Visions Of Atlantis
"Wir sind emotional nicht an das alte Material gebunden."

Interview

VISIONS OF ATLANTIS haben jüngst ihren neuen Wurf „Pirates“ veröffentlicht. Über diesen sowie über die turbulente Bandvergangenheit und die aufwändigen Musikvideos, die das neue Album begleiten, sprachen wir mit Frontfrau Clémentine Delauney, die sich zum Zeitpunkt des Interviews gerade in den USA auf Tour befand. Moderne Technik macht es möglich und so war ein kleines Gespräch in gedämpfter Lautstärke möglich, denn die anderen Bandmitglieder hielten zu dem Zeitpunkt ein Nickerchen.

Hallo Clémentine, wie läuft denn die USA-Tour gerade?

Fantastisch, wir bekommen eine wirklich unglaubliche Rückmeldung des Publikums, die wir so nicht erwartet haben. Wir spielen ein paar neue Songs von „Pirates“, die wir selbst sehr lieben, was uns sicherlich eine neue Energie gibt. Aber das allgemeine Feedback ist großartig. Wir haben eine tolle Zeit.

Stellst du irgendwelche Veränderungen zum Touren vor der Pandemie fest?

Oh ja, du kannst definitiv sehen, dass die Leute Liveshows vermisst haben. Sie sind aufgeregt und sogar im Vergleich zum europäischen Publikum ist das amerikanische Publikum sehr enthusiastisch und ausdrucksstark. Es ist ein tolles Gefühl, als erste Erfahrung nach zwei Jahren, in denen gar nichts passiert ist, in den USA auf Tour zu sein und die Livemusik wiederzubeleben.

Euer neues Album „Pirates“ erscheint im Mai. Ihr seid dem maritimen Thema damit treu geblieben. Was sind die Gründe dafür?

VISIONS OF ATLANTIS hatte schon immer ein Universum, das mit dem Meer verbunden war. Als ich der Band 2013 beigetreten bin, haben wir das ganze noch verstärkt. Und seit „The Deep & The Dark“ versuchen wir, dem ganzen so eine Art Piraten-Vibe zu geben. Der Unterschied zu „Wanderers“ ist, dass wir uns diesmal komplett auf das Piratenthema eingelassen haben. Bestimmte Themen in diese Richtung fanden sich schon auf den Vorgängeralben, aber dieses Mal haben wir sie mehr in den Vordergrund gestellt. Wir bleiben also dem Ursprungsansatz von VISIONS OF ATLANTIS treu, geben ihm mit dem Piratenuniversum aber einen neuen Aspekt.

Was hat sich im Sound im Vergleich zu „Wanderers“ verändert?

Viele Dinge haben sich geändert. Wir haben uns viel Zeit genommen, viele Songs zu schreiben, tief in die Materie von VISIONS OF ATLANTIS einzutauchen, sowohl musikalisch als auch optisch. Wir haben die Band mit etwas Distanz betrachtet und überlegt, in welche Richtung wir gehen wollen, auch basierend auf dem Feedback, das wir bei den Liveshows bekommen haben. Da wurde uns oft gesagt, uns zuzuschauen sei ein bisschen wie bei einem Musical. Was die Musik angeht, waren wir dieses mal wesentlich organischer unterwegs. Viele Songs sind düsterer und heavier.

Als wir gemerkt haben, dass unser Album finsterer wird, dachten wir, es ergibt Sinn, dass wir dazu ein dunkleres Image entwerfen, da wir es mögen, wenn die Dinge zusammenpassen. Wir haben mit neuen Leuten für die Produktion und die Orchestrierung zusammengearbeitet. Wir haben Jacob Hansen für den Mix und das Mastering engagiert, weil wir wollten, dass diese Songs den starken Sound bekommen, den sie verdient haben

Da ihr alle aus verschiedenen Ländern kommt, wie sah es denn mit dem Schreib- und Aufnahmeprozess aus?

