Mayhem - De Mysteriis Dom Sathanas

Review

Wohl niemand, der sich halbwegs in der Metalszene auskennt, hat noch nie von den Vorgängen in der norwegischen Black-Metal-Szene gehört, die Anfang der Neunziger rund um Bands wie BURZUM, EMPEROR und MAYHEM für Schlagzeilen sorgten. Das liegt in erster Linie daran, dass nahezu jeder Beteiligte der Geschehnisse eine andere Version davon erzählt und dass die norwegische Regenbogenpresse nicht unbedingt sorgfältig recherchierte Gerüchte verbreitete. Fakt ist aber: Was auch immer genau in den Jahren 1991 bis 1993 in – hauptsächlich – Oslo und Bergen vorgefallen ist, es kulminierte in einer ganzen Reihe hervorragender und inzwischen legendärer Black-Metal-Alben zwischen „A Blaze In The Northern Sky“ und „Hvis Lyset Tar Oss“.

Als Magnum Opus der frühen norwegischen Black-Metal-Szene hingegen darf ein Album gelten, in dem sich die ganze wilde, teils morbide, teils einfach nur provokative Verrücktheit der damaligen Szene, die man wohl nur in Gänze nachvollziehen kann, wenn man dabei gewesen ist, nicht nur musikalisch, sondern auch in der Entstehungsgeschichte widerspiegelt: „De Mysteriis Dom Sathanas“ von MAYHEM. Dieses Album feiert 2019 seinen 25. Geburtstag. Grund genug für metal.de, noch einmal einen Blick zurück in eine Zeit zu werfen, als Kirchenbrandstiftungen zu den normaleren Umtrieben einer noch jungen Szene gehörten.

Euronymous von MAYHEM als Dreh- und Angelpunkt einer Szene

Dabei drehte sich alles irgendwie um Øystein „Euronymous“ Aarseth, Kopf und Gitarrist von MAYHEM. Dieser betrieb in den frühen Neunzigern nicht nur den Metalshop Helvete in Oslo, nein, er darf auch dafür verantwortlich gemacht werden, dass so manche spätere Szene-Ikone zum ersten Mal den Begriff „Black Metal“ hörte. So machte Euronymous unter anderem Abbath von IMMORTAL mit Black Metal bekannt, der wiederum Euronymous‘ späteren Mörder Varg Vikernes (BURZUM) zu dieser Musik brachte.

Zunächst aber sind Euronymous und Vikernes eng befreundet, über sein Label Deathlike Silence Productions veröffentlicht Euronymous die EP „Aske“ und das selbstbetitelte Debütalbum von Vikernes‘ Band BURZUM, und beide hängen oft zusammen im Keller des Helvete herum – zusammen mit anderen Musikern, deren Namen mal bestätigt, mal bestritten werden. Relativ fest scheint es zumindest, dass die Herren DARKTHRONE, ein oder mehrere damalige(r) Musiker von ENSLAVED sowie Snorre „Blackthorn“ Ruch (THORNS) regelmäßig dabeigewesen sind. Aber wie oben schon erwähnt: Nahezu jeder Protagonist der damaligen Szene erzählt andere Versionen diverser Geschichten. Auf jeden Fall sind es diese Treffen, die später die Gerüchte eines „Inner Circle“ innerhalb der norwegischen Black-Metal-Szene hochkochen lassen, mittlerweile aber von den meisten, die es wissen müssten, bestritten werden.

Wichtiger für die musikalische Entwicklung der Black-Metal-Szene ist jedoch, dass sich im Dunstkreis dieser Treffen auch jene Leute zusammenfinden, die zusammen an einem Album arbeiten, das später als „De Mysteriis Dom Sathanas“ den Black Metal umkrempeln würde. (Ausnahme: der spätere Sänger Attila Csihar.) Wie viele Anläufe es genau brauchte, um das Album aufzunehmen und schließlich herauszubringen, ist nicht bekannt, aber mindestens zwei sind es, bevor es dann schließlich klappt. (Die unterschiedlichen Re-Releases einzelner Songs der Platte, entstanden in unterschiedlichen Sessions mit unterschiedlichen Line-ups, deutet darauf hin.)

So beging der legendäre Sänger Per Yngve „Dead“ Ohlin bekanntermaßen Selbstmord mit einer Schrotflinte, was wiederum zu allerlei Gerüchten führte. Unter anderem hieß es, Euronymous – und je nach Version der Geschichte auch Hellhammer – hätten Teile von Deads Hirn gekocht und gegessen. Das wird mit allergrößter Wahrscheinlichkeit Nonsens sein, aber Tatsache scheint zu sein, dass Euronymous als allererstes Fotos vom Tatort machte, als er seinen Bandkollegen tot auffand. Außerdem sammelte er wohl einige Schädelsplitter auf, aus denen später angeblich Kettenanhänger wurden.

