Karg - Dornenvögel

Review

„Dornenvögel“ sind Wesen aus alten Legenden. Vögel, die zwar über einen besonders schönen Gesang verfügen, diesen aber nur ein einziges Mal erklingen lassen. Sobald sie ihr Nest verlassen haben, beginnt ihre Suche nach einem Dornenstrauch. Haben sie einen gefunden, lassen sie sich dort nieder und singen ein unvergleichliches Lied, durch die langen Dornen, die sich dabei in ihren Leib bohren, jedoch dem Tod geweiht.

Auf dem neuen Album von KARG finden sich acht solcher „Dornenvögel“. Acht Lieder, geboren aus Leid und bittersüß klingend. Black Metal ist die klar erkennbare Grundlage für den Sound, ganz vereinzelt aufgelockert durch Post-Rock- und Shoegaze-Elemente. J.J., das einzige Mitglied der Band, hat acht Songs komponiert, die musikalisch ausgereift sind und eine melancholische Stimmung erzeugen, das „Drangsal“ des Musikers spürbar und auf die eigene Person übertragbar werden lassen.

Acht „Dornenvögel“ ziehen durch das Land

Größtenteils in Mundart vorgetragen, widmen sich die meisten Songs, schlicht gesagt, dem älter werden, dem Erwachsen aus dem Zustand der Jugend, wenn man so will. Die Brüche im Leben, der Verlust von Unschuld und Heimat werden betrachtet. Dies spiegelt sich auch im Cover-Artwork wieder, das freilich verschiedene Interpretationsansätze bietet.

Ein Kind streckt die Hand nach einem im Schnee liegenden Reif aus Rosen aus und wird dabei betrachtet von einem Skelett, das im Rosenbaum hockt. Den Blick nach unten gerichtet, erkennt das Kind nicht, dass die schönen Blumen vom Tod drapiert wurden, der Urheber dieser Kunst und letztlich auch die Zukunft eines jeden jungen Menschen. Schließlich sind Häuser im Hintergrund zu erkennen, die in der winterlichen Landschaft Geborgenheit versprechen, neben den roten Rosen aber aus dem Fokus rücken, schließlich kalt und trist daliegen.

KARG lassen den Zuhörer in zerbrechliche Klangwelten eintauchen

Das Vanitas-Motiv, hinter allem Schönen auch den sicheren Tod zu wissen, wird auf „Dornenvögel“ auf ein individuelles Erleben dieser Erkenntnis heruntergebrochen. Thema ist nicht die allgemeine Gegenwart des Todes, sondern die persönliche Auseinandersetzung des Einzelnen mit diesem Schicksal, dass durch den Verlust von Jugend und Heimat zu erahnen ist.

So weit, so kitschig. Aber gut, die schmale Gratwanderung zwischen Kitsch und Kunst muss wahrscheinlich beinahe jedes gefühlvolle Black-Metal-Album deutscher Sprache wagen. Ähnliche Probleme kennen stilistisch ähnliche Bands wie HARAKIRI FOR THE SKY, bei der J.J. ebenfalls am Mikro steht, und HERETOIR. Gefühle, die stecken ohne Zweifel in „Dornenvogel“. Durchgehend werden sie auch ansprechend vertont und ziehen den Zuhörer in ihren Bann. Letztlich ist es aber die Masse, die einen erschlägt und das Album leicht unverdaulich werden lässt.

Zwar finden sich in jedem Song einzelne Momente, die Eigenständigkeit ausstrahlen, doch in ihrer Gesamtheit betrachtet verschwimmen die 76 Minuten des Albums zu einem ganzheitlichen Stück. Die Texte wiederholen sich thematisch, beklagen den endgültigen Verlust von Jugend und Heimat. Lediglich der letzte Song „Advent“ – also passenderweise die Zeit der Ankunft – schließt das Album vergleichsweise hoffnungsvoll, auch wenn er ebenfalls in Erinnerungen an die entfernte Kindheit schwelgt.

Ein Glanzstück im scheidenden Jahr

Dass auch die Musik repetitiv ist, ohne sich freilich exakt zu wiederholen, muss nichts Schlimmes sein, hilft dies doch beim Eintauchen in die zerbrechlichen Klangwelten von KARG. Als Ganzes betrachtet wirkt „Dornenvögel“ mit seinen acht langen Songs und seiner insgesamt langen Spielzeit dadurch jedoch etwas zu ausladend. Dass es aber niemals farblos wirkt, ist der dicht gewobenen Produktion zu verdanken, welche den Songs trotz aller Leichtigkeit eine gewisse Tiefe verleiht.

„Dornenvögel“ ist ein sehr gutes Album geworden, mit dem KARG nach dem ebenfalls empfehlenswerten „Weltenasche“ den nächsten Schritt in ihrer Entwicklung machen. Ein Glanzstück im scheidenden Jahr 2018, das sich nicht nur für jene eignet, die dieses Mal keine positive Bilanz ziehen können. Nein, jeder mit einem Hang zur Melancholie, wird ein Stück von sich auf diesem Album wiederentdecken.

16.11.2018
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