Unzucht
"Das ist ja Singer/Songwriter-Metal!"

Interview

“Akephalos“ von UNZUCHT ist ein Album, das mich nachhaltig beeindruckt hat. Die vielfältigen und tiefgründigen Songs heben sich stark von den zahlreichen peinlich-provokativen Produktionen des Genres ab. Daher war es für mich selbstverständlich das Konzert von UNZUCHT in Dresden zu besuchen und auf einen Plausch bei den Jungs vorbeizuschauen. Daniel Schulz (Gesang) und Toby Fuhrmann (Drums) haben sich reichlich Zeit genommen, neben der aktuellen Platte auch über das Zusammenstellen der perfekten Setlist, politische und persönliche Botschaften sowie ein mögliches Akustik-Projekt zu sprechen.

metal.de: “Akephalos“ ist nun bereits einige Monate draußen. Wie waren die Reaktionen der Fans bislang auf die Platte und wie kommen die neuen Songs live an?

Daniel Schulz: Die kommen super gut an! Wir fangen das Konzert ja auch gleich mit drei neuen Stücken an, dabei “Die verbotene Frucht“ als erstes, was kein typischer Opener ist. Das funktioniert aber echt super! Man merkt keinen Unterschied zu den alten Songs.

metal.de: Gibt es denn bei den Reaktionen zu den Alben Unterschiede in den Fanreaktionen, beispielsweise dass bei einem Album die Reaktionen verhaltener sind, bei einem anderen vielleicht nur 2-3 Hits gefeiert werden? Merkt man da Unterschiede von Album zu Album?

Daniel Schulz: Es war ja so, dass wir von Anfang an eine eigene Nische besetzt haben und auch immer eigener wurden. Toby hat das damals sogar schon prophezeit, als er gesagt hat, dass die Leute eine Weile brauchen werden, bis sie das Eigene, was wir machen, richtig verstehen. Das merkt man von Platte zu Platte mehr. Man merkt, dass die Leute merken, dass UNZUCHT etwas völlig Eigenständiges ist. Bei aller Unterschiedlichkeit und bei allem Abwechslungsreichtum unserer Songs klingen wir immer wie UNZUCHT. Und dabei versteht man Dinge wie die Texte von Album zu Album besser. Wir entwickeln uns natürlich aber auch im Songwriting weiter. Von daher war es schon die geilste Reaktion von allen Platten bisher. Es hat sich immer mehr gesteigert, ohne Hänger mittendrin. Es wurde immer besser angenommen, auch von der Presse. Es ist fast schon unheimlich. Wir warten eigentlich auf den Punkt, wo man uns verreißt.

Toby Fuhrmann: Naja ein paar Amazon-Reviews haben schon gesagt, dass sie die neuen Sachen nicht mögen. Das ist aber auch normal. Ich fände es auch gruselig, wenn es nur durchgängig positiv wäre. Man verliert ein paar Leute, man gewinnt ein paar Leute. Wir sind ja nun seit über acht Jahren am Start, vor sechs Jahren haben wir unser erstes Album rausgebracht. Das ist echt krass, das ist voll lange im Verhältnis zu manch anderen Leuten.

Daniel Schulz: Wir lassen die Entwicklung aber auch zu. Deswegen wird es immer ein paar Leute geben, die sagen: “Macht doch mal ‘Kleine geile Nonne 2‘“. So arbeiten wir aber nicht. Wir schreiben das, was uns in dem Moment bewegt und haben noch nie gemacht, was viele andere Bands gemacht haben, die dann einfach einen Nachfolgehit geschrieben haben.

metal.de: Du hast gerade gemeint, dass ihr euch im Songwriting verbessert habt. Woran kann man das am besten festmachen? Worin haben sie UNZUCHT musikalisch oder textlich am meisten verändert?