Ich glaube, dass das alte Modell, wo sich die Bands im Proberaum treffen, um Songs zu schreiben, noch für jede Band aktuell ist, egal wie weit sie auseinander wohnen. Ich denke, mit der Hilfe von Technologie ist es einfacher geworden. Du schreibst eine Idee auf, packst sie in einen Ordner, lädst sie hoch, die anderen schreiben ihre Parts dazu, so geht das heute. Michele (Guaitoli) und ich haben eine Session gemacht, in der wir viele der Gesangslinien geschrieben haben, da saßen wir tatsächlich mal zusammen im Studio.

Als wir das Album aufgenommen haben, war es schon etwas schwierig, denn da herrschte gerade ein totaler Lockdown in Österreich, sodass unser Bassist und unser Gitarrist ihre Parts alle zu Hause aufnehmen mussten, um sie anschließend ans Studio zu schicken. Es gab keine Möglichkeit für sie, zu uns zu kommen. Im Studio waren nur Michele und ich und Thomas (Caser, Drums). Wir hatten zwar eine großartige Zeit, aber es war auch seltsam.

Wie sieht es mit den Texten des Albums aus? Handeln sie alle von Piraten oder gibt es auch andere Themen?

Das Ding ist, ich nutze dieses Pirathenthema und alles, was mit den Ozeanen zu tun hat, als Metapher. Wenn ich darüber singe, dass du das Meer überwinden und erobern sollst, meine ich damit, dass du deinen eigenen Horizont erweitern und deine Ängste überwinden sollst. Die Texte haben also eine doppelte Bedeutung. Ich würde sagen, ungefähr die Hälfte der Texte dreht sich um das Piratenuniversum und die andere Hälfte ist eher Selbstreflexion. Es arbeitet aber alles zusammen, weil ich aufpasse, dass die Worte und Bilder fortlaufend ineinander greifen. Auch wenn die Piratenthematik sehr stark vertreten ist, haben wir auch andere Themen. Ein Song handelt von der Zeit und wie wichtig es ist, den Tag zu nutzen und noch einige etwas persönlichere, intimere Themen.

Ihr plant zum Album ja mehrere aufwändige Musikvideos. Wie habt ihr dafür die Locations ausgewählt und was kannst du mir darüber berichten?

Es war sehr arbeitsintensiv, weil wir die drei Videos in einem Monat aufgenommen haben. Als ich an den Songs gearbeitet habe und die Texte geschrieben habe, habe ich eine Art Film mit Charakteren, Bildern und so weiter in meinem Kopf ablaufen lassen. Demzufolge hatte ich schon viele Ideen, als wir darüber redeten, welche Songs wir in Videos verwandeln wollten. Trotzdem war es schwer, die Leute zu finden, die in dem Zeitfenster filmen und Regie führen konnten, wegen der Pandemie natürlich auch. Zudem haben sich während der Drehs enige von uns Covid-19 eingefangen, sodass wir bestimmte Termine verschieben mussten.

Irgendwann waren wir aber an dem Punkt, an dem wir einfach wussten, dass es jetzt gemacht werden muss, egal wie und wann. Für ein Video, „Melancholy Angel“, waren wir um zwei Uhr nachts an einem Strand in Rügen. Es war windig, unter null Grad und wir hatten viel zu wenig Kleidung an. Das hat uns wirklich redefiniert, was Kälte bedeutet. Es war aber unsere einzige Chance und wir haben es durchgezogen. Ich habe das Ergebnis noch nicht gesehen, bin aber sehr gespannt. Wir haben so viel Passion und Energie in dieses Album und die Videos gesteckt, dass ich mich sehr darauf freue, es den Leuten zu präsentieren.

Du hast eben schon gesagt, bei dir läuft ein Film im Kopf ab, wenn du die Lyrics schreibst. Wäre so etwas für VISIONS OF ATLANTIS eine Idee? So wie NIGHTWISH es mit „Imaginaerum“ vorgemacht haben?

