Anathema - Hindsight

Review

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ANATHEMA sind eine außergewöhnliche, eine besondere Band. Das muss man neidlos anerkennen und um es festzustellen, braucht man die Band wahrscheinlich nicht einmal sonderlich zu mögen. Seit nunmehr 18 Jahren tummeln die Briten sich im Musikbusiness und sind auch nach zahllosen Line-Up-Veränderungen noch kein bisschen müde. Im Gegenteil: Weiterhin veröffentlicht die Band munter Alben und geht auf Tour. Dass sie dabei seit „A Natural Disaster“ ohne Label dastehen, da Music For Nations nicht mehr existiert, scheint sie dabei kaum zu stören. Ohne eine Plattenfirma im Rücken gehen sie mittlerweile ihren eigenen Weg – Independent, wie man es heutzutage sagt. Eh Ende des Jahres mit „Horizons“ ein neues Full-Lenght-Album der Band erscheinen soll, veröffentlichen ANATHEMA dieser Tage ein besonderes Schmankerl für ihre Fans: „Hindsight“.

Dass es irgendwann dazu käme, war eigentlich absehbar. Der Schritt, den die Band mit „Hindsight“ gegangen ist, scheint zwingend logisch. Das Release eines Halb-Akustik-Albums, respektive einer Compilation, da ANATHEMA bis auf eine Ausnahme schon bestehende Songs in ein neues Gewand kleideten, bietet sich bei der Musik, die die Band heute schreibt und spielt, absolut an. Dass die Band sich auch in diese Richtung bewegt, darauf deutete ja die „A Moment In Time“-DVD schon hin. Auf dieser wurden sie vom Royal Liverpool Philharmonic Orchestra unterstützt. Wieder mit von der Partie ist Dave Wesling, der den Rundling mit seinem Cellospiel veredelt. Bei so guten Voraussetzungen konnte eigentlich nicht all zu viel schiefgehen. Und tatsächlich: Mit „Hindsight“ haben ANATHEMA ein herrliches Kleinod geschaffen.

Los geht’s mit „Fragile Dreams“, eigentlich ein kraftvolleres Stück von der „Alternative 4“. Erfreulicherweise hat es auch im ruhigeren Gewand nicht an Kraft verloren. Bedrohlich baut der Song sich mit leisen Pianoklängen und Streichern im Hintergrund auf, lässt dann die Streicher mit wunderschöner, umhüllender Melodie in den Vordergrund treten und zeigt sich dann, wenn der Gesang einsetzt, fast zerbrechlich. Fragil, das passt zum Titel. Zum Ende hin gewinnt der Song wieder an Kraft und mündet nach dem Refrain im finalen Solo, das sich glücklicherweise auch in dieser Version wiederfindet. Ein gelungener Einstand. Die zwei folgenden Songs, „Leave No Trace“ und „Inner Silence“ sind ruhigerer Natur und laden zum Zurücklehnen und entspannen ein. Zwar sind auch hin beide Umsetzungen sehr gelungen, allerdings möchte man fast meinen, die zwei Stücke dienten als Bindeglied vom genialen Opener hin zum nächsten Knaller: „One Last Goodbye“. Schon in seiner ursprünglichen Fassung auf der „Judgement“ ist der Song wunderschön, was ANATHEMA allerdings daraus gemacht haben, toppt wirklich alles. So tieftraurige, verzweifelte, elegische und doch herrlich schöne Stücke sind eine absolute Seltenheit. Hier passt wirklich jede Note, hier klagen, weinen, schreien Piano, Gitarre und Sänger sich im Einklang durch das Lied. Nachdem der Song ruhig und düster anfängt, zeigt er im Mittelteil mit Akustikgitarrenbegleitung und herrlich getragenem Cello fast schon Hoffnung. „In my dreams I can see you“, heißt es. Allerdings nur im Traume, denn am Ende offenbart sich, dass alles Hoffen vergebens war und ist. „I wished, I wished you could have stayed“, das sind die letzten, resignierenden Worte. Rein Instrumental findet der Song dann schließlich sein Ende. Berührend, herzerweichend, niederschmetternd.

