Finsterforst - Zerfall

Review

Was war der Schock groß, als die „#YØLØ„-EP 2016 herauskam, die auch in der Presse nicht selten abgestraft wurde. Ok, die Band stellte in Interviews klar, dass das einfach eine Schnapsidee war, auf die man Bock hatte und es sich um eine einmalige Sache handeln soll. Dennoch waren sicher nicht wenige Fans in Sorge, ob aus FINSTERFORST jetzt nicht doch eine weitere alberne Partykapelle werden würde. Bereits Cover-Artwork und Titel der neuen Scheibe „Zerfall“ dürften hier für deutliche Erleichterung gesorgt haben. Dennoch hat sich natürlich im Sound der Schwarzwälder in den viereinhalb Jahren seit dem letzten regulären Studioalbum „Mach Dich Frei“ so einiges verändert.

FINSTERFORST – Pagan meets Post-Black-Metal

Statt die Hörerschaft erst einmal in Sicherheit zu wiegen und einen Nummer-Sicher-Opener zu wählen, lassen sich die ersten Weiterentwicklungen schon in der ersten Hälfte von „Wut“ ausmachen. Während das eröffnende Riff noch wuchtig ist und ein paar Chöre daran erinnern, welche Band gerade aus den Boxen schallt, mischen sich auch schon diffizilere Klänge in das Gesamtgefüge ein, die an aktuellen Post-Black-Metal erinnern. Trotzdem bleibt natürlich in den gut 13 Minuten noch genug Raum für stampfende Rhythmen und epische Orchester, wie man es von FINSTERFORST gewohnt ist. Die Marschrichtung ist aber klar: Mehr Komplexität im Songwriting war offenbar ein bewusst gestecktes Ziel.

Der Titeltrack hält die vorher geschaffene düstere Atmosphäre aufrecht, wobei „Zerfall“ insgesamt ein wenig typischer für die Band ausfällt. Mit seinem angerauhten Clean-Gesang zum Ende stellt Frontmann Olli Berlin seine Vielseitigkeit unter Beweis. Ähnliches gilt auch für „Fluch Des Seins“ und „Weltenbrand“. In letzterem wird das lyrische Konzept des Albums, das sich im Wesentlichen mit „Mensch gegen Natur“ beschreiben lässt, besonders deutlich. Allerdings sollte man hier keine verschachtelten Texte erwarten, die sich erst nach und nach erschließen, deren Geheimnisse zunächst entschlüsselt werden müssen. Nein, Olli Berlin fällt mit der Tür ins Haus. Wenn er von Umweltzerstörung singt, dann merkt man das sofort. Hier scheiden sich wohl die Geister – der eine mag das platt finden, der andere einfach konsequent.

„Ecce Homo“ – Gelungenes Epos oder einfach überambitioniert?

Lediglich „Ecce Homo“, dieses 36-minütige Monstrum als Finale des Albums, bildet hier in Teilen eine Ausnahme. Der im Vergleich fast schon philosophische Text im Intro spricht ein weiteres, durchaus in den Kontext passendes Thema an: Das Auseinanderbrechen unserer Zivilgesellschaft. Spätestens hier wird dann auch überhaupt kein Hehl mehr daraus gemacht, dass offenbar einige Bandmitglieder in letzter Zeit viel Post-(Black-)Metal gehört haben. Sphärische Klänge, gezupfte Gitarren, viel Hall auf der Stimme – alles vorhanden. Natürlich wird aber im Verlauf des Songs komplett aus dem Vollen geschöpft, um die ausschweifende Spielzeit zu füllen. Black Metal, Orchester, Melodic Death Riffs, Klargesang mit leichter Gothic-Schlagseite, ein fast schon fernöstlich klingender Akustik-Einschub, doomige Passagen – und die Liste könnte noch lange fortgesetzt werden.

Ein wichtiges Element fehlt allerdings noch in dieser Aufzählung: Folk-Instrumente. Immerhin werden FINSTERFORST gemeinhin als Folk- bzw. Pagan-Metal-Band eingeordnet. Ja, sie sind noch vorhanden, allen voran das Schifferklavier. Nicht nur in „Ecce Homo“ zeigt sich aber, dass das Akkordeon vielmehr auf der übrigen Instrumentierung aufliegt, statt sich in diese zu integrieren, und dadurch irgendwie wie ein Fremdkörper wirkt. Hier wäre es vermutlich konsequenter gewesen, wenn man sich damit begnügt hätte, die Chöre und auch immer noch vorhandenen leicht folkig angehauchten Gitarrenmelodien als Verbindung zum eigenen Back-Catalogue zu nutzen.

Nach 32 Minuten könnte „Ecce Homo“ dann, nach einem recht eindrucksvollen Finale, eigentlich zu Ende sein. Aber halt, wir erinnern uns. Der Song begann ja mit lupenreinem Post-Metal, dann muss er natürlich auch so enden. Daher gibt es noch einmal ein entsprechendes Instrumental obendrauf, das sehr gut das Dilemma der Nummer aufzeigt. Es wird eine Geschichte erzählt, sehr viele werden Einflüsse verarbeitet – aber am Ende gelingt es eben nicht, über eine so lange Zeit Spannung aufzubauen und zu halten. Es fehlt dazu an kompositorischer Rafinesse, an kleinen Themen, die ständig wiederkehren, die den Song zusammen halten und wie aus einem Guss wirken lassen, statt einer bloßen Aneinanderreihung unterschiedlicher Ideen. Der Versuch, mit der Rückkehr zum Post-Metal als Outro wenigstens ganz am Ende noch einmal einen Bogen zu spannen, der zumindest annähernd etwas wie ein festes Gerüst um den Song bauen kann, ist leider nicht von Erfolg gekrönt.

Fesselndes, atmosphärisches Album mit wenig Fingerspitzengefühl

Gar nicht so leicht, nach knapp 80 (!!!) Minuten ein Fazit zu ziehen. Ja, „Zerfall“ ist lang. Sehr lang. Allerdings weniger sperrig als vermutet. Gerade den ersten vier Songs merkt man ihre auch schon beachtliche Länge kaum an. Das Konzept, sehr stark auf Atmosphäre zu setzen, den eigenen Sound ein wenig zu modernisieren und mit neuen Einflüssen, die man seit dem Vorgänger gewonnen hat, zu unterfüttern, geht an vielen Stellen auf. Die wieder einmal epischen Melodien und die bislang mit Abstand stärkste sängerische Leistung von Olli Berlin tragen ihr übriges zum positiven Gesamteindruck des Albums bei.

Stilistisch bewegen sich FINSTERFORST hier deutlich in Richtung MOONSORROW, allerdings muss man ehrlich zugeben, dass sie deren Klasse nur selten erreichen. Vielleicht hätte man noch mutiger sein sollen und weitestgehend auf Folk-Instrumente verzichten sollen, die sich einfach nicht mehr so richtig in die Kompositionen einfügen wollen. So hat man wohl versucht es allen Recht zu machen und dabei ein wenig das nötige Fingerspitzengefühl vermissen lassen.

„Zerfall“ bleibt ein tolles Album, das in vielen Momenten zu fesseln weiß und auch einfach gut klingt. Es könnte allerdings auch noch viel besser sein, wenn man nicht ganz so viel gewollt hätte und auch ein wenig maßvoller mit der Spielzeit umgegangen wäre die, man muss es einfach so sagen, einfach jenseits von Gut und Böse ist, vor allem aufgrund des überambitionierten „Ecce Homo“.

26.07.2019

"Time doesn't heal - it only makes you forget." (Ghost Brigade)

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