Deadlock - Bizarro World

Review

Aufatmen. Kein Intro. Und plötzlich bist du auch schon mittendrin. Als Beobachter, Statist und als Hauptcharakter zugleich. In einer modernisierten Variante des Noir-Stils halten uns DEADLOCK einen Spiegel vors Gesicht und liefern ihre Interpretation einer Welt der Extreme und Widersprüche: „Bizarro World“ stellt alles auf den Kopf. Nicht nur thematisch. Denn Joes Präsenz wurde über Albumlänge ein Stück weit zurückgeschraubt und Sabine Scherer – ehrlich gesagt hätte es mich stark gewundert, wenn man Sabines stimmliches Potential nicht irgendwann noch mehr als zuvor ausgeschöpft hätte – drängt verstärkt in den Vordergrund. Obwohl es natürlich seinen Reiz gehabt hätte muss allerdings niemand befürchten, dass Joe jetzt den Klargesang übernommen hat und Sabine für die Growls zuständig ist. Nein. Soweit sind DEADLOCK noch nicht. Auch nicht im Paralleluniversum. Allerdings kommen diesmal, neben zwei mittlerweile bandtypischen und unheimlich stimmungsvollen Interludien („Alienation“, „Bizarro World“), die den zusätzlichen Soundtrack-Charakter dieses Albums unterstreichen, gleich zwei Songs („State Of Decay“, „Paranoia Extravaganza“) völlig ohne Growls aus.

Hip-Hop-Einlagen oder eklatant aufdringliche Techno-Einschübe gehören der Vergangenheit an. „Bizarro World“ ist trotz eingebauter Finessen und Melodien extrem straight und in sich kompakt, ohne Firlefanz und kleinen Spitzen gegen selbsternannte Szene-Sheriffs. Die wunderbare und weiterhin völlig souverän vollzogene Kollision unterschiedlicher Stilmittel macht Songs wie den hitverdächtigen Opener („Virus Jones“ – Achtung, Suchtgefahr!), das vielschichtige, leicht progressive „Falling Skywards“, das inklusive derben Growls dennoch balladesk angelegte und sehr emotional vorgetragene „You Left Me Dead“ oder „Renegade“, das mit einem melodisch-trancigem Anfang berührt, bevor in der Strophe Growls und Shouts Gift spucken und der Song in einen PENDULUMesken Dubstep hinübergleitet, zu einem wahren Ohrenschmaus, während „Paranoia Extravaganza“ zum Abschluß noch einmal mit dem zuvor erwähnten Noir-Stil des Albums kokettiert: Dieser wunderbare Track – melancholisch, emotional, hoffend – gehört schlichtweg in einen Film wie „Sin City“ oder „Sucker Punch“!

DEADLOCK faszinieren mit ihrem völlig eigenständigen Sound und ihrem scheinbar mühelosen Talent, ihre Alben immer wieder mit leidenschaftlicher Dramaturgie und düsterer Atmosphäre zu versehen, und haben mit ihrem fünften Studioalbum, das von Gitarrist Sebastian Reichl außerordentlich fett produziert wurde, noch einmal einen gewaltigen Schritt vorwärts gemacht und einen eindrucksvollen Beweis erbracht, dass man eine Langrille mit kommerziellem Potential schreiben kann, die sich nicht anbiedert und auch nach weit über fünfzig Durchläufen immer wieder begeistern kann. Spätestens jetzt, unabhängig vom eigenen Geschmack, muss man DEADLOCK zugestehen zu den wertvollsten Metal-Bands des 21. Jahrhunderts zu gehören. „Bizarro World“ steht stellvertretend für eine einzigartige Balance aus einnehmender Atmosphäre, eingängigen Pop-Elementen und aggressiver Brutalität, wie ich sie noch nie zuvor erlebt habe. Atemberaubend!

11.02.2011
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