Im Laufe dieser Geschichte und des aufkeimenden Interesses von sowohl Klatschmedien als auch Polizei für die Black-Metal-Szene verließ schließlich Bandgründer Necrobutcher MAYHEM und stieg auch erst nach Euronymous‘ Tod wieder in die Band ein. Für die finalen „De Mysteriis Dom Sathanas“-Sessions stand er schließlich nicht mehr zur Verfügung – und das ist ein weiterer Auftritt von Varg Vikernes in der Geschichte dieses Meilensteins der Black-Metal-Szene.

Zerwürfnis und Mord: Varg Vikernes und Euronymous anno 1993

„De Mysteriis Dom Sathanas“ entstand schließlich im Line-up Euronymous (Gitarre), Hellhammer (Schlagzeug) und Varg Vikernes (Bass), während MAYHEM für den Gesang den ungarischen TORMENTOR-Sänger Attila Csihar gewinnen konnten, auf den – wahrscheinlich – die Wahl fiel, weil TORMENTOR eine der wenigen Bands gewesen sein sollen, die Attilas Vorgänger Dead wirklich geschätzt habe.

Noch bevor „De Mysteriis Dom Sathanas“ erscheint, kommt es jedoch zum Eklat. In der Nacht vom 9. auf den 10. August 1993 fahren Varg Vikernes und Snorre „Blackthorns“ Ruch von Bergen nach Oslo, Vikernes ermordet am frühen Morgen des 10. August 1993 Euronymous mit einem Messer. Über die Hintergründe dieses Mordes wurde viel spekuliert: Es sei um Geld gegangen, um eine Frau, um Streit, weil Euronymous die Veröffentlichung von Vikernes‘ BURZUM-Alben auf Deathlike Silence Productions herausgezögert habe, seltener wird auch Euronymous‘ Bewunderung für Stalin und Vikernes‘ bekannte Rechtsaußen-Position zitiert. Erklärungs- und Deutungsversuche des Mordes gibt es letztlich so viele, wie es Bekannte von Euronymous und Vikernes gibt, die sich dazu geäußert haben. Was Vikernes wirklich angetrieben hat – wer weiß es schon?

Auf seiner Website sowie im Dokumentarfilm „Until The Light Takes Us“ stellt Varg Vikernes die Geschehnisse so da: Euronymous, so Vikernes, habe ihn umbringen wollen, nicht andersrum. Als Vikernes zusammen mit Ruch zu ihm gefahren sein, um ihn zur Rede zu stellen, habe Euronymous ihn angegriffen, eines habe schließlich zum anderen geführt. Aufgrund der hohen Anzahl an Stichwunden, mit denen Euronymous‘ Leiche gefunden worden war, diversen Zeugenaussagen sowie schlicht der Tatsache, dass Varg Vikernes nicht die glaubwürdigste Persönlichkeit des Planeten ist, gilt diese Version der Geschichte als umstritten und höchst unwahrscheinlich.

Was man allerdings aus dieser Version herausziehen kann, weil sich Vikernes‘ Version in diesem Punkt mit diversen anderen Aussagen von damaligen Szenegängern überschneidet, ist, dass es innerhalb des Helvete-Clans, Inner Circles, oder wie auch immer man ihn nennen möchte, schon seit längerem gekracht hatte und vor allem Vikernes und Euronymous schon länger keine allzu freundschaftlichen Gefühle mehr füreinander hegten.

Ein Meilenstein erscheint posthum: „De Mysteriis Dom Sathanas“ wird veröffentlicht

Am 24. Mai 1994 erscheint schließlich – quasi posthum – das legendäre Debütalbum von MAYHEM: „De Mysteriis Dom Sathanas“. Die Version, die es nun zu hören gibt, ist die, an der Euronymous noch mitgearbeitet hatte. Zwar hatten dessen Eltern Hellhammer gebeten, die Bassspuren des Mörders ihres Sohnes nicht zu benutzen, und angeblich hat Hellhammer zugesagt, den Bass selber neu einzuspielen – aber er tat wohl nichts dergleichen und regelte lediglich den Bass herunter, sein Schlagzeug etwas höher und veröffentlichte das Album mit den originalen Bassspuren von Varg Vikernes. Allein diese Tatsache fügt eine weitere Ebene zur Morbidität dieses Albums hinzu: Darauf zu hören ist der Bass des Mannes, der später den Gitarristen und Mastermind von MAYHEM ermorden würde.