Das folgende „Are You There“ ist für mich die erste Enttäuschung auf „Hindsight“. Im Original ist der Song auf eine besondere Art und Weise zerbrechlich, schwach, kalt kraftlos. Dieser Charakter wurde verworfen: Nun ist das Lied symphonisch und warm. Die fröhlichen Arpeggios am Anfang in Kombination mit den Chorälen im Hintergrund sind meiner Meinung nach einfach unpassend. Im Mittelteil, wo das Stück sich auch im Original ohnehin wandelt und etwas flotter wird, passt die neue Version wiederum sehr gut – sodass der Song immerhin ein versöhnliches Ende bietet.
Mit „Angelica“ folgt ein Hit der Band. Ein Hit, der für eine solche Fassung gradezu prädestiniert ist. Wer das Original kennt, wird selbst genau wissen, warum er das ist. Wie erwartet ist der Song absolut gelungen. Die Vocals sind sogar noch berührender als sie es ohnehin schon waren, und der Hörer saugt jede gesungene Note, jede Silbe, begierig auf. Daran, dass das abschließende „And I still wonder“ im neuen „Angelica“ auf einmal flüsternd daherkommt, musste ich mich zwar erst einmal gewöhnen, doch letztlich muss ich anerkennen: Genau so ist es richtig.
„A Natural Disaster“, auch einer meiner Lieblingssons, folgt. Zumindest in den Strophen hat der Song durch die neue Fassung noch etwas hinzugewonnen; der wunderschöne Gesang von Lee Douglas hat mehr Gewicht bekommen und steht mit leichtem Hall versehen im Vordergrund. Fast fühlt es sich an, als stünde die Sängerin direkt neben dem Hörer, als ließen die Noten sich anfassen. Im Refrain allerdings offenbart der Song Schwächen: Der leicht verzerrte Männlein-Weiblein-Wechselsang ist eher störend – Lees Stimme alleine wäre weit besser gewesen.
„Temporary Peace“ hat zwar einen hohen Ohrwurmfaktor und lässt sich wirklich gut hören, berührt aber nicht ganz so sehr wie die Riege der Songs davor. Zum Ende hin wird das Lied allerdings wunderschön. Hier funktioniert der im vorigen Lied noch bemängelte Wechselsang. Das könnte auch daran liegen, dass hier die weibliche Stimme unterstützend hinzukommt – und das ohne störende Verzerrung. Das folgende „Flying“ ist, wie erwartet, absolut klasse. Der Song, der erst ganz ruhig mit Gesang und Gitarre beginnt, bäumt sich am Ende mit symphonischem Charakter dergestalt auf, dass er fast kolossal wirkt. Das Ende ist dann wieder ganz ruhig, leise, fast nur angedeutet – ein herrliches Hin und Her, ein Wechselbad der Gefühle!
Der neue Song, „Unchained (Tales Of The Unexpected)“. Begeistert vor allem durch die Gitarrenpickings, die sich durch den ganzen Song ziehen und sofort ins Gehör gehen, sowie die genau richtig dosierten Celloeinsätze. Nachdem am Ende nur noch Hintergrundgeflüster vorhanden ist und das Cello ein eigenes Lied singt, verebben auch die fast schon unendlich scheinenden Akustikgitarrenpickings und sowohl Lied als auch Album schwinden mit immer leiser werdenden Klaviertönen dahin.

Nach dem langen Hauptteil kann das Fazit umso kürzer ausfallen: Eine absolute Empfehlung, sowohl für alteingesessene Fans, als auch für totale Neulinge. Die nächsten Monate darf „Hindsight“ genossen werden, in gespannter Erwartung auf das neue Album „Horizons“.

22.08.2008

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3 Kommentare zu Anathema - Hindsight

  1. utaka sagt:

    die songs phänomenal neu aufgenommen. kein schwacher song dabei. meisterwerk!

    10/10