
Soundcheck Dezember 2025 Special# 23
Es ist natürlich sehr verführerisch, bei deutschrachigem Post-Hardcore sofort den FJØRT-Vergleich zu zücken – hat unsereins z. B. schon das ein oder andere Mal gemacht. Markante Merkmale sind heiserer Kreischgesang mit gelegentlichen Clean- oder besser: melodischen Spoken Word-Einlagen und der genretypische Basis-Sound, sprich: der Grundeklektik des Post-Hardcores mit den Hardcore Punk-Wurzeln und diversen Beimischungen aus Alternative, Metalcore und anderen Genres wie Stoner Rock. Und dieser Vergleich liegt auch hier, beim schlappe sechs Jahre auf die „Abbruch“-EP folgenden Full-Length-Debüt „Angstapparat“ der Essener BRAUNKOHLEBAGGER auf der Zunge, die sich hierauf titelgemäß dem übergeordneten Thema Angst in ihren verschiedensten Formen widmen.
Der BRAUNKOHLEBAGGER schürft im Post-Hardcore und gräbt die nähere Genre-Umgebung ebenfalls ein bisschen um
Aber die Essener haben doch so ihre eigenen Nuancen, in denen sie sich von den Aachener Kollegen und deren Derivaten unterscheiden. Das gegenständliche Quintett schielt mit mindestens einem Auge nämlich gerne so ein bisschen in Richtung Prog mit krummen Takten hier und da sowie sporadischen Rhythmuswechseln, die vor allem einen Song wie „Maskenball“ auszeichnen – und kein einziges, billiges Djent-Riff weit und breit. Halleluja! Man rutscht zu keiner Zeit ins Mathcore-Territorium hinein, sodass man sich hier vor THE HIRSCH EFFEKT-Vergleichen hüten sollte. Insofern verschließt sich „Angstapparat“ nicht dem normalsterblichen Ohr. Generell scheint der Alternative-Aspekt der Esssener aber auch deutlich ausgeprägter zu sein, was „Angstapparat“ im Allgemeinen einen ordentlichen, rockigen Drive verpasst.
Sie klingen also weniger auf den Core-Aspekt fokussiert und rutschen nicht in die Math-Schiene hinein, dafür klingen sie etwas rockiger und erdiger, jedoch auch verspielt, abwechslungsreich und durchaus komplex. Letzteres jubeln BRAUNKOHLEBAGGER ihrer Hörerschaft aber eher beiläufig unter, denn der Dosenöffner „Visionen“ beispielsweise geht runter wie Öl und fegt wie selbstverständlich durch die Boxen, sodass man die zahlreichen Layer des Songs praktisch erst bemerkt, wenn man genauer zuhört. Sie können ihrer Hörerschaft die Progressivität aber durchaus offensichtlich aufs Brot schmieren, wenn sie möchten, nachzuhören beispielsweise in den sporadischen Rhythmus-Wechseln von „Maskenball“.
Dabei kombinieren die Essener rockige Lockerheit und progressive Tiefe auf angenehm subtile Weise
Sie rocken aber eben auch gerne mal geradeaus wie im erfrischend aus der Hüfte geschossenen „Hexenjagd“, bei dem sich die Gitarren zwischenzeitig zu luftiger Riffakrobatik á la ELDER aufschwingen und dessen Übergänge einfach sahnig sind. Einschlägige Hooks haben die Herren ebenfalls drauf, nachzuhören in „Erdbeben“ beispielsweise. Die Textarbeit hinter „Angstapparat“ ist ein weiteres Alleinstellungsmerkmal, sind die Lyrics schließlich erfrischend geradeaus geschrieben, ohne vorher 30 Mal durch den rhetorischen Fleischwolf gedreht worden zu sein. Dadurch atmet das Album gerne den neurotischen Grundtenor von SUCH A SURGE, was zugegeben manchmal aber auch ein wenig nach erhobenem Predigerzeigefinger klingt.
Das bricht dem Album glücklicherweise nicht das Genick, aber in einzelnen Momenten wie „Partyzeit“ kann der Tonfall schon etwas nerven. Im Gesamtbild ist das jedoch ein verkraftbarer Wermutstropfen, der sich angesichts der ansonsten grundsoliden Arbeit von BRAUNKOHLEBAGGER wunderbar ertragen lässt. Das mag das Soundcheck-Team anders sehen, aber „Angstapparat“ ist eine ausgesprochen solide Angelegenheit und empfiehlt sich Freunden deutschsprachiger Musik der etwas zünftigeren Gangart, die etwas für Post-Hardcore der rockigeren Art übrig haben und nicht vor progressiven Wendungen jenseits der plakativen Griffbrett-Masturbation zurückschrecken. Damit belegen die Essener durchaus ihre eigene Nische im Genre, zugleich zugänglich und eingängig und doch angenehm komplex, sodass „Angstapparat“ doch eine erfreulich hohe Halbwertszeit bietet.

Michael






























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