Daniel Schulz: Wir sind deutlich eigener geworden. Wir wurden am Anfang der NDH zugeordnet, was wir nie wirklich waren. Es gibt zwar auch Songs wie “Unzucht“, die in das Raster reinfallen, aber wir sind viel eigener geworden. Wir haben viel mehr Mut zur Melodie. Ich singe auch untypisch hoch in vielen Passagen, was ja in der dunklen Szene eher nicht passiert. Das Ganze ist einfach gereift. Die Songs auf der ersten Platte sind immer noch unser Rückgrat, auf dem wir alles aufgebaut haben. Die waren ja auch schon toll, mit schönen Hooklines und so. Das Songwriting ist einfach reifer geworden. Man merkt es auch daran, dass wir die Leute mit bestimmten Songs noch mehr berühren als früher.

metal.de: Die “Akephalos“ kam bei mir sehr gut an. Vor allem die mehrdimensionalen Texte heben sich meiner Ansicht nach von anderen Vertretern des Genres ab. Seht ihr es ähnlich, dass viele Bands der Szene in lyrischer Hinsicht eher oberflächlich und repetitiv bleiben?

Daniel Schulz: Ich glaube bis zu einem gewissen Grad wird das sogar gefordert. Es gibt eine bestimmte Erwartungshaltung des Publikums, teilweise auch der Plattenfirma, dass bestimmte provokante Schlagworte fallen müssen und bestenfalls die Dinge zwischen den Zeilen passieren. Als unser Label die Songs zum ersten Mal gehört hat, war das noch in einer unfertigen, nicht abgemischten Version. Die Aufnahme ist so stehen geblieben, wie wir es eingesungen haben. Die haben dann auch gemeint: “Oh Gott, das ist ja so kopflastig von den Texten her. Das ist ja Singer/Songwriter-Metal.“ Wartet doch erstmal bis das gemischt ist! Man geht natürlich auch ein Risiko, seine eigene Sprache zu sprechen oder in seinem eigenen Stil zu texten. Aber es geht auch so auf und das merkt man an der Reaktion der Leute. Ich möchte auch keine Schüttelreime mit fertigen Bausteinen, wo man denkt: “Oh man, 5€ ins Phrasenschwein pro Song! Das muss doch langsam mal reichen.“

metal.de: Da gibt es leider genug Vertreter. Das macht das Hören auch teilweise anstrengend, weil man den Stil und die Band mag, aber textlich immer das Gleiche passiert, immer die selben Phrasen.  

Daniel Schulz: Es ist aber auch wirklich schwer. Es wird auch von Platte zu Platte nicht einfacher, weil es natürlich die großen Themen gibt, bei denen man die Worte auch schon verwendet hat. Das geht uns auch so. Die Komponier-Session endet eigentlich immer damit, dass Daniel [DeClerq, Gitarre, Anm.d.Red.] und ich zusammensitzen und uns die Köpfe heißreden: “Das geht doch nicht! Das können wir so nicht machen, das wird zu schlageresk.“ – “Aber das will ich doch da sagen!“ Das geht hin und her. Wir nehmen uns da aber auch völlig auseinander. Erst wenn wir beide damit leben können und die anderen nicht um Hilfe schreien, dann ist es erst ein fertiger Text. Das ist natürlich auch viel schwerer, wenn du auf Deutsch textest. Das klingt ganz schnell cheesy, verbraucht und abgelutscht.

metal.de: Wobei es auch englische Texte gibt, bei denen man mit dem Kopf schüttelt.

Daniel Schulz: Bestes Beispiel: der Reim auf “calling“ ist “falling“. Da fällt einem Deutschen auch nichts Anderes ein, einem Engländer vielleicht schon.

metal.de: Das Äquivalent im Deutschen ist dann “Herz“ auf “Schmerz“, “lügen“ auf “betrügen“…

Daniel Schulz: …und dann bist du ganz schnell bei HELENE FISCHER.

metal.de: Gib es Songs von euch, deren Botschaft euch besonders am Herzen liegt?

