“ vier neue Songs am Start. Wo nehmt ihr so schnell Ideen her?

Kirill: Mir fällt das Komponieren am leichtesten, wenn eine Vision da ist. Da wir mit den Jungs viel darüber geredet haben, wohin PRIPJATs Reise gehen soll, hatten wir eine recht klare Vorstellung, wie die Band sich entwickeln soll. Die Songs sind völlig „from the scratch“ entstanden, und das Songwriting fiel mir wirklich leicht. Wir haben es aber schon etwas drauf ankommen lassen, da unsere Zeitplanung sehr tight war. Ich fühlte mich sehr Inspiriert, und nach knapp einem Monat war das ganze Ding komponiert. Man soll seine kreativen Phasen gut nutzen, und das haben wir hier getan.

Schon auf „Chain Reaction“ zeichnete sich ab, dass ihr stilistisch mehr als eine Retroband sein wollt. Auch auf „A Glimpse Beyond“ hat sich euer Sound deutlich weiterentwickelt. Stehen die neuen Songs exemplarisch für die nächste vollwertige Platte, oder werden uns da noch mehr Überraschungen erwarten?

Eugen: Wir wollen uns ja selbst überraschen, hehe. Daher ist es schwer zu sagen. Du hast völlig recht damit, dass wir keine Retroband sein wollen. Unsere Entwicklung kann man ganz gut mit „Immitate, internalize, innovate“ bezeichnen. Auf „Sons Of Tschernobyl“ haben wir unsere Einflüsse wild in einen Topf geworfen und Thrash gespielt, wie wir ihn von anderen Bands kannten und liebten. Auf „Chain Reaction“ wussten wir schon deutlich mehr darüber, was uns steht und was nicht. „A Glimpse Beyond“ ist nun eine EP, über die man sagen kann: Das sind PRIPJAT, so klingen nur sie. Und das fühlt sich echt geil an

Kirill: Für mich ist es ganz klar ein Blick in die Zukunft der Band. Während des Songwriting-Prozesses sind natürlich noch mehr Ideen dieser Art entstanden, an denen ich bereits am weitertüfteln bin. Mir gefällt die Richtung, die wir eingeschlagen haben, sehr, und ich fühle mich da wirklich zuhause. Ich denke, den Jungs geht es da ähnlich.

PRIPJAT folgen einer klaren Vision

Kirill hat wie immer das gesamte Material produziert. Wieso habt ihr noch nie mit einem externen Produzenten zusammengearbeitet?

Kirill: Weil ich ein Ego-Schwein bin, haha. Nein, Spaß beiseite: Für mich ist das Produzieren wie ein Instrument zu spielen. Es ist ein Teil der Band, und bis jetzt habe ich es nicht in Betracht gezogen, dieses Zepter jemandem zu überreichen, da ich auch wirklich Spaß dran habe, neu gelerntes in meinen eigenen Projekten umzusetzen. Leider kotzt mich der einheitliche Sound der heutigen Produktionen nur noch an, und ich möchte mit meinem Sound den Einheitsbrei etwas verrühren.

Könntet ihr euch vorstellen, das in Zukunft mal zu machen?

Kirill: Wenn wir jemals das Gefühl kriegen sollten, dass ich produktionstechnisch nichts mehr beitragen kann beziehungsweise jemand anderes, dem wir vertrauen, mehr beisteuern kann als ich, dann könnte dies sicherlich passieren. Bis jetzt war es nur noch nicht der Fall.

Wem spielt ihr denn euer Material vor, um vor den finalen Aufnahmen auch mal Feedback von außerhalb der Band zu bekommen?

Kirill: Ich habe einen recht großen Kreis an Menschen, von denen ich eine Meinung einhole. Mein wichtigster Abhörpartner neben der Band selbst ist mein RAPTVRE-Kollege Stefan Braunschmidt. Abgesehen davon, dass er ein begnadeter Komponist und Musiker ist, hat er ein sehr kritisches und geschultes Ohr. Wenn er was kritisiert, hat es immer Hand und Fuß, und seine Meinung ist mir sehr wichtig.

Neben ihm gibt es natürlich noch andere nahestehende Musiker, denen ich es vorab vorführe, wie zum Beispiel Lenny von DUST BOLT und Tobi von DER WEG EINER FREIHEIT. Meine Jungs von AYAHUASCA kriegen den Stuff natürlich auch vorab zu hören, genau wie eine Handvoll Fans und Freunde, denen ich vertraue, wie unsere Bandpaten Sarah Hommen und Florian Bluhm.

Meine arme Freundin Nadja ist ebenfalls mittendrin, da sie sich den Kram jeden Tag anhören muss, haha. Sie hört das Material meistens vor allen anderen und gibt mir im Entstehungsprozess schon Feedback und weist mich auf Sachen hin, die mir teils gar nicht auffallen. Natürlich wird nicht jede Kritik angenommen, aber ich bin den Menschen immer sehr dankbar für ein ehrliches, konstruktives Feedback.

Textlich geht es in euren neuen Songs um aktuelle Entwicklungen der Menschheit und unserer Gesellschaft. Wie seht ihr denn unsere Zukunft?

