Running Wild - Rogues En Vogue

Review

Auch wenn „Rogues En Vogue“ mittlerweile schon mehr als zwei Jahre auf dem Buckel hat und man von vielen Seiten bereits die unterschiedlichsten Meinungen zu hören bekam – von einem Meisterwerk war die Rede, back to the roots, aber auch von einem ideenlosen Aufguss eigener Songs und dem Ruf, der Kapitän solle sich doch bitteschön zur Ruhe setzen – wurde das dreizehnte Studioalbum der vier Hannoveraner Piraten bei metal.de bisher noch nicht mit einer Rezension bedacht. Da sich Rock’n’Rolf Kasparek und seine angeheuerte Crew derzeit eine verdiente Auszeit nimmt, soll dieses Werk jetzt allerdings nachträglich – mit etwas Abstand – doch noch zu diesen Ehren kommen.

Uninspiriert und oberflächlich sollen sie angeblich sein, die dreizehn Songs auf „Rogues En Vogue“, dabei eröffnet „Draw The Line“ bedächtig mit einem sleazigen Riff und melodischen Chören im Chorus – Elemente, die man von einer der dienstältesten und wichtigsten deutschen Heavy-Metal-Gruppierungen am wenigsten erwartet hätte, bevor ein anschliessendes Soundgewitter klar macht: RUNNING WILD sind wieder da! Eine protzig stampfende Strophe, ein Mitgröhlrefrain und ein fantastisches Gitarrensolo komplettieren diesen aussergewöhnlichen Song bevor „Angel Of Mercy“ in altbewährte Muster zurückfällt, das Tempo enorm anzieht und alle klassischen RUNNING WILD-Trademarks wie typische Harmonien in den schnellen Riffs, melodiöse Bridges sowie pompöse Akkorde im Chorus offenbart. Nach einem so grandiosen Auftakt wie mit „Draw The Line“ empfinde ich „Angel Of Mercy“, einer logischen Weiterentwicklung zu „The Brotherhood“, fast schon als eine kleine Enttäuschung, wobei Matthias Liebetruth an den Drums ganze Arbeit leistet, wie es selten nach „Masquerade“ der Fall war. „Skeleton Dance“ ist eine flotte, sehr rockige Nummer mit einem erstklassigen Instrumental-Part, der für ein kurzes Gitarrenlead das Tempo gewaltig anzieht. Einen solchen Tempowechsel hat man tatsächlich seit „Death Or Glory“ nicht mehr vernommen – neben „Draw The Line“ ganz klar eines der Highlights auf diesem Album! So weit, so gut. Wenn das bisher kein Auftakt nach Mass ist?

Mit einem akustischen Intro, angehaucht vom typischen Piraten-Flair, den nur RUNNING WILD dermassen atmosphärisch zum Besten geben können, wird es mit „Skull & Bones“ zum ersten Mal auf diesem Album etwas epischer. Für viele stellt dieser Song ein kleines Highlight dar, wobei ich diese Mid-Tempo-Nummer eher als „notwendiges Übel“ empfinde, um das fortwährende Piraten-Klischee aufrechtzuerhalten und die altgedienten Fanschaaren milde zu stimmen – nichts Besonderes im Vergleich zu dem, was man zuvor bereits gehört hat und von den anderen Alben her kennt. Daran ändert auch nichts das folgende, hymnisch veranlagte „Born Dead, Dying Worse“, das zwar von einem interessanten Riff getragen wird, aber ziemlich unspektakuläre Gesangslinien aufweist und einem seltsam pumpenden Bass viel zu grossen Spielraum bietet. Obwohl mich „Black Gold“ kurz nach erscheinen des Albums total enttäuschte, live jedoch enormes Potential offenbarte, zähle ich diesen Track mittlerweile zum gehobenen Mittelmass, der erneut die bandeigenen Trademarks bedient und mit astreiner Gitarrenarbeit, charakteristischen Ballerbreaks, Ohrwurmleads und einem fordernden Refrain überzeugt. Die Halbzeit wird durch den fast schon auf Massenkompatibilität ausgelegte Stampfer „Soul Vampires“ eingeläutet, bei dem mich vor allem der mit Halleffekten unterlegte Vers-Gesang überzeugt, ansonsten aber recht simpel rockt. Dafür folgt mit „Rogues En Vogue“ nun der hitverdächtige Titelsong mit seinem anstachelnden Riff und seinem Gassenhauerrefrain. Der bis jetzt vielleicht stärkste Song auf dem Album, der das ganze Spektrum des Könnens von Oberpirat Kasparek abdeckt. Wahnsinn! Das folgende „Winged & Feathered“ ist in dieser Hinsicht absolut banal und der Durchhänger des Albums, auch wenn der Refrain umgehend zum Mitsingen animiert. Mit „Dead Man’s Road“ folgt das definitiv rockigste und gleichzeitig auch kurzweiligste Stück auf „Rogues En Vogue“, das sich lediglich mit dem gut ausgearbeiteten Refrain und einem meisterhaften Solo auf mittleren Niveau bewegt.