Daniel Schulz: Ja klar, auf jeden Fall. Das wird natürlich immer ein Song wie “Nur die Ewigkeit“ sein, der vor dem Hintergrund des Todes eines superguten Freundes entstanden ist. Aber auch auf der neuen Platte gibt es solche Dinge, “Du fehlst“ zum Beispiel, der von Daniel [wieder DeClerq, Anm.d.Red.] kommt. Der Song geht einfach so tief und ist in seiner Offenheit so entwaffnend. Aber es kommt auch immer auf die Situation an. “Nachts im Meer“ ist zum Beispiel ein total schönes Bild, das mit tatsächlich eingefallen ist, als ich im Dunklen im Meer geschwommen bin.

Toby Fuhrmann: Da hattest du tatsächlich die Eingebung, als du nachts im Meer warst, dass du daraus einen Song machen willst. “Und ich nenne ihn: ‘Nachts im Meer‘.“

Daniel Schulz: Ich habe tatsächlich an dem Abend im letzten Jahr angefangen den Text zu schreiben. Das passiert ganz selten, dass ich Texte ohne Melodie im Kopf schreibe.

metal.de: Und gibt es Songs von euch, deren Botschaft häufig missverstanden wird?

Daniel Schulz: Es gibt bei der aktuellen Platte den Song “Der schmale Grat“, bei dem sich eine Person gefragt hat, was sie denn davon halten soll. Sie hat das anders verstanden. Im Refrain heißt es ja: “…und dein Gesicht spiegelt sich in des Messers Glanz…“– das klang für sie “Pro Selbstverletzung“ oder sogar “Pro Suizid“. So ist der Song ja gar nicht gemeint, sogar genau im Gegenteil. Wir tanzen auf schmalem Grat und gehen so durchs Leben. Es geht um den Mut, den man haben muss, auf diesem Grat zu tanzen und es trotzdem zu genießen. So ist der eigentlich gemeint. Es waren sogar zwei Leute, die den komplett andersrum gedeutet haben.

Toby Fuhrmann: Das hat wahrscheinlich auch damit zu tun, was in deren Leben passiert, sodass sie es gleich darauf münzen. Vielleicht hatten sie selbst oder das Umfeld schon Erfahrung damit, sodass sie sich gleich alarmiert gefühlt haben.

Daniel: Wir spielen ja auch ein Stück weit damit, dass jeder sein eigenes Ding da rein projizieren kann, damit man sich in den Songs auch wiederfindet. Du kannst natürlich auch eine ganz klare Geschichte über irgendjemanden erzählen, aber ich habe es schon immer geliebt, die Leute rein zu lassen. Dadurch wird oft gar nicht konkret erzählt, was wir genau meinen. Wir beziehen dazu auch nicht unbedingt Stellung, weil wir genau das wollen, dass die Leute den Song zu ihrem Ding machen. Das passiert auch tatsächlich, zum Beispiel in “Lava“. Das Thema “Mobbing“ geht ganz klar daraus hervor. Wie viele Leute sich darin wiedergefunden haben, war unfassbar. Wir haben auch jede Menge, auch dankbare Zuschriften erhalten. Das ist ein Song, bei dem die Leute mit Tränen in den Augen vor der Bühne stehen. Das ist echt krass.

metal.de. Da weiß man auch “Dafür macht man’s“.

Daniel Schulz: Ja total! Ein größeres Kompliment gibt es auch nicht. Die verstehen ganz genau, was du meinst. Da werden dir selbst manchmal die Augen feucht. Gestern gab es auch einen ganz besonderen Moment. Vorgestern [06.12.2018, Anm.d.Red.] ist ein Fan gestorben, Katja Reinsch. Das ging in anderthalb Monaten von der Diagnose “Krebs“ auf einmal ganz schnell. Gestern haben wir ihr deshalb “Nur die Ewigkeit“ gewidmet. Sie hatte das auch ganz groß am Arm tätowiert.

Toby Fuhrmann: Das war uns auch sehr wichtig. Es war das erste Mal, dass jemand aus unserem Fanclub gestorben ist.

Daniel Schulz: Deswegen hatte gestern auch jeder von uns einen riesigen Kloß im Hals. Es war auch super schwer, den Song durchzusingen. Wir haben es angesagt und ihr den Song gewidmet.

metal.de: Daniel, du äußerst dich auf Facebook häufig politisch. Wie wichtig ist es dir, deine Bekanntheit zu nutzen, mit deiner Meinung und Einstellung die Leute zu erreichen?

