Ghost - Prequelle

Review

Als GHOST 2010 ihr Debüt „Opus Eponymous“ vorlegten, schieden sich an den schwedischen Okkult-Rockern die Geister. Während die einen in Frontman Papa Emeritus I. bereits den nächsten Heavy-Metal-Messias ausgemacht hatten, standen viele dem bis ins kleinste Detail inszenierten Musikprojekt skeptisch gegenüber. GHOST selber bauten ihre Diskografie unbeirrt mit den Nachfolgern „Infestissumam“ (2013) und „Meliora“ (2015) zu einer unheiligen Dreifaltigkeit aus eingängigen Melodien, diabolischen Riffs und blasphemischen Texten aus. Mit „Prequelle“ läuten GHOST ein neues Kapitel in ihrer Bandgeschichte ein, immerhin haben sich die Schweden inzwischen zu einem weltweiten Phänomen entwickelt. Ob wir „Prequelle“ heilig sprechen müssen oder ihr das Album aus eurer Plattensammlung exkommunizieren solltet, erfahrt ihr hier!

GHOST – Das eigene Erbe ist das schwerste

Während die bereits dritte Neubesetzung des Sängerpostens bei GHOST lediglich ritueller Bestandteil der bandeigenen Theatralik ist, stehen Cardinal Copia aka Tobias Forge und seine Nameless Ghouls vor einer weitaus größeren Hürde: Wie übertrifft man den rundum gelungenen Vorgänger „Meliora“? Die Schweden setzen im Opener „Ashes“ zunächst alles darauf, eine unheilvolle Atmosphäre zu erzeugen. Kinderstimmen rezitieren – begleitet von einer bedrohlichen Klangkulisse – den bekannten Kinderreim „Ring Around the Rosie“, welcher sich dem Volksglauben nach auf die Große Pest von London gegen Mitte des 17. Jahrhunderts bezieht. Dass „Prequelle“ die Themen Tod, Endlichkeit und Vergänglichkeit verarbeitet, zeigt sich auch an der ersten Singleauskopplung „Rats“. GHOST bescheren der Pest ein melodisches Comeback: Das energiegeladene Riff-Gewitter ist ansteckend wie der Schwarze Tod selbst.

Auf „Faith“ kehren GHOST ganz klar zu ihren Anfängen zurück, denn gerade der boshaft-stampfende Rhythmus im Verse erinnert unweigerlich an die „Opus Eponymous“-Ära. Damit ist der Song zwar die mit Abstand härteste Nummer der Platte, punktet jedoch gleichzeitig in Sachen Abwechslungsreichtum mit seinem eingängigen Chorus und dem charakteristischen Gitarrensolo. „See the Light“ beginnt als gefühlvoll-ruhige Klavierballade, mündet in einen authentisch-packenden Chorus und wird von einem harmonischen 80ies-Synth-Solo komplettiert. Insgesamt wirkt der Song überraschend tiefgründig, in Teilen sogar ungewohnt nachdenklich. Textzeilen wie „every day that you feed me with hate I grow stronger“ lassen erahnen, dass Tobias Forge hier den Rechtsstreit mit seinen ehemaligen Bandkollegen, sowie die ablehnende Haltung vieler Metal-Fans gegenüber GHOST aufarbeitet. Das schmissige Instrumental „Miasma“ könnte ohne Weiteres der Soundtrack eines kultigen B-Movies sein – im positivsten Sinne: Als wäre der dynamische Synthesizer-Sound nicht schon genug, setzen Cardinal Copia & Co. noch eine Schippe drauf und präsentieren uns das laszivste Saxophon-Solo der jüngeren Rock-Geschichte.

Holen ihre Sonntagsanzüge schon samstags aus dem Schrank: GHOST

„Prequelle“ – Selten klang Sterben so schön

Auf der zweiten Singleauskopplung „Dance Macabre“ kombinieren Tobias Forge und seine Kollegen muntere Disco-Grooves mit erstklassigem Hard-Rock-Sound. Das Ergebnis ist eine lebhafte Nummer, die zügellose Tanzwut aufkommen lässt. Dem gegenüber steht mit der ergreifende Powerballade „Pro Memoria“ der womöglich bisher emotionalste Song der Band. Der schwermütige Unterton des Liedes, das malerische Zusammenspiel von Streichern, Klavier und Gitarre, sowie Tobias Forges engelsgleicher Gesang – alles wirkt präzise aufeinander abgestimmt, um die größtmögliche Wirkung zu erzielen: ein überwältigender Track, der uns auf bittersüße Weise daran erinnert, dass alles einmal enden muss. „Witch Image“ erweist sich nicht nur als echter Ohrwurm-Garant, sondern präsentiert rockig-markanten GHOST-Sound am Puls der Zeit.

„Helvetesfönster“, das zweite Instrumental auf „Prequelle“, setzt auf gespenstische Synthie-Klänge, eine Handvoll Heavyness und einen finster-mittelalterlich klingenden Endteil. Mit „Life Eternal“ verpassen GHOST Album Nummer vier die letzte Salbung und sorgen für absolute Gänsehaut: Von Beginn an strahlt die in sich gekehrte Ballade eine tieftraurige, aber gleichzeitig erlösende Atmosphäre aus und gipfelt schließlich in einem mehrstimmigen, hymnenhaften Finale. Tobias Forge ist nicht nur ein brillanter Songwriter und unterhaltsamer Entertainer, sondern in erster Linie eben auch ein begnadeter Sänger. Dass sich GHOST mit einem Lied, welches vom ewigen Leben handelt, tatsächlich unsterblich machen, dürfte dem Humor der Band entsprechen.

Mit „Prequelle“ beginnt eine neue Ära

Tobias Forge kreiert mit „Prequelle“ eine melancholisch-düstere Rockoper, welche von Anfang bis Ende nahezu perfekt durchinszeniert ist. Das Ergebnis ist das bis jetzt reifste und wohl auch ehrlichste Album der Schweden. GHOST gehören inzwischen fraglos zu den wichtigsten Rockbands unserer Zeit. Allerdings haben sie sich dafür von ihren Heavy-Metal-Wurzeln abgewandt und ganz klar in eine geradlinigere, melodischere und vor allem poppigere Richtung weiterentwickelt. Wer markige Ohrwürmer und gefühlsbetonte Balladen liebt, wird in „Prequelle“ einen frühen Anwärter auf das Album des Jahres sehen. Diejenigen, welche sich bisher nur aufgrund der härteren Songs mit den Okkult-Rockern arrangieren konnten, werden auf Album Nummer vier wenig Anknüpfungspunkte finden. Dass GHOST mit „Prequelle“ auf jeden Fall neue Jünger für sich gewinnen werden, ist jedoch so sicher wie das Amen in der Kirche.

29.05.2018
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