Epica - Retrospect

Review

Anlässlich ihres zehnjährigen Bestehens spielten die holländischen Symphonic-Metaller EPICA im März eine einzigartige Jubiläumsshow im Einhovener „Klokgebouw“, die neben 4500 Besuchern in der Halle auch rund 2000 Fans von zuhause aus via Live-Stream verfolgten. Da man hierfür ohnehin zahlreiche Kameras vor Ort hatte, dürfte es wohl niemanden überraschen, dass dieses „Retrospect“-Konzert nun auch auf DVD und Blu-Ray veröffentlicht wird und in der Erstauflage jeweils zusätzlich das komplette Konzert auf drei Audio-CDs enthält.

Der Aufwand, den EPICA für die rund dreistündige Show betrieben haben, ist beachtlich. Passend zu ihrer Soundtrack-artigen und Klassik-inspirierten Musik verstärkten sich die sechs Musiker um insgesamt siebzig Orchestermusiker und Chorsänger, was den spiel- und soundtechnisch exzellent umgesetzten Kompositionen noch mehr Tiefe verleiht. Die Setlist umspannt dabei das gesamte Schaffen der Band und beinhaltet neben speziell für die Show komponierten Orchester-Intros und -Outros mit dem titelgebenden „Retrospect“ sogar einen komplett neuen Song.

War man zu Beginn ihrer Karriere noch versucht, EPICA als einen weiteren NIGHTWISH-Klon abzutun, so zeigt dieser Live-Querschnitt durch inzwischen  sechs Studioalben eindrucksvoll, wie falsch dieses Urteil schon immer war. Denn obwohl die Holländer sich zweifellos desselben Genres bedienen, haben sie doch einen eigenständigen musikalischen Ansatz gefunden, der sich in vielen Details von den finnischen Vorreitern unterscheidet. So wird auch das Orchester etwas anders in Szene gesetzt und atmen seltener überbordenden Soundtrack-Bombast als zurückhaltenderes Klassik-Flair.

Das gilt natürlich nicht für den „Star Wars“-Doppelpack „Battle Of The Heroes & Imperial March“ aus der Feder von Hollywood-Liebling John Williams. Darüber hinaus sind mit Antonio Vivaldis „Presto“ und Giovanni Battista Pergolesis „Stabat Mater Dolorosa“ zwei weitere Fremdkompositionen vertreten. Erstere lebt von einem fulminanten Geige-gegen-Gitarre-Duell, letzteres vom Gänsehaut-Duett zwischen Frontfrau Simone Simons und ihrer NIGHTWISH-/Ex-AFTER-FOREVER-Kollegin Floor Jansen. Diese darf später noch einmal für „Terra Sancta“ zurückkehren und dabei eindrucksvoll demonstrieren, dass sie – ebenso wie Simone Simons – nicht nur mit klassischem Operngesang, sondern auch mit einer echten Rockröhre überzeugen kann.

Doch nicht nur die musikalische Seite stimmt, auch visuell macht diese Live-DVD einiges her. Kameraführung und Bühnenshow sind perfekt aufeinander abgestimmt und während die männlichen Bandmitglieder sich im Laufe der Show immerhin dreimal umziehen, stehen für Simone Simons gleich sieben Kostümwechsel auf dem Programm. Natürlich ist die Frontlady mit den beeindruckend langen roten Haaren das optische Aushängeschild der Band und die Tatsache, dass man ihr das frühe Stadium ihrer Schwangerschaft (am 2. Oktober kam ihr gemeinsamer Sohn mit KAMELOT-Keyboarder Oliver Palotai zur Welt) durchaus ansehen kann, lässt sie das in keinester Weise weniger attraktiv erscheinen.

Grandios ist auch der Auftritt zweier Akrobatinnen, die sich zu den verträumten Klängen des brillanten „Chasing The Dragon“ an langen Stoffbahnen von der Hallendecke herabwinden. Dabei lenken all die optischen Schmankerl nie von der Musik ab, sondern unterstreichen diese stets effektvoll. Der Spannungsbogen stimmt und wo man sich bei manch anderen DVDs leicht dabei erwischen mag, die Augen vom Bildschirm abzuwenden, um „nur mal kurz“ ein paar E-Mails oder die eigene Facebook-Seite zu checken, schaffen EPICA das Kunststück, die Aufmerksamkeit des Zuschauers über volle drei Stunden hinweg komplett gefangen zu nehmen.

Bei einem Rückblick auf die eigene Bandgeschichte dürfen die ehemaligen Mitglieder Jeroen Simons (Schlagzeug), Ad Sluijter (Gitarre) und Yves Huts (Bass) natürlich nicht fehlen. Alle drei geben sich bei „Quietus“ die Ehre und kommen im viertelstündigen „Behind The Scenes“-Anhang zu Wort, wo sie in angenehm entspannter Weise über die jeweiligen Gründe ihres Ausstiegs und ihr Leben nach EPICA sprechen. Das Verhältnis zu den ehemaligen Bandkollegen ist offensichtlich ungetrübt und die gemeinsame Performance auf der Bühne macht allen Beteiligten offensichtlich großen Spaß.

Alles in allem ist „Retrospect“ somit eine nahezu perfekte Live-Veröffentlichung zum zehnjährigen Bandjubiläum geworden, die nicht nur für Fans einen absoluten Pflichtkauf darstellt, sondern auch Neueinsteigern einen guten Einblick in das Schaffen er Band bietet und sich dadurch hervorragend als „Einstiegsdroge“ eignen dürfte. Als winziger Makel fällt lediglich die arg abrupte Ausblendung am Ende der ersten Scheibe auf, die den Disc-Wechsel etwas unsanfter gestaltet als nötig. Am positiven Gesamtbild kann diese Kleinigkeit jedoch nicht rütteln.

Bei einem Teil der DVD-Auflage hat sich indes ein kleiner Produktionsfehler eingeschlichen, dem das Ende des Konzerts auf der zweiten DVD und die korrekte Zuordnung der letzten Stücke bei der Songauswahl zum Opfer fielen. Betroffene sollten sich direkt an Nuclear Blast wenden, die für einen raschen und unbürokratischen Austausch der fehlerhaften Scheibe sorgen dürften.

24.11.2013
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