Daniel Schulz: Es geht mir gar nicht darum, Werbung für eine Partei oder so zu machen, aber wir leben in einer Zeit, in der unglaublich viel passiert. Ich war schon immer sehr engagiert in solchen Dingen und habe meine Meinung dazu geäußert. Jetzt ist es so, dass eine richtige Hasskultur entstanden ist. Die Leute hören sich gar nicht mehr zu, sondern gehen nur noch aufeinander los und teilweise in vorgefertigten Slogans, die sie von der Seite der AfD oder sonst woher gekriegt haben. Die hauen sich damit die Ohren voll, das ist so extrem. Da ist es mir wichtig den Leuten zu sagen, dass sie mal nachdenken sollen. Jetzt kursierte gerade, dass Dunja Hayali das Bundesverdienstkreuz erhalten hat, mit der Reaktion “Wofür denn? FRANK ZANDER hat gar nichts gekriegt!“ Zum Glück hatte ich vorher bei jemandem gesehen, dass er alle Auszeichnungen von FRANK ZANDER aufgelistet hat, die er seit 2000 erhalten hat. Nicht falsch verstehen, FRANK ZANDER ist großartig! Diese Liste an Auszeichnungen habe ich überall drunter geschrieben. Manche Leute haben daraufhin ihre Posts komplett gelöscht, woran man sieht, dass es auch was bringt. Man muss einfach verhindern, dass sich die Fronten verschlimmern und es nur noch ein Grabenkrieg ist. Wir müssen wieder aufeinander zugehen. Jeder Standpunkt ist für den, der ihn vertritt erstmal logisch. Die wenigsten machen das ja, weil sie böse sind.

metal.de: Kommen wir mal zurück zur Band und zur Setlist. Gibt es eigene Songs, die ihr mittlerweile schon gar nicht mehr hören könnt, die Fans aber unbedingt auf den Konzerten hören wollen?

Daniel Schulz: Ich hatte bei mir schon immer den Effekt, dass ich einen Song, der gut bei den Leuten funktioniert, feiere. Ich finde das supergeil. Unsere Hits, sei es die “Kleine geile Nonne“ oder “Engel der Vernichtung“, überhöre ich mir einfach nicht, weil ich Bock habe, mit den Leute zu feiern. Das ist aber auch eine Typfrage. Es gibt viele Musiker, die einige Songs nicht mehr hören können. JIMMIE HENDRIX hatte keinen Bock mehr auf “Hey Joe“ und THE DOORS auf “Light My Fire“. Ich habe das Problem nicht.

Toby Fuhrmann: Ich finde es auch nicht weiter wild. Bisher hatten wir damit noch keinen Beef. Ich kann das aber als Fan, der als Besucher auf ein Konzert geht auf jeden Fall nachvollziehen. Ich wäre nicht sauer, wenn mein Lieblingslied nicht gespielt wird. Ich sage dann nicht, dass ich da nie wieder hingehe. Das fände ich ein bisschen komisch. Bei uns hat sich das Problem aber noch nicht gestellt. Natürlich gab es schon Konzerte, auf denen wir mal einen weggelassen haben, den bestimmte Leute hören wollten. Manchmal sagen sie es einem danach und ich kann es nur sehr bedingt nachvollziehen, will ich mal vorsichtig formulieren.

Daniel Schulz: Es wird ja auch immer schwerer. Wir haben jetzt fünf Alben und ein paar EPs, da kannst du nicht immer nur die Hits spielen. Das wird ja total langweilig für die Leute. Da fällt natürlich immer mal ein Lieblingssong von irgendjemandem hinten runter.

