Seven Impale - Summit

Review

Ein Album nach dem Wort für den Gipfel des Berges zu benennen mag gerade bei Prog-Bands eine gewisse Überheblichkeit implizieren. Hochkaräter wie DREAM THEATER überspielen das gerne mit einer professionellen Genügsamkeit, siehe auch John Myungs Kommentar zu deren Album „A View From The Top Of The World“. SEVEN IMPALE, die norwegische Prøg-Band mit der ENSLAVED-DNA (Keyboarder Håkon Mikkelsen Vinje ist vor einiger Zeit bei den Viking Metallern eingestiegen) sind natürlich nicht so groß und auch stilistisch nicht unbedingt mit den New Yorkern zu vergleichen. Ein Konzept über das Bergsteigen scheint deren drittem Album „Summit“ aber auch nicht zu Grunde zu liegen, mehr scheint man sich auf eine mythologische Thematik geeinigt zu haben. Wichtiger aber: Die Norweger scheinen aus ihrem siebenjährigen Dornröschenschlaf seit ihrem Zweitling „Contrapasso“ aufgewacht, um nun wieder in ihrer eigenen, verschrobenen Art Vollgas zu geben – und gleich vorneweg: Junge, haben sie diesmal geliefert!

Skandinavischer Prøg in Perfektion: SEVEN IMPALE liefern magische Momente en masse

Der Sound der Norweger hat sich der langen Pause zwischen den beiden Platten zum Trotz nur geringfügig geändert, wobei man von der groben Härte von „Contrapasso“ wieder ein Stück weit ablässt. Geboten wird auf dem dritten Album erneut eine freizügig mit Jazz angereicherte Retro-Prog-Spielweise, die gewisse Berührungspunkte mit SPOCK’S BEARD und Konsorten hat, aber mit distinktiv skandinavischer Note daherkommt und daher vor allem an die schwedischen Vorreiter ÄNGLAGÅRD, damit einhergehend auch an die ebenso schwedischen ANEKDOTEN sowie die Landsmänner WOBBLER denken lässt. Dabei heben sich die hier gegenständlichen Herren aber wiederum prägnant ab durch ihre melodramatischen Gesangsharmonien, die immer wieder für epochale Klimaxen wie gegen Ende des eröffnenden „Hunter“ sorgen, sowie ihrem Hang zu sporadischer und durchschlagender Heaviness.

Den Kern bildet jedoch der jazzige Retro-Prog mit prominent erscheinenden Saxofon-, Klavier- und Orgeleinlagen sowie den expressive Gesangseinlagen, angeleitet von Gitarrist Stian Økland, dessen klassisch ausgebildete Tenorstimme einmal mehr majestätisch über das Geschehen hinweg schwebt. Man merkt ihm seine Arbeit bei norwegischen Opernproduktionen definitiv an, gerade bei seinen Vibratos, die so sauber und elegant sind, dass man vermutlich davon essen könnte. Wenn man so eine Stimme hat, neigt man natürlich zum pompösen Flexing, besonders der symphonische Metal ist dagegen berüchtigterweise extrem anfällig. Aber glücklicherweise verkommt „Summit“ nicht zum Selbstbeweihräucherungstrip Øklands. Dafür stimmt auch instrumental alles ein bisschen zu sehr, um in diese Falle zu latschen, zumal die Beschaffenheit von „Summit“ auch eher von der ausgeglichenen, deshalb aber nicht weniger dynamischen Sorte ist.

 Zwischen Zurückhaltung und Opulenz

Es klingt natürlich wahnsinnig eklektisch. Während das eröffnende „Hunter“ beispielsweise ein ziemlich dramatischer Stampfer mit weitreichendem Spannungsbogen und angemessener Katharsis ist, kommt das folgende „Hydra“ etwas quirliger daher, geht damit mehr in Richtung Hard Rock mit locker durch die Hose atmendem Riffgetucker frisch aus DEEP PURPLEs „Highway Star“ entliehen und einigen Psychedelic-Vibes aus den Sechzigern, die in der ersten Songhälfte durch die mehrstimmigen Gesangsarrangements geistern. Wer vom maximalistischen 70er-Exkurs von Arjen Lucassens SUPERSONIC REVOLUTION geschunden an plakative Prog-Buhlerei denkt, kann hier aufatmen: Hier klingt alles schön luftig, locker und ungezwungen, gleichwohl aber dennoch verdammt zugänglich und erfrischend geschäftig. Dem wird aber auch wieder diese distinktive, skandinavische Melancholie übergestülpt. Und dank Øklands eigentümlicher Stimmfarbe sowie dem Signatur-Sound von SEVEN IMPALE im Allgemeinen bleibt der Song respektive seine Herkunft jederzeit wiedererkennbar.