Eugen: Bei den Texten hatte ich die Cyberpunk-Romane von William Gibson im Kopf, von dem ich ein großer Fan bin. Ihm habe ich auch Begriffe wie „Sprawl“ entliehen. Der Gedanke für das lyrische Konzept war, dass man unseren Status Quo konsequent weiterdenkt. Das macht die Serie „Black Mirror“ zum Beispiel hervorragend. In den neuen Songs geht es entsprechend um die Menschheit in 50 bis 100 Jahren. Überbevölkerung, Geburtenkontrolle, neoliberaler Faschismus, Biomechanik, Konzern-Regierungen. All die schönen Sachen.

Da konnte ich mich mal richtig austoben, da ich sowohl Politik und Gesellschaftskritik als auch ein wenig Science Fiction mit einbringen konnte. Auch SEPULTURA haben das auf ihrem letzten und absolut großartigen Album schon ähnlich gemacht. Bezüglich unserer Zukunft halte ich mich an Saruman aus „Der Herr der Ringe“: „Es gibt kein Morgen für die Menschheit.“

Anstatt unsere Probleme anzupacken, pöbeln wir 16-jährige Mädchen an und roden das letzte bisschen Wald ab. Erzählt das mal euren Enkeln, ihr gottverdammten Wichser. Dass sie ihre Sauerstoffkuppel nicht verlassen können, weil wir vor 100 Jahren eine Extra-Portion Kaviar zu unserem Champagner haben wollten.

Ich mag Menschen. Aber die Menschheit als Kollektiv hat versagt, und ich sehe keine Perspektive für uns. Das ist unser Dance Macabre. Unser Abgesang. Wie lange wir noch tanzen, weiß ich nicht. Aber wir leben nach einem System, welches auf unendliches Wachstum in einem stark endlichen System basiert. Was soll da schon schief gehen?

Gar nicht genug Mittelfinger

Und wie ist vor diesem Hintergrund der Titel „A Glimpse Beyond“ zu verstehen?

Eugen: Es ist doppeldeutig. „A Glimpse beyond Thrash“, da wir einige genrefremde Elemente hineingebracht haben. Aber auch ein Blick in die Zukunft. „We take a glimpse beyond, a desparate glare. When nothing’s left to change – we wait and stare“.

Eine bedenkliche Entwicklung jüngerer Jahre ist der zunehmende Rechtsruck in der Welt. Auch die Metal-Szene ist davor leider nicht gefeit. Schmier erzählte mir jüngst in einem Interview, dass sich manche DESTRUCTION-Fans nach einem Auftritt der Band beim Rage Against Racism Festival sogar öffentlich von der Band lossagten. Seid ihr mit PRIPJAT innerhalb der Szene mal mit solchen Menschen in Kontakt gekommen?

Eugen: Ehrlicherweise habe ich gar nicht genug Mittelfinger für diese Arschlöcher. Wer sich von einer Band distanziert, weil sie auf dem großartigen Rage Against Racism spielen, ist kein Fan, er ist ein scheiß Rassist. Sonst hätte er kein Problem damit. Und für Rassisten spielen wir ganz sicher nicht. Weder für Geld noch für Fame noch für sonst irgendwas. Wir haben uns da als Band schon mehrmals deutlich und öffentlich positioniert.

Ich bin zwar kein politischer Aktivist, aber durch und durch Antifaschist. Innerhalb der Szene kommt man mit solchem Abschaum zumindest online immer wieder in Berührung. Und zwar magazinübergreifend, ob metal.de, Metal Hammer, Deaf Forever oder was auch immer. Da gibt es leider keine Ausnahmen.

Zu unseren Konzerten kommen diese Typen nicht. Wir sind nicht trve und wir haben uns Toleranz und Menschlichkeit dick auf die Flagge geschrieben. Das ist heute leider nicht mehr sexy, aber immerhin hält es die braune Scheiße von uns fern. Ich muss aber auch ganz ehrlich sagen, dass auch von der journalistischen Aufarbeitung dieses Themas sehr enttäuscht bin. Bands wie MGLA werden völlig selbstverständlich besprochen, und das obwohl sie ganz dicke mit den Nazis von Northern Heritage sind und auch über sie vertrieben werden.

Ich habe am eigenen Leib erfahren, wie mühselig und nervenaufreibend solche Diskussionen vor allem im Web ablaufen. Aber entweder hat man die Eier dazu, oder eben nicht. Auch ihr habt immer noch ein Review von DEUS MORTEM online. Und da will ich keinem Honig ums Maul schmieren. Ich finde das richtig schwach. Aber wie gesagt, das macht aktuell niemand besser. Ich finde MGLA musikalisch übrigens ziemlich ansprechend und war auch mal auf einem Konzert, bei dem sie Support waren. Allerdings waren mir da die Verstrickungen mit offen Rechtsradikalen nicht bewusst.

Man sollte also nicht ins andere Extrem übergehen und alles niederboykottieren, was mal mit dem Schwager eines ehemaligen Drummers in einer Kapelle, die vor zehn Jahren mal irgendwas rechtes auf einem Demotape drauf hatte, ein Bier getrunken hat. Aber natürlich kann und sollte man darüber reden.