Toby Fuhrmann: Man versucht schon immer ein bisschen durchzumischen. Wir haben ja das Glück, dass die Leute unsere neuen Sachen tatsächlich hören wollen. Das ist ja auch ein Ding, mit dem viele Bands zu kämpfen haben. Es gibt auch mehrere Varianten damit umzugehen, dass die Leute nur die Hits wollen und die neuen Sachen niemanden interessieren. TWISTED SISTER haben einfach gesagt: “Scheiß drauf! Wenn die Leute die Hits wollen, dann kriegen sie die Hits.“, weswegen sie 20 Jahre kein neues Album gemacht haben. THE SISTERS OF MERCY spielen zwar noch neue Sachen, bringen aber auch irgendwie keine Platten mehr raus. Das geht natürlich auch alles. Oder man ist gefrustet und lässt die Hits weg – kann auch funktionieren. Bei TOCOTRONIC zum Beispiel fand ich es auch witzig. Ich habe sie vor ein paar Jahren mal gesehen und davor ewig lange nicht. Die haben halt die ganzen alten Sachen einfach stumpf weggelassen. Das ist eben Geschmackssache. Bei DIE ÄRZTE habe ich zum Beispiel schon super viele Konzerte gesehen.

metal.de: Na die spielen eh immer etwas Anderes!

Toby Fuhrmann: Ja, das schon. Aber die ganz alten Sachen aus den 80ern spielen sie fast nie, weil sie da keinen Bock mehr drauf haben. Die haben aber so viele Hits aus den 90ern und 00ern, dass das nicht so ins Gewicht fällt und danach 12.000 Leute enttäuscht nach Hause gehen. Die können es sich aber auch leisten einfach die alten Lieder wegzulassen, auf die sie keine Lust mehr haben. Wenn sie dann doch mal einen davon spielen, ist es eine große Sensation.

metal.de: Und gibt es Songs, die ihr gern spielen würdet, die Fans aber eher nicht hören wollen?

Daniel Schulz: Erlebt haben wir das tatsächlich noch nicht. Wir sind jetzt beim fünften Album und spielen sechs neue Songs. Das ist auch schon das Limit. Welche Band macht das schon?

Toby Fuhrmann: Ja, mehr auch nicht. Wir haben natürlich bei den Genrealprobentagen darüber gequatscht. Es war dann aber auch irgendwie klar, wann Schluss ist. Man hätte zwar noch einen siebten spielen können, aber das wäre auch Quatsch gewesen. Die Leute wollen auch ältere Songs hören, was wir natürlich respektieren. Da muss man schon eine gute Mischung anbieten. Wenn Leute Geld ausgeben, um sich ein Konzert von uns anzuschauen, dann will ich sie auch nicht enttäuschen. Man richtet zwar nicht sein gesamtes Leben danach aus, was das Publikum will, aber man kann es ja insofern respektieren, dass man sich bemüht, dass es für alle beteiligten cool wird.

Daniel Schulz: Aber es war schon schwer, weil ich schon Bock hatte, das ganze Album zu spielen. Man muss aber allen Seiten gerecht werden, wie Toby schon sagte.

metal.de: Spielt ihr dann auf der Tour der Einfachheit halber immer die gleiche Setlist?

Daniel Schulz: Es ist abhängig von Abend und Länge. Heute Abend müssen wir zum Beispiel zwei Songs weniger spielen als gestern, aber im Grunde ist es die gleiche Setlist.

Toby Fuhrmann: Wir können ja bei den Ticketverkäufen auslesen, woher die Leute sind. Dabei haben wir bemerkt, dass die meisten Leute tatsächlich aus der Stadt kommen, in der wir auftreten. Die reisen nicht großartig rum. Das heißt bei den Tausenden von Leuten, die im Laufe einer Tour zu den Konzerten kommen, sehen uns die meisten nur einmal. Deswegen ist es umso schwieriger, wenn man was ändert, weil es dann bedeutet, dass die Leute in DER Stadt DEN Song eben nicht sehen. Es ist ja nicht so, dass man bei Hinzunahme eines Songs automatisch das Set verlängert. Man muss einen anderen dafür rauswerfen. Oh Gott, oh Gott, diese Verantwortung!

metal.de: Alex Blaschke hat die Band vor einiger Zeit verlassen. Wie geht es euch mittlerweile mit der Entscheidung und wie wird es am unzüchtigen Bass in Zukunft aussehen?

