Agrypnie - Grenzgænger/ Pavor Nocturnus

Review

Unglaubliche fünf Jahre sind bereits vergangen, seit AGRYPNIE ihr letztes Album „Aetas Cineris“ veröffentlichten. Im Laufe der Zeit hatte sich die Truppe um Bandkopf Torsten Hirsch vom einstigen Nebenprojekt neben NOCTE OBDUCTA zu einer umtriebigen Band entwickelt, welche den deutschen Black Metal um eine weitere Facette bereicherten. Ausdruckstarker, offener und mit viel Liebe fürs Detail gespielter Avantgarde-Black-Metal. Inzwischen ist von der damaligen Band nur noch Torsten übrig, welcher nun mit neuer Mannschaft das neue Album „Grenzgænger“, bereichert um die zusätzliche CD „Pavor Nocturnus“ als Doppel-Schlag, veröffentlicht.

Überschreiten AGRYPNIE Grenzen? – „Grenzgænger“

Es ist das Hauptwerk des über zweistündigen Doppelalbums. „Grenzgænger“, von Torsten als sein bisher persönlichstes Album bezeichnet: „Die letzten Jahre waren durchzogen von den dunkelsten Momenten meines Lebens.“. Beim Anhören des Albums wird schnell klar, dass hier jemand eine ganze Menge Ballast abwerfen musste. So bleiben sich AGRYPNIE stilistisch grundsätzlich treu, urbaner (Avantgarde) Black Metal mit Elementen aus dem Post Rock und Ambient, dazu schimmert immer wieder etwas dunkler Hardcore durch, aber die flächigen Momente sind etwas zurückgeraten. Und auch in Sachen ausufernde Songlängen sind sich AGRYPNIE auf „Grenzgænger“ treu geblieben. Gleich der zehnminütige Opener „Auferstehung“ brettert bestätig drängend nach dem beklemmenden Intro, welches in Zusammenarbeit mit dem Ambient-Künstler Mathias Grassow entstand, brachial los. Hier scheint der Titel Programm zu sein, so eiskalt wütend klangen AGRYPNIE seit ihrem Debütalbum „F51.4“ nicht mehr. Der neue Schlagzeuger Moe Harringer (Ex-GRAVEWORM) zieht das Tempo bis in wild rasende Hyperblast-Regionen. Dabei schaffen es AGRYPNIE mit variablem Tempo, klugem Songaufbau und dem wütenden, verbittertem Geschrei von Torsten, über die gesamte Songlänge die Spannung aufrechtzuerhalten. Was für ein mächtiger erster Schlag! Es wird abgründiger – mit dem nächsten Stück ziehen dich AGRYPNIE „In die Tiefe“. Wie meist bei den bisherigen Werken von AGRYPNIE folgt nach einem treibenden Opener ein schleppender, getragener Song, der die ohnehin alles beherrschende Melancholie in noch dunklere Abgründe führt, auf Gitarrensoli wird hier komplett verzichtet. „Aus Zeit erhebt sich Ewigkeit“ ist dann wieder ein schwarzmetallisch rasendes, eisiges Stück mit Gastbeitrag von Eviga, womit sich augenblicklich auch eine Nähe zu DORNENREICH auftut. Das folgende, dreizehnminütige „Nychthemeron“ ist sehr abwechslungsreich gestaltet, pendelt zwischen brachialen Ausbrüchen und feinen Melodien. Der Titelsong „Grenzgænger“ beginnt zunächst thrashig und steigert sich mit hoher Geschwindigkeit, wird beständig intensiver. Es folgen noch „Die Waisen des Daidalos“ mit seinen eindringlichen Gitarren, das Akustikgitarren mit Blastbeats kombinierende „Die längste Nacht“ sowie das abschließende, leicht proggige „Zu Grabe“. AGRYPNIE brechen mit „Grenzgænger“ tatsächlich wieder Grenzen auf. Die gnadenlose Stimmung hält das vielseitige Werk zusammen, gefühlte Apathie, Wut, Ernüchterung, unerschütterlicher Kampfeswille. Emotional und tiefgründig. Musikalisch herrschen in den langen Stücken wieder oft lange instrumentale Songabschnitte, welche zusätzlich die Atmosphäre bereichern und für viel Raum für feine Details bieten. Torsten hat neben dem Gesang die Gitarren gespielt, Produzent Phil Hillen den Bass und  Moe das Schlagzeug. Weiter haben neben bereits erwähntem Eviga (DORNENREICH) noch J.J. (HARAKIRI FOR THE SKY) und M.J.B. (TODTGELICHTER) als Gäste mitgewirkt, während Marcel von NOCTE OBDUCTA einen Songtext schrieb. „Grenzgænger“ ist ein facettenreicher Klangkosmos zwischen wütender Raserei gepaart mit modernen melodischen Sequenzen und desillusionierender Hoffnungslosigkeit.

Altes neu interpretiert – „Pavor Nocturnus“

„Pavor Nocturnus“ beginnt zunächst mit überarbeiteten Versionen der drei Demosongs von der längst vergriffenen Split mit FATED, wobei der ursprüngliche raue Spirit weitestgehend beibehalten wurde. Mit „Neon“  gibt es einen neuen Song, der aber eher in Richtung Synthie Pop (!) geht mit weiblichem Gesang. Wirklich krasser stilistischer Bruch, den ich selbst bei einer grenzüberschreitenden Band wie AGRYPNIE nicht ganz nachvollziehen kann. Es folgen weitere fünf von Rüdiger Gleisberg ambient-orchestral überarbeitete alte AGRYPNIE-Stücke, wobei mir die Originalversionen besser gefallen. Unterm Strich ist „Pavor Nocturnus“ in erster Linie nur für echte AGRYPNIE Fans, insbesondere wenn die erste Split noch in der Sammlung fehlt.

Fazit

AGRYPNIE haben endgültig ihren ureigenen, hochemotionalen Klangkosmos fern jeglicher Genregrenzen gefunden und liefern mit „Grenzgænger“ ihr bisher facettenreichstes, reiftes Werk.

18.10.2018

Geschäftsführender Redakteur (stellv. Redaktionsleitung, News-Planung)

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