Dagegen fand ich eure Aufarbeitung von SABATONs – ich finde die Typen an sich übrigens ziemlich sympathisch – Kriegsverherrlichung hervorragend. Und dafür musstet ihr ganz schön was einstecken. Sehr bezeichnend für den Zeitgeist.

CSU-Rebellen

Metal stand nach meinem Empfinden immer für Offenheit und Toleranz. Zudem ist die Szene auch ein Anlaufpunkt für gesellschaftliche Außenseiter. Wie erklärt ihr euch, dass es trotzdem einen Nährboden für rassistisches Gedankengut gibt?

Eugen: Als ich deinen ersten Satz mal in einer ähnlichen Diskussion geschrieben hatte, wurde ich von vielen ausgelacht. Ich habe mir dazu viele, viele Gedanken gemacht. Wie du schon sagtest, war der Metal eine Außenseiterkultur. Man konnte sich mit ihm abgrenzen. Mit einem „Eaten back to life“- oder „Jesus is a cunt“-Shirt konnte man provozieren, schockieren. Mittlerweile ist es doch alles ein alter Hut. Wem macht MARILYN MANSON heute noch Angst, bis auf seine gruseligen Live-Performances? Deswegen ist ganz viel Metal-CSU aufgetaucht, die den ganzen konservativ-trven Kram predigt und einem vorschreibt, was Metal ist und was nicht. „Rebellen“ schreiben einem vor, wie man Rebell zu sein hat. Lächerlich.

Rechtes Gedankengut im Metal sorgt aber immer noch für Ächtung und Gesprächsstoff. Da fühlt man sich elitär, verschworen, gefährlich, überlegen. Ich mache keinen Hehl daraus, gerade im Black Metal sind rechte Ideologien an der Tagesordnung. Natürlich gibt es haufenweise großartige und „saubere“ Bands, man denke da nur an unsere Freunde von DER WEG EINER FREIHEIT, ULTHA & Co. Aber die werden von diesen Elitisten ja auch als Hippie-Scheiße denunziert.

Aber es ist kein Zufall, dass gerade dieses Subgenre Neonazi-Festivals wie das „Hot Shower“ in Mailand, organisiert vom Neonazi und verurteilten Mörder Hendrik Möbus, oder das „Asgardsrei“ in Kiew hervorbringt. Die ukrainische Szene ist leider ideologisch zu großen Teilen mehr als fragwürdig, da blutet uns schon stark das Herz. Und das sind gut organisierte, bestens vernetzte Geschichten.

Klar besteht das Problem genreübergreifend, beim Black Metal kristallisiert es sich aber am offensichtlichsten. Ich kann dazu nicht schweigen. Gestern wurden in Deutschland wieder Juden von einem Fascho erschossen. Wer jetzt noch schweigt, drückt beim nächsten Mal mit ab. Ganz einfach. Ich weiß auch schon genau, welche Kommentare unter diesem Interview stehen werden. Well, Nazi Punks: Fuck off!

Lasst uns nach uns diesem Ernst mal zur Zukunft von PRIPJAT kommen. Im März habt ihr als Support von EXUMER in Essen gespielt. Ende des Jahres geht ihr gemeinsam auf Tour. Wie kam es dazu? Hat es menschlichen in Essen einfach gefunkt?

Eugen: Tatsächlich war es genau so, ja. Der Matthias von EXUMER hat uns einige Zeit nach dem Konzert angehauen. Musikalisch kannte und mochte er uns wohl schon länger, und nach dem Gig hat es auch menschlich super gepasst. Für uns ist es natürlich eine Ehre, dass so eine Band uns persönlich einlädt. Und der Matthias war bisher auch wahnsinnig hilfsbereit und zuvorkommend. Das ist absolut nicht selbstverständlich, und wir sind sehr, sehr dankbar dafür. Fünf stinkende Typen, die 16 Tage in einem Wohnwagen mitten im Winter durch Deutschland brettern. Wenn das kein Rock ’n‘ Roll ist, was dann?

Euer Debütalbum erschien 2013. In den Jahren danach sind Rock und Metal regelmäßig totgesagt worden. Wie bewertet ihr den aktuellen Stand der Szene und ihrer Zukunft und damit einhergehend eure Zukunftsaussichten für PRIPJAT?

Eugen: Es wird nicht leichter. Jeder Schritt, den man nach vorne macht, wird von mehr Arbeit und mehr Verantwortung begleitet. Ich könnte jetzt viel über das komplett fehlende Geld im Business und die immer weniger werdenden Konzertbesucher klagen. Aber am Ende sind wir eine Band, die schon vieles erreicht hat und fast schon zehn Jahre am Start ist. Und wir haben immer noch Bock. Solche Dinge sind zyklisch. Menschen werden immer etwas „echtes“ wollen. Aktuell ist Digitales wichtiger, vor allem für die Kids. Aber auch das wird sich irgendwann übersättigen und umkehren. Und dann fahren wir mit unseren analogen Rollstühlen auf die Bühne und treten ihre Ärsche!

29.10.2019

"Irgendeiner wartet immer."

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