Architects - All Our Gods Have Abandoned Us

Review

Vor gut zwei Jahren gelang ARCHITECTS von der Insel mit „Lost Forever // Lost Together“ ein Werk, wie es viele Bands in ihrer gesamten Karriere nur einmal zustande bringen. Album Nummer sechs schien die Essenz dieser Band zum ersten Mal in ihrer Gänze gefasst zu haben. Es war dieses eine musikalische Vermächtnis, auf das eine Band über ihre gesamte Schaffenszeit hinweg unbewusst hinarbeitet. Begeisterte Kritiker, ausverkaufte Shows und ein gänzlich neues Aufmerksamkeitslevel waren die Folge. Zwei Jahre später stellt sich nun die spannende Frage, was ARCHITECTS auf ihr persönliches „The Blackening“ folgen lassen. Wie immer in einer solchen Situation bestehen im Grunde nur zwei Optionen: 180-Grad-Wende oder Rezeptkopie und nach Möglichkeit –optimierung.

Der ARCHITECTS-Sound von 2016 perfekt auf den Punkt gebracht

Die vorab veröffentlichten Singles „Gone With The Wind“ und vor allem „A Match Made In Heaven“ deuteten bereits darauf hin, dass man der liebgewonnen Balance zwischen Djent-Riffing, Postcore-Erhabenheit, Emotion, und anprangernder, roher Wut diesmal nicht direkt wieder abschwören würde. Besonders „A Match Made In Heaven“ ähnelte dabei trotz aller Qualitäten in Sachen Aufbau und Songbausteinen dem Material auf „Lost Forever // Lost Together“ teils signifikant. Zugegeben, es gibt ein paar dieser Momente auf „All Our Gods Have Abandoned Us“, in denen eine Tonfolge, eine Breakdown-Rhythmik oder eine Textzeile dem Vorgänger entnommen scheinen. Es gibt auf der anderen Seite aber auch bei weitem zu viel Neues und zu viel Eigenständigkeit, zu viel Perfektion, um ARCHITECTS deswegen einen B-Seiten-Aufguss zu unterstellen.

In Sachen Brutalität und unvermittelter Urgewalt steht der Opener „Nihilist“ seinem 2014-Pendant „Naysayer“ zunächst einmal in rein gar nichts nach. Von Sekunde eins an schreit sich ein mächtig wütender Sam Carter die Seele aus dem Leib, stoßen Drums und Gitarren in höhere Geschwindigkeitssphären als zuletzt vor, wird das mächtige Albumcredo über ein groovendes Breakdown gebrüllt. Zur Halbzeit gibt es einen cleanen Einschub, der über einen postigen Zwischenteil in einen tiefen und bösen Endpart á la „These Colours Don’t Run“ überleitet. Ein starkes Intro, das den ARCHITECTS-Sound von 2016 perfekt komprimiert auf den Punkt bringt.

Politisch, wütend und emotional

Das folgende „Deathwish“ kombiniert schwere Breakdown-Parts mit einem Mehr an Melodie und Punk-Attitüde und einem Refrain, der hängen bleibt: „Maybe we passed the point of no return. Maybe we just wanna watch the world burn“, schreit ein verzweifelter Carter. Im direkten Vergleich zur trotzigen Empörungshymne „Naysayer“ zeigt sich hier die ganze Desillusionierung, die „All Our Gods Have Abandoned Us“ noch eine Spur düsterer als seinen Vorgänger macht. Wenn nichts mehr zu retten ist, gehen wir wenigstens mit einem Knall.

Ohnehin sind die Lyrics nicht erst seit dem letzten Release handwerklich und inhaltlich ein großer Pluspunkt im ARCHITECTS-Sound. Auch „All Our Gods Have Abandoned Us“ thematisiert, deutlich hörbar in Songs wie „Phantom Fear“ und „All Love Is Lost“, aktuelle politische und gesellschaftliche Themen wie den allgemeinen Verlust von Empathie und Menschlichkeit im Angesicht vermeintlicher Existenzbedrohungen wie der anhaltenden Flüchtlingskrise in Europa. Sam Carter schreit dabei diesmal noch eine Spur variabler und emotionaler als zuletzt und festigt seinen Ruf als einer der begnadetsten Shouter des modernen Metal ein weiteres Mal.

ARCHITECTS müssen nur noch den Vergleich mit ARCHITECTS fürchten

„All Our Gods Have Abandoned Us“ ist in seinen stärksten Momenten einfach etwas mehr von allem, was „Lost Forever // Lost Together“ ausmachte. Mehr grabestiefe Mathcore-Breakdowns, mehr Tempo und Technik, mehr Emotion und wunderschöne Verzweiflung als je zuvor gibt es in „Downfall“, „Gone With The Wind“ und dem großartigen „Momento Mori“, das gestützt von einer unkonventionellen Songstruktur tief bewegende Bilder im Kopf entstehen lässt und mit seiner Türen öffnenden Progressivität durchaus Hinweise darauf gibt, wohin es ARCHITECTS in Zukunft ziehen könnte.

Aber, und dieses „aber“ fällt schwer angesichts einer durch und durch großartigen Platte: der direkte Vergleich geht aufgrund inhaltlicher Kohärenz, größerer Hitdichte und des Innovationsfaktors dennoch an den Vorgänger. Da diese Einschätzung, wie das journalistische Genre der Kritik an sich, vollkommen subjektiv ist, muss sich aber auch niemand an ihr stören. Mit „All Our Gods Have Abandoned Us“ rücken ARCHITECTS endgültig in den Spitzenbereich der weltweiten Metalcore-Szene vor, lassen die Landsleute von BRING ME THE HORIZON mit ihrem jüngsten Output verblassen und setzen Australien (PARKWAY DRIVE, NORTHLANE etc.) und Nordamerika (BETWEEN THE BURIED AND ME, AUGUST BURNS RED u.v.m.) gehörig unter Zugzwang. In dieser Form müssen ARCHITECTS den Vergleich mit sich selbst als einzigen fürchten.

22.05.2016
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