Gorefest - False

Review

Knapp ein Jahr nach den Aufnahmen zu ihrem Debüt „Mindloss“ stehen GOREFEST bereits wieder im Studio, um das Nachfolgealbum „False“ einzutüten. In der Zwischenzeit hat sich einiges getan: Zwei Bandmitglieder mussten gehen, und so holten Frontmann Jan-Chris de Koeijer (Bass & Gesang) und Rhythmusgitarrist Frank Haarthorn Ersatz an Bord: Boudewijn Bonebakker ist fortan für die Lead-Gitarre zuständig und Ed Warby für den Takt – eine Kombination, die GOREFEST auf ein neues Level hebt.

Die Zeichen stehen auf Sturm

Darüber hinaus stehen die Zeichen auf Sturm: Die Band kann einen Vertrag beim aufstrebenden Label Nuclear Blast ergattern, bei denen Death-Metal-Bands wie BENEDICTION, DISMEMBER oder ihre Landsleute SINISTER bereits Alben veröffentlicht haben. Außerdem haben die vier Musiker in der Zwischenzeit neun neue Songs geschrieben, die das Ungestüme der beiden Demos und des Debüts aufgreifen, daneben aber einfach mehr als nur jugendlich unbekümmerter Death Metal sein möchten: Besser strukturiert, prägnanter, majestätischer. Und so finden sich die Vier Ende Juni 1992 in Ron Konings‘ Studio im niederländischen Vrouwenpolder ein, um „False“ zusammen mit dem britischen Produzenten Colin Richardson einzuspielen.

Und das Ergebnis kann sich hören lassen: Der Sound ist einfach fett, das Schlagzeug dabei aber transparent abgemischt, sodass jede Nuance des technisch brillanten Spiels von Ed Warby hörbar bleibt. Die Gitarren bilden eine alles niedermalmende Walze, ganz ähnlich wie bei BOLT THROWER (die Richardson ebenfalls produziert hat), denen der kernige Rickenbacker-Bass-Sound zur Seite steht. Und last but not least klingt der tiefe Grunzgesang von Jan-Chris de Koeijer sehr direkt und kraftvoll.

„False“ kann sich hören lassen

Eingeleitet wird das Album mit einem von dräuenden Geräuschen unterlegten Originalzitat des amerikanischen Serienmörders Edmund Kemper, das von GOREFEST in einen anderen Zusammenhang gerückt wird: „I am an human being and I kill human beings, and I did it in my society“. – Ja, das trifft auch auf Soldaten zu, die im Opener „The Glorious Dead“ dann allerdings ungeschönt und plastisch beschrieben den Heldentod sterben. Musikalisch ist der Track ein Uptempo-Gewitter mit eingängigem Refrain und diesem unwiderstehlichen Blasts-Stop-Wechselspiel. Das Gitarrensolo von Boudewijn Bonebakker zeigt wiederum die Zukunft von GOREFEST, denn das Ganze ist sehr nachvollziehbar gehalten, bisweilen wirken einige Teile schon bluesig improvisiert (und nicht jeder Ton sitzt (gewollt) zu einhundert Prozent). Dennoch ein frühes Highlight.

„State Of Mind“ beginnt mit einem langsamen, machtvollen Eingangsriff, bevor Ed Warby des Double-Bass-Express in Bewegung setzt und die Gitarristen einzelne Töne in Squeals auslaufen lassen. Ein Song, bei dem sehr schön Death-Metal-Gewitter mit doomigen Passagen abwechseln. Nach dem gleichen Rezept funktioniert „Reality – When You Die“, bevor GOREFEST zu einer doppelten Machtdemonstration ansetzen: Zunächst mit „Get-A-Life“, das in einen mitreißenden Strom mündet, dann mit dem zunächst verhalten beginnenden Titeltrack, das mit tollen Riffharmonien und dem vertrackten Rhythmus punktet.

Doppelte Machtdemonstration

An dieser Stelle müssen wir über die Texte sprechen: Anders als noch auf den Demos und „Mindloss“ verarbeitet Sänger Jan-Chris de Koeijer jede Menge Sozialkritik – vom (letztlich sinnlosen) Heldentod über Machtverhalten von Nazis bis hin zu einer fundamentalen Kritik des damaligen bürgerlichen Lebens mit dem kritiklosen Konsum von Fernsehprogrammen (mittlerweile hat das Internet dem Fernsehen den Rang abgelaufen) und der gelebten Doppelmoral, ein tugendhaftes (christliches) Leben zu führen, gleichzeitig aber das Elend in der Welt hinzunehmen, ja, durch das eigene Verhalten und die eigene Politik sogar noch zu befeuern.

Egal ob in „Get-A-Life” (mit seinem schönen Wortspiel im Titel), „Reality – When You Die“ oder „The Glorious Dead“ – die Musik folgt mehr als zuvor den textlichen Erfordernissen und untermalt die erbarmungslos gegrunzten Zeilen. Das gilt auch für „From Ignorance To Oblivion“, dessen Riffs sich dreieinhalb Minuten wie unter Schmerzen winden, bis die angeschlagenen Akkorde doch noch so etwas wie Hoffnung aufkeimen lassen – die mit dem finalen Grunzen wieder einkassiert wird.

„False“ war somit der nächste Schritt einer Band, die musikalisch mit keinem Release stehen geblieben ist, sondern immer neue Wege gegangen ist und neue Herausforderungen gesucht hat – ob man das als Hörer jetzt gut fand oder nicht. Manche ziehen eben „Mindloss“ vor, für andere sind nach wie vor die ungebügelten Demos das Maß aller Dinge. Fakt ist aber, dass „False“ den Willen, etwas Besonderes zu machen, mit den prägnantesten Songs vereint – ohne die Grenzen des Death Metals signifikant zu überschreiten. Für den Verfasser dieser Zeilen ist das Album somit das Magnum Opus der Band. Mit einer Einschränkung allerdings: Aus den neun Songs lassen sich ohne Probleme drei bis vier Highlights extrahieren, was gleichzeitig bedeutet, dass es beim durchaus hohen Niveau dennoch leichte Schwankungen gibt. Deshalb erreicht „False“ hier auch keine Höchstwertung.

GOREFEST machen sich Gedanken

Weiter ging es für GOREFEST zunächst mit dem Livealbum „The Eindhoven Insanity“, das den umjubelten Auftritt auf dem Dynamo Open Air 1993 enthält, bevor es im Jahr darauf wieder ins Studio ging und die vier Musiker mit „Erase“ den Nachfolger einspielten – und sich die Gedanken über die musikalische Ausrichtung erstmals als Hemmschuh erwiesen.

19.10.2022

- Dreaming in Red -

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