Anathema - Weather Systems

Review

Das gab es auch noch nicht: Ein ANATHEMA- und ein PARADISE LOST-Album erscheinen am gleichen Tag. Anders aber als PARADISE LOST, ihre auf dem aktuellen Werk „Tragic Idol“ wieder deutlich mit der Doom-Metal-Vergangenheit flirtenden Landsmänner und ebenfalls Zugehörige der ehemaligen Big Three des Doom Metal, haben ANATHEMA ihre metallischen Wurzeln 1998 mit dem wunderbaren „Alternative 4“ wohl für alle Zeit begraben und seither im Atmospheric/Progressive/Art Rock eine neue Heimat gefunden. Doch so künstlerisch wertvoll ihre Alben im dritten Jahrtausend auch sein mögen – ganz so grandios, wie vielfach geschrieben, war insbesondere das Quasi-Comeback-Album „We’re Here Because We’re Here“ nicht. Böse Zungen könnten auch sagen: Die latent aggressive Schwermut älterer Werke war völlig dem sich unter dem Mantel des Anspruchs verbergenden, dösig-süßlichen Gesäusel gewichen.

Und nun? Ja, auch „Weather Systems“ entpuppt sich wieder als ruhige, verträumte Scheibe, auf der Stücke wie das melancholisch-warme „Lightning Song“ absolut nicht mit jener im Titel suggerierten Wucht daher kommen und das Anhänger von „Serenades“ und „The Silent Enigma“ meist nur mit einem Kopfschütteln quittieren werden. Doch anders als die kaum behauenen Doom-Brocken der Anfänge ist das neue Material technisch erhaben, zudem nach wie vor kompositorisch spannend und besitzt aufgrund seiner Detailverliebtheit eine hohe Halbwertszeit. Die Mittel reichen von akustischer und elektrischer Gitarre über Streicher, Piano und Elektronika (beim überraschend kalten „The Storm Before The Calm“) bis hin zum männlich-weiblichen Duettgesang – nur selten erscheint alles ein wenig zu schwülstig und klimpernd. Hervorheben muss man bei alldem Vincent Cavanagh, der den Liedern mit seinem Gesang zwischen zarter Hoffnung und tiefer Resignation erst den Lebensfunken einhaucht. Der Höhepunkt der ungestört und gemächlich vorbeiziehenden Wettererscheinungen kommt erst relativ spät, nämlich mit dem für neue ANATHEMA-Verhältnisse überraschend lebhaften, unglaublich mitreißenden „The Beginning And The End“, das auch auf den Spätneunziger-Alben hervorragend ins Bild gepasst hätte.

Macht man sich frei von Blicken in die Vergangenheit, bleibt ein anmutiges Werk, das mit einigen bezaubernden Melodien, ergreifendem Gesang, ungestört fließenden Arrangements und den vielen kleinen Nuancen von Durchlauf zu Durchlauf mehr Tiefe offenbart, den Hörer mehr und mehr entweltlicht. Doch auch wenn „Weather Systems“ als gutes Beispiel dafür herhält, dass auch ruhige Musik äußerst leidenschaftlich sein kann, so ergeben sich ANATHEMA erneut manchmal zu selbstverliebt der eigenen, weichgezeichneten Melancholie. Die Wetter-Thematik hätte sich doch regelrecht aufgedrängt, durch ein, zwei (weitere) direktere Rocker – etwa im Stile von „Pulled Under At 2000 Meters A Second“ oder „Empty“ – noch mehr (als die sanfte) Dynamik entstehen zu lassen und so eine den allesamt noch etwas packenderen, ausgewogeneren „The Silent Enigma“, „Eternity“ und „Alternative 4“ ebenbürtige Großtat zu vollbringen.

20.04.2012
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