Umso wilder wird es dann bei „Ikaros“, das phasenweise wie der Versuch klingt, die halbe Studiodiskografie von KING CRIMSON bis einschließlich „Red“ in einem einzelnen Neunminüter zu verarbeiten. Hier kommt so einiges zusammen, von kontrapunktischem Riffgewusel mit polyrhythmischen Charakter hin zu den großen Rock-Harmonien, die als Anker für das Ohr fungieren. Allein das Mellotron glänzt durch Abwesenheit, aber dafür kommt man wie gewohnt bei SEVEN IMPALE in den Genuss von Hammond-Orgel und Saxofon, die im letzten Drittel des Tracks mitunter sogar eine kleine, klassische VAN DER GRAAF GENERATOR-Paraphrase zu beschreiben scheinen. Und auch hier wieder liefert eine mehrstimmig Gesungene Hook zum Abschluss einen hymnischen Höhepunkt zum Niederknien, wie er eigentlich nur von den Norwegern hier stammen könnte.

Auf „Summit“ finden die Norweger die goldene Mitte zwischen „City Of The Sun“ und „Contrapasso“

Und wieder neue Facetten kommen im abschließenden „Sisyphus“ hinzu, das zu Beginn Noise-Eruptionen unvermittelt durch einen anderweitig kecken, fast irgendwie funkigen Jazz-Groove hindurch brettern lässt, so als würden die Pedals mal eben kurz explodieren. Im Mittelteil übernimmt die Jazz-Komponente schließlich das Ruder und führt den Song gefühlt an einem kühlen Sommerabend mal eben kurz in einen kommoden Jazzkeller, in dem verlorene, urbane Seelen ihre Sorgen in hippen Longdrinks zu ertränken suchen. Nur kurz brechen die Herren dort mal in Form einiger Blast Beats zur explosiven Hook raus, aber der Song klingt dann mit möglicherweise leicht optimistisch klingenden Feierabend-Vibes aus, dass es einem erneut einen wohligen Schauer über den Rücken jagt. Und das alles wohlgemerkt wieder, ohne den Faden der eigenen, klanglichen Identität zu verlieren.

„Summit“ klingt wie eine natürliche Konsequenz aus „City Of The Sun“ und „Contrapasso“. Nach dem noch eher zurückhaltendem Debüt und dem umso forscheren Zweitling finden SEVEN IMPALE mit „Summit“ die goldene Mitte zwischen diesen beiden Polen. Die Erfahrung, die jeder einzelne Musiker im sechköpfigen Bandgefüge in der langen Pause zwischen Alben gesammelt hat, sei es spielerisch oder persönlich, scheint gefruchtet zu haben – in jedem Falle ist das Ergebnis ein phänomenales Statement in Sachen Retro-Prog, das einerseits furchtlos Einflüsse umherwirbelt, andererseits aber die eigene Identität stets im Auge behält und vor allem nach SEVEN IMPALE und nichts anderem klingt.

SEVEN IMPALE liefern noch ein Eintrag für den Prog-Olymp 2023

Für die Halbwertszeit von „Summit“ ungemein zuträglich sind zudem auch die klassischen, progressiven Kniffe wie krumme Takte, chromatische wenngleich kaum atonale Riffs oder das Vorstellen und Erforschen von musikalischen Motiven innerhalb eines Songs. Selbst kleinere, musikalische Phrasen könnten im Verlauf des Songs in variierter Form wiederkehren und ermuntern so zur Schnitzeljagd auf Empfängerseite. „Hydra“ ist ein wunderbares Beispiel hierfür und der Song, der für uneingeweihte Ohren vermutlich noch am zugänglichsten ausgefallen sein dürfte. Unterdessen wird der Schwierigkeitsgrad bei den sperrigeren Cuts wie „Hunter“ oder „Ikaros“ ein wenig erhöht, ohne jedoch zu sehr abzuschrecken.

Nachdem HAKEN mit ihrer „Fauna“ bereits im März so ziemlich alles richtig gemacht haben, was man im Retro-Prog richtig machen kann heutzutage, dachte unsereins schon, dass es kaum besser werden kann dieses Jahr. Doch nun kommen SEVEN IMPALE und belehren mich mit „Summit“ eines Besseren – und ich möchte mich keinesfalls darüber beschweren. Nun haben Prog-Fans die Qual der Wahl – moderne Adaption á la HAKEN oder hiesig in Jazz und skandinavischem Flair getunkte Klangkunst? Hier jedenfalls passt einfach alles. Vier Songs, die allesamt genau die richtige Länge haben und bei denen nicht eine einzige Sekunde an langweiligen Leerlauf verschwendet wird. Ein Sound, der Luft zum Atmen lässt, eingängige Ankerpunkte setzt und doch zum rechten Zeitpunkt wüst aufstampft. „Summit“ wird seinem Namen gerecht und SEVEN IMPALE haben sich mit ihrem dritten Album das überfällige Denkmal gesetzt.

18.05.2023

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

Exit mobile version