Imperium Dekadenz - Dämmerung Der Szenarien

Review

Verdammte Axt, offenbar hat meine penetrante Meckerei (siehe Review zu IMPERIUM DEKADENZ‘ erstem Album „… und die Welt ward kalt und leer“ aus dem April 2006) doch gefruchtet. Horaz und Vespasian hinken in ihren prätentiösen Künstlernamen mit dem zweiten Album nicht mehr hinterher und schwingen sich zu ernstzunehmendem Dichter und umsichtigem Kaiser auf. Zum einen sind die Texte frei von pompösem Melancholiekitsch und erzwungenen Reimen und bestechen stattdessen mit lateinischen Passagen, nachdenklicher Stimmung und literarischen Anklängen. Zum anderen sind die Kompositionen tatsächlich kaiserlich bombastisch und machen IMPERIUM DEKADENZ zu den Überraschungsherrschern in der deutschen Black-Metal-Szene des Jahres 2007.

Sicherlich ist das nicht zu glauben, und selbstverständlich werden in fünf Minuten Gerüchte über Bestechungsgelder an metal.de grassieren. Ich muss Euch aber enttäuschen, das Album ist verdammt gut, auch ohne dass ich Gefälligkeit annehmen muss, und das habe ich schon alleine wegen meiner natürlichen Skepsis deutschen Bands gegenüber mehr als ein Dutzend Mal überprüft. Nicht nur die unglaublich charmante, transparente und drückende Produktion macht das Hören von der erste Minute an zum Genuss, auch die Tatsache, dass jedes Stück für sich eine eigenständige Identität entwickelt hat, ist ein außergewöhnliches Attribut, das man nicht genug hervorheben kann – und das ich im einzelnen beschreiben muss.
„Der Dolch im Gewande“ ist natürlich keine Vertonung der „Bürgschaft“, handelt aber trotzdem von Kaisermord, den man durchaus symbolisch sehen kann. Musikalisch haben wir es mit einem Midtemposong zu tun, der ein wenig an Alt-WINDIRs windige Leadgitarren erinnert und sich auch ansonsten vorwiegend nordisch gibt. „Staub und Erinnerungen“ dagegen ist achtminütige Slow-Motion-Dunkelheit mit wunderbaren Gitarrenharmonien und einem saugeilen Arrangement, das das Licht Lux für Lux abgräbt, durch einen hoffnungsvollen Akustikgitarrenmittelteil, erneut in wuchtige Riffs und geradewegs hinaus in Richtung Titelsong führt. Der überrascht erneut mit glasklaren Akustikgitarren, die renaissancehaft klingen und gleichzeitig an die erste CARPATHIAN-FOREST-Mini („The Eclipse/The Raven“) erinnern. Wer danach nach Black Metal lechzt, bekommt „Hordes From The Dark Star“ vor den Latz, ein in Reverb getränktes Stück, in dem einerseits die kauzigen Doublebassparts von „Dark Medieval Times“ wieder aufleben, andererseits eine wunderbare seichte Sologitarre elegisch ausleitet. Eine Kombination, die ich selten so gehört habe.
„Nebelbrandung“ leitet sakral den zweiten Teil des Albums ein und ist mit einem einfach nur genialen Synthesizereinsatz zu einem monotonen Mainriff und Schreien aus der Tiefe der Boxen das wahrscheinlich beste Stück des Albums (und erinnert mich, wenn ich das dreisterweise anmerken darf, an zwei Songs einer anderen Band, deren Titel „Winters Schwingenschlag“ und „Patina“ lauten). Die Melodien sind niegehört und doch seltsam bekannt, der Aufbau des Lied natürlich emotional und schlüssig, was das Mitschwingen in der weltfremden Stimmung ganz einfach macht. Die Gitarren röhren ideal, das Schlagzeug ist kreativ gespielt und auf das Notwendige reduziert, die Riffs vielschichtig und mäandernd. Wahrscheinlich einer der besten Black-Metal-Songs dieses Jahres. „Harmatia“ ähnelt auffallend dem Titelstück, auch in Schönheit und positiver Anmut. Das gilt kein bisschen für „Reich der fahlen Seelen“, das kürzeste und vielleicht gewöhnlichste Stück des Albums, zu dem IMPERIUM DEKADENZ auch gleich ein Video auf die Beine gestellt haben (nett anzuschauen, allerdings keine Offenbarung). „The Night Whispers To The Wise“ ist der letzte Höhepunkt einer grandiosen Platte: die Stimmung kippt von BORKNAGAR-Epik um in einen stampfenden, folkhaften Part, wie ihn KAMPFAR vor zehn Jahren nicht besser gemacht haben und verliert sich dann in einem schwelgenden Sologitarrenpart, der auch neueren KATATONIA gut zu Gesicht stünde. „Waiting“, ein Pianostück, drückt aus, was ich mir fünfzig Minuten lang denke: wenn das Album vorbei ist, muss ich eineinhalb Jahre auf ein neues warten.

Dass ein so intensives Album, dazu noch von einer deutschen Band produziert, vollkommen unerwartet im Black Metal einschlägt, ist etwas, das ich erstmal verdauen muss. „Dämmerung der Szenarien“ ist ein erwachsenes, reifes und vielseitig-homogenes Beispiel dafür, in welche Regionen man Black Metal tragen kann, und dass es nicht immer beschissene Proberaumaufnahmen und vorgegebene Klischees sein müssen, damit Stimmung aufkommt. Im Gegenteil. Ganz bezeichnend ist, dass dieses Album ohne einen einzigen Blastbeat (!), ohne schlechte Produktion, Gastmusiker, Schminke, Koks, Selbstverstümmelung und dicke Fresse auskommt. Manchmal reicht es eben doch, einfach nur gute Musik zu machen und hart an sich zu arbeiten. Wenn so ein Quantensprung noch einmal möglich ist (der letzte fehlende Punkt zur Höchstwertung soll Ansporn sein), können sich einige selbsternannte Könige des deutschen Black Metals warm anziehen.

08.09.2007
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