Den Abschluss der regulären Album-Version bildet das knapp elfminütige „The War“, ein Epos in mehreren brillianten Parts, dessen Wirkung durch original eingespielte Militärmärsche unterstrichen wird. Was hat sich dieses Stück schon alles über sich ergehen lassen müssen! Von einem Karnevalssong war die Rede, sogar vom miesesten Song der Bandgeschichte, letztendlich ist „The War“ allerdings einer der Songs, die das Wort „Epos“ tatsächlich verdient haben und eine eigene Geschichte erzählt, die Geschichte über Soldaten im Ersten Weltkrieg, die enthusiastisch und blindlings dem Kriegsruf folgten um kurz darauf zu erfahren, dass es sich hierbei weder um ein Abenteuer noch um ein Spiel handelt, sondern um brutale Realität. Dabei spielt Rolf wunderbar mit fast schon ironisch wirkenden musikalischen Stilmitteln. Beginnend mit einem Gitarrenintro wird der Reigen mit eher im Mid-Tempo angelegten Galopp-Gitarren eingeläutet. Die Melodie bleibt sofort im Ohr hängen, die eingestreuten Instrumentalteile passen sich hervorragend ein und warten mit tollen Soli auf. Zur Hälfte des Songs überrascht ein Break und ein Gitarrenteil führt eine völlig neue Melodie ein. Hat man sich gerade daran gewöhnt, folgt auch schon der nächste Break und man hört Gewehrfeuer und Bombeneinschläge. Der Spass ist vorbei, die Soldaten sind mitten drin und erleben sämtliche Greueltaten, zu denen Menschen fähig sein können. Langsames, gefühlvolles, fast schon pink-floydig-atmosphärisches Gitarrenspiel, das so gar nicht zum bisher relativ fröhlich anmutenden Feeling des Song-Verlaufs passen will, aber einfach nur genial umgesetzt ist, verdeutlicht diese Wandlung. Erst langsam setzen wieder alle Instrumente und der Gesang ein und die Transformation zu einem düsteren Stampfer ist abgeschlossen. Eindrucksvoll und fantastisch!

Das sofort ins Ohr gehende und extrem nach vorne treibende „Cannonball Tongue“ überrascht als Bonustrack und ist ein Highlight auf dem Album, der den Kauf der Limited Edition zur Pflicht macht. Völlig ausser Frage steht, dass „Libertalia“ einer der besten Songs ist, den Herr Kasparek je geschrieben hat. Diese Speednummer haut mich mit Gänsehautchören und einem Refrain, der unter die Haut geht, schlichtweg um – eine Hymne vor dem Herrn und damit ein Geschenk an alle Fans, die von den letzten Outputs der Band eher enttäuscht waren.

Unterm Strich ist „Rogues En Vogue“ weder ein Meisterwerk noch ein totaler Reinfall, sondern ein überdurchschnittlich gutes Album mit vielen herausragenden Songs. Abwechslung wird ganz gross geschrieben und besonders viel Mühe hat sich Rock’n’Rolf mit der Gitarrenarbeit gegeben, denn so erstklassige Riffs und ausladende Soli hat man bei RUNNING WILD schon lange nicht mehr gehört. Über die Produktion kann man sich natürlich streiten, doch auf meiner Anlage knallt das Material so wie es soll. Zwar klingt das Gesamtwerk ingesamt nicht mehr so organisch wie noch zu „Death Or Glory“ oder „Blazon Stone“, erreicht aber den Sound und daher auch die Sterilität von Alben wie „Black Hand Inn“ oder „The Rivalry“, um bandintern zu wildern (extern fallen mir zum Beispiel GAMMA RAYs „Majestic“ und ICED EARTHs „The Glorious Burden“ ein). Somit zählt „Rogues En Vogue“ nüchtern betrachtet zwar zu den kreativsten Alben seit „Blazon Stone“ und erreicht innerhalb der bandeigenen Diskografie einen Platz ganz weit oben, als eine Einheit betrachtet fehlt diesem Longplayer allerdings noch das nostalgische Feeling, dieses „besondere Etwas“, um mit Genre-Klassikern wie „Black Hand Inn“ oder „Under Jolly Roger“ in einem Atemzug genannt zu werden, und schrammt daher knapp an Acht Punkten vorbei.

03.11.2007
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