Das findet auch die norwegische Regenbogenpresse und stürzt sich förmlich auf das Release, ähnlich wie sie das seit dem August des Jahres 1993 – also seit dem Mord an Euronymous – bei nahezu allen Aktivitäten, Skandälchen und Prozessen rund um die norwegische Black-Metal-Szene getan hat. Ob es wirklich dieses Album ist oder ein späteres, das Black Metal zu einem Massenphänomen macht, ist fraglich – aber zumindest ist es seine Entstehungsgeschichte, die schließlich die mediale Aufmerksamkeit auf ein paar Teenager lenkt, die bisher in einem relativ elitären Kreis musiziert haben.

Aber was ist musikalisch eigentlich dran?

„Mich würde interessieren“, sagte Fenriz von DARKTHRONE einmal, „was aus dem ‚Experiment‘ Black Metal ohne die Aufmerksamkeit der Medien geworden wäre.“ Das lässt sich aus heutiger Sicht sicherlich unterstreichen – spannend wäre es. Aber dann wäre eben vielen auch viel gute Musik entgangen, nicht zuletzt „De Mysteriis Dom Sathanas“. Denn dieses Album ist nicht nur ein vertonter Skandal – nein, es ist mehr. Übten sich die Black Metaller in den Achtzigern sowieso nur in blanker Provokation, und spielten IMMORTAL, BURZUM und DARKTHRONE bis zu diesem Punkt nur meistens mit Dark-Fantasy-Klischees herum, waren es MAYHEM und „De Mysteriis Dom Sathanas“, die Satanismus in seiner wirklich finsteren, morbiden Form im Black Metal bekannt machten.

„De Mysteriis Dom Sathanas“ zu hören, das bedeutet, 46 Minuten düsterste Atmosphäre über sich ergehen zu lassen. Die Riffs mögen einfach sein, allzu viele verschiedene Drumpatterns gibt es darauf auch nicht zu hören, aber diese pure Dunkelheit, die MAYHEM auf dem Album schon rein instrumental durch den immensen, vorher nicht dagewesenen Gebrauch von Disharmonien, Tritoni und dergleichen entfesseln, die sucht ihresgleichen. Hinzu gesellt sich der abgefahrene Gesang von Attila Csihar, der von opernhaftem, auch gewollt schiefem, Gesang über kehlig gehauchte Textpassagen hin zu im besten Dead-Stil geschrienen Zeilen sämtliche Register der extremen Vokalkunst zieht und „De Mysteriis Dom Sathanas“ zu einem wirklich besonderen Album macht, das sich deutlich von der Konkurrenz abhebt.

Fazit: ein Jahrhundertwerk?

So ist es nur folgerichtig, dass es müßig wäre, einzelne Songs herauszupicken. „Funeral Fog“, das als Opener völlig ungestüm lospoltert, das sich langsam aufbauende „Freezing Moon“, das groovende „Pagan Fears“, bis hin zum ungewohnt melodischen, abschließenden Titeltrack – hier fällt nichts raus, nichts fällt qualitativ ab. Zumal „De Mysteriis Dom Sathanas“ ein Album ist, das im Ganzen genossen werden will, das seine Atmosphäre über den Hörer legen und ihn in Finsternis und Morbidität ersticken will. So wundert es nicht, dass die einzelnen Stücke der Platte – vielleicht mit Ausnahme von „Freezing Moon“ und dem Titeltrack – nicht als Hits funktionieren, sondern nur im Verbund mit dem Rest.

Ja, Herr Fenriz, man darf sich ruhig fragen, was aus Black Metal geworden wäre, hätte es nicht den Medienrummel rund um die Entstehung dieses Albums gegeben. Fakt ist aber, dass dieses Album den Medienrummel gar nicht nötig gehabt hätte – es ist auch so ein Jahrhundertwerk. Wenn BLACK SABBATH den Okkultismus in den Metal gebracht und SLAYER mit „Reign In Blood“ die Messlatte an möglicher Extremität höhergelegt haben, dann haben MAYHEM diese Messlatte mit „De Mysteriis Dom Sathanas“ genommen, zerbrochen – und damit einer ganzen Generation von Musikern gezeigt, dass es immer noch krasser, noch düsterer, noch böser geht. Wenn heute Bands wie DEATHSPELL OMEGA oder SVARTIDAUÐI ganze Alben aufnehmen, in denen nicht eine einzige Harmonie zu hören ist, ist das nur eines der vielen Ergebnisse, die MAYHEM erst möglich gemacht haben. Auch mit Alben wie „Grand Declaration Of War“ (2000) und „Ordo Ad Chao“ (2007), aber vor allem mit „De Mysteriis Dom Sathanas“ – dem Album, mit dem alles begann, und zwar in mehrerlei Hinsicht.

16.01.2019
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