Wenn du mich fragst, würde ich sehr gerne einen Film machen und den Score dafür zu schreiben. Wir lieben es, das Album größer als die Songs zu machen. „Pirates“ ist zwar kein Konzeptalbum, aber durch das Thema haben alle eine kollektive Vorstellung davon, worum es gehen könnte. Klar, wir würden gerne größer werden als nur eine Metalband. Vielleicht ist unsere Zukunft ja im Kino, wer weiß. Wir müssen sehen, wie weit wir den Filmaspekt in unsere Musik integrieren können.

VISIONS OF ATLANTIS hatte viele Line-up-Wechsel. Seit „Wanderers“ ist das Line-up aber stabil. Denkst du, ihr habt nun euere langfristige Besetzung gefunden?

Ich hoffe, dass es so ist. Es ist immer schwierig, wenn du Bandmitglieder auswechseln musst, nicht nur beim Publikum, sondern auch innerhalb der Band. Wir können natürlich nicht kontrollieren, was in den Köpfen der Leute vorgeht. Manche haben die Band verlassen, weil sie andere Pläne mit ihrem Leben hatten, manchmal hat es einfach nicht gepasst. Wir sind jetzt gerade stark mit dem Line-up, das wir haben, aber die Zeit wird zeigen, ob das so bleibt.

Was mir aufgefallen ist: Ihr fokussiert euch bei den Liveshows sehr stark auf die Alben ab „The Deep & The Dark“. Was ist der Grund, warum ihr viele der alten Songs nicht mit einbezieht? Es gab ja auch mal eine EP, auf der ihr alte Stücke neu aufgenommen habt.

Um ehrlich zu sein, fühlen wir uns viel verbundener mit dem neuen Material als mit den alten Songs. Thomas ist der einzige, der von Anfang an dabei ist und daher bedeutet keiner der Songs vor „The Deep & The Dark“ uns persönlich etwas. Am Anfang, als ich der Band beigetreten bin, haben wir für die ersten vier Jahre noch Stücke von „Cast Away“, „Trinity“ und den anderen ersten Alben gespielt. Aber als wir unsere eigenen Stücke geschrieben haben, haben wir uns mehr danach gefühlt, diese zu präsentieren, weil die für uns VISIONS OF ATLANTIS ausmachen.

Manchmal habe ich das Gefühl, die Band ist erst vier und nicht schon fast 20 Jahre alt, weil sie mit „The Deep & The Dark“ eine Art Neustart gemacht hat. Wir sind emotional nicht an das alte Material gebunden. Wenn der Sound etwas kohärenter wäre, wenn das, was wir heute tun, mehr zu den alten Songs passen würde, würde es auch einen Sinn ergeben, alles live zu vermischen. Wir denken aber, dass unser Piratenthema jetzt viel stärker ist und wir wollen damit weitermachen und nicht mit der Musik, die vor 15 Jahren von anderen Leuten geschrieben wurde.

Welche Pläne habt ihr noch für 2022 und darüber hinaus?

Wir haben im Mai eine kleine Headlinertour in Europa, dann wird im Herbst ebenfalls eine Headlinertour folgen. Danach könnten noch Touren in anderen Teilen der Welt folgen, aber darüber kann ich noch nicht viel sagen. Wir wollen als Headliner in die USA zurückkehren, vielleicht bevor unser Visum ausläuft. Zudem haben wir einige tolle Festivals für den Sommer 2022 gebucht. Es gibt also genug zu tun.

Danke dir für deine Zeit, die letzten Worte gehören dir.

Ich möchte allen danken, die während der Pandemie Bands unterstützt haben, indem sie Streamingshows geguckt haben, auch wenn wir selbst keine gemacht haben. Aber auch die Leute, die Merchandise gekauft haben, die Alben kaufen und jetzt wieder zu Liveshows kommen, eben die Künstler:innen direkt unterstützen. Ihr gebt uns das Signal, dass wir weitermachen sollen!

Quelle: Skype-Call mit Clémentine Delauney
16.05.2022

Redakteur für alle Genres, außer Grindcore, und zuständig für das Premieren-Ressort.

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