Daniel Schulz: Wir haben natürlich seine Entscheidung sofort akzeptiert. Wir wussten es ja auch. Der Grund lag rein im Privaten und nicht innerhalb des Bandgefüges, weswegen wir auch nicht böse sind. Natürlich waren wir total traurig, als wir es auf Wacken erfahren haben. Da hatte der Tag eine bittere Wendung genommen. Aber nun ist es so, das ist Leben. Im Leben gibt es auch immer wieder Veränderung. Es ist ja jetzt erstmal in der Familie geblieben, da ich mit Don, der jetzt am Bass steht, bereits in den 90ern zusammen Musik gemacht habe. Toby kennt ihn auch schon ewig. Die haben sogar schon einen Schnaps in Totenkopfflaschen zusammen rausgebracht. Alex war ja kein Gründungsmitglied, unser erster Bassist hat damals auch aus ähnlichen Gründen die Band verlassen. Im Übergang konnte Alex nicht und da ist Don schon eingesprungen. Letztes Jahr hat er auch schon “Schwangerschaftsvertetung“, wie Don es nennt, gemacht, weil Alex an zwei Terminen aus privaten Gründen auf der EISBRECHER-Tour nicht konnte. Als er das jetzt von Toby am Telefon gehört hat meinte er auch, dass er das Album sowieso schon fünfmal durchgespielt hat, weil es so geil ist.

Toby Fuhrmann: Und das ohne es vorher zu wissen! Wir dann: “Cool, kannst du in zwei Wochen einen Auftritt spielen?“, wofür er noch ein paar Lieder lernen musste. Wir mussten ja 90 Minuten zusammenkriegen, aber es hat super geklappt. Jetzt haben wir schon 15 Auftritte innerhalb kürzester Zeit gespielt.

Daniel Schulz: Weil es eben Familie ist und so organisch, hat es uns unglaublich geholfen. Wir mussten kein nerviges Casting machen, keinen Fremden in die Band holen. Der Don hält uns den Arsch frei und das fühlt sich gut an. Alles andere wird sich einfach zeigen.

metal.de: Also ist es nicht absehbar, ob das jetzt dauerhaft so bleibt?

Toby Fuhrmann: Wir haben gesagt, dass wir erstmal die Tour spielen. Das ist ja das Angenehme, dass wir uns mit der Frage gar nicht auseinandersetzen müssen. Es läuft auf jeden Fall super.

Daniel Schulz: Es ist ja auch nicht nur unsere Entscheidung, er hat ja natürlich auch ein Leben und Familie und muss auch erstmal sehen, wie dieses Zigeunerleben da reinpasst.

metal.de: UNZUCHT waren dieses Jahr beim Gothic Meets Klassik. Wie war diese Erfahrung für euch?

Daniel Schulz: Der Wahnsinn! Also es war mit das Größte, was ich jemals erlebt habe. Das werde ich bis an mein Lebensende nicht vergessen. Zu einem Orchester zu singen ist wirklich unfassbar. Was da für eine Tiefe in den Songs entsteht… die wurden ja auch wirklich gut arrangiert. Es fühlte sich an, als wenn unsere Songs dafür komponiert worden wären. Ich habe ja ein bisschen einen klassischen Background, das heißt Gesangsunterricht. Ich habe aber nicht studiert und kann keine Noten lesen. Aber es war großartig! Ich hatte kurz einen Köttel in der Hose, aber nur, als wir das erste Mal zum Gewandhaus gefahren sind. Bei der Genrealprobe war dann aber wieder alles gut. Beim Konzert herrschte auch eine besondere Atmosphäre, die Leute haben gemerkt, was da Besonderes passiert, auch die Künstler. Mit JOACHIM WITT verbindet mich sowieso eine tolle Freundschaft. Wir mögen uns einfach. Er nennt mich immer nur “Luciano“. Es war aber komisch, ohne die Band auf der Bühne zu stehen.

metal.de: Der Rest war gar nicht dabei?

Toby Fuhrmann: Wir saßen im Publikum.

Daniel Schulz: Den Rocktag haben wir natürlich zusammen gespielt, aber ich wusste auch nicht, wo die Jungs sitzen.

Toby Fuhrmann: Wir haben gewinkt, aber ein paar Hundert andere Leute auch.

Daniel Schulz: Aber ich ziehe vor der Entscheidung der anderen, zu sagen, dass sie dem Orchester kein Korsett verpassen wollen, echt den Hut. Es sollte komplett anders sein, komplett klassische Begleitung.

Toby Fuhrmann: Man kann das natürlich auch anders regeln, es war ja auch nicht das erste Gothic Meets Klassik. Wir kennen auch ein paar Bands, die das schon gemacht und anders gelöst haben. Aber das Thema ist ja nicht für alle Tage gegessen. Vielleicht macht man es ja nochmal und dann überlegt man sich etwas Anderes. So fand ich es aber super. Es war auch relativ schnell entschieden, das Ganze ohne Gitarre-Bass-Schlagzeug zu machen. Kann man mal machen, diesmal eben nicht. Es waren ja auch leider nur ein paar Songs. Es war aber sehr schön, die Songs das erste Mal aus dem Publikum zu erleben, auch wenn es in einem anderen Gewand war.

metal.de: Du hast es ja gerade etwas angedeutet. Bei einigen Bands folgten nach dem Gothic Meets Klassik ein Klassik- bzw. Akustikprojekt. Ist sowas für UNZUCHT denkbar?

Daniel Schulz: Ich kann es voll verstehen, dass es so viele Bands machen. Ich bin aus dem Abend auch so rausgegangen. Aber im Augenblick wollen wir einfach mal gucken. Ich denke mal, dass wir irgendwann mal sowas machen, aber aktuell ist nichts angedacht. Es ist ja auch nicht immer alles so einfach umzusetzen. So ein 40-Mann-Orchester ist schon der Wahnsinn.

metal.de: LORD OF THE LOST hatten es ja mit einem Kammerorchester schon reduziert…

Daniel Schulz: Ja, es würde sich für uns aber gerade etwas komisch anfühlen, denn erst LORD OF THE LOST, jetzt machen es MONO INC., wir wären dann die sechsten oder siebten hintereinander, wahrscheinlich noch viel mehr. VNV NATION hatten das ja auch gemacht…

metal.de: JOACHIMT WITT geht jetzt auch damit auf Tour.

Daniel Schulz: Ja genau, mit DIARY OF DREAMS. Mit Adrian [Hates, Sänger von DIARY OF DREAMS, Anm.d.Red.] war es auch super. Naja und wir würden uns dann vorkommen wie “Ja jetzt muss es die UNZUCHT auch noch machen?“. Entweder wir fühlen irgendwann den Zeitpunkt oder nicht.

Toby Fuhrmann: Es ist nicht kategorisch ausgeschlossen. Dafür kennen wir jetzt auch zu viele Bands, die es kategorisch ausgeschlossen und dann doch gemacht haben, sodass wir jetzt dieses Fettnäpfchen nicht mitnehmen wollen.

metal.de: Und passend zum Abschluss: Wie verbringt ihr Weihnachten? Herrlich Kitschig mit der Familie unterm Weihnachtsbaum oder mit einem Bier in der Hand auf irgendeinem Konzert?

Daniel Schulz: Dieses Jahr haben wir keine Gigs, aber es hat ja beides seinen Reiz. Am liebsten beides! Heiligabend bin ich super gerne bei meiner Familie im Harz. Aber spätestens am zweiten Weihnachtsfeiertag könnte es auch wieder ein Festival geben.

Toby Fuhrmann: Ich mag Weihnachten eigentlich gar nicht. Ich bin lieber auf einem Konzert oder mache irgendwas Anderes. Dieses Jahr gibt es trotzdem einen Familien-Heiligabend, obwohl ich schon eingeladen wurde, einen DJ-Job zu übernehmen. Beides haut allein schon von der Distanz nicht hin. Deswegen ist diesmal Familie angesagt.

Vielen Dank an Toby und Daniel für das ausführliche und angenehme Gespräch!

10.01.2019
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