Slayer - Hell Awaits

Review

Ob es für euch die lange Fahrt ins Heimatdorf war, der kommerzielle Terror, der alle Beschäftigten in Gastronomie, Handel und Co. widerfährt oder die rassistischen Narrative, die Onkel Volker am Weihnachtstisch von sich gibt – gebt es einfach zu. Ihr alle hattet in den vergangenen Tagen den einen oder anderen Moment, der euch vor Zorn hätte platzen lassen, wenn nicht das innerliche Anstimmen eines Songs von SLAYER die folgenreiche Transformation zum Hulk unterbunden hätte. Es ist keine Schande. Die Vorweihnachtszeit macht uns alle fertig und welches Album wäre da für eine retrospektive Betrachtung allein vom Titel her schon besser geeignet als “Hell Awaits”, die zweite Platte der inzwischen in Rente gegangenen Band?

Schneller, härter, SLAYER – auf “Hell Awaits” wollen sie’s wissen

Mit ihrem 1983er-Debüt “Show No Mercy” waren SLAYER in aller Munde. Mit ihrem pfeilschnellen Mix aus VENOM, MERCYFUL FATE, IRON MAIDEN sowie eine ordentlichen Portion Straßenköter-Punk schuf das Quartett aus L. A. eine Nische im Thrash Metal, die dunkler und böser war als alles bisher bekannte. Konnte man auf dem Erstlingswerk die klassischen Heavy-Metal-Einflüsse noch deutlich vernehmen, ist das zwei Jahre später veröffentlichte “Hell Awaits” bereits eine ganz andere Liga. Einerseits wurden die Songs länger und komplexer, andererseits war dies kein Selbstzweck, sondern erhöht die teuflische Suggestionskraft der vielleicht dynamischsten SLAYER-Platte.

Perfektes Beispiel ist bereits der eröffnende Titelsong. Langsam baut er sich auf, die Bedrohung wächst und wächst und nach dem düster-dramatischen Intro entfaltet sich ein Riff-Inferno, das wie vom Leibhaftigen höchstselbst gejagt klingt und ohne Unterlass wie Giftpfeile auf einen eindrischt. Sänger und Bassist Tom Araya hat deutlich an Charisma gewonnen, die gesamte Band spielt wesentlich tighter und die Produktion (Labelchef Brian Slagel und die Band selbst werden dafür in den Credits genannt, aber wahrscheinlich dürfte ein Großteil dem legendären Engineer Bill Metoyer zu verantworten sein) tönt druckvoll und klar, lässt aber genügend Raum für die rohe Wut, die SLAYER auszeichnet.

Exzellentes Thrash-Songwriting

Man kann natürlich diskutieren, welches Album aus dem fast konkurrenzlosen SLAYER-Frühwerk favorisiert wird, doch “Hell Awaits” sticht im Schläger-Kosmos hervor, weil es eine Magie hat, die kaum ein anderes Werk von ihnen besitzt. Es ist die Tatsache, dass es neben der infernalischen Hysterie von weiteren Perlen wie “Kill Again” oder “Praise Of Death” Platz für eher schleichendes Unheil in Form von “At Dawn They Sleep” oder “Crypts Of Eternity” bietet. Diese Facetten wurden auf der nachfolgenden Prügelorgie “Reign In Blood” von 1986 absichtlich fast vollständig unterbunden, bereicherten den Sound der Band aber enorm.

Darüber hinaus bietet “Hell Awaits” einfach das, worauf es im Thrash Metal ankommt: Exquisite Riffs, die zu großartigen Songs zusammengeführt werden. Das Songwriting bleibt auch auf Album Nummer 2 sicher in den Händen der Gitarristen Jeff Hanneman und Kerry King, die wahlweise gemeinsam oder individuell Musik und Texte schrieben. Erstmals wird auch Tom Araya in den Credits aufgeführt: Er steuerte zumindest Titel und Textteile für “At Dawn They Sleep” und “Crypts Of Eternity” bei. “Hell Awaits” ist dabei eine Platte, die insgesamt eher vom Songwriting Hannemans dominiert wird. Bekanntermaßen konnte das Verhältnis von Album zu Album bei SLAYER ja sehr schwanken.

Meilenstein. Punkt.

Weitere Worte braucht man zu diesem Klassiker nicht verlieren. “Hell Awaits” ist pure juvenile Aggression, ein galliger Mittelfinger im konservativ-christlich geprägten Amerika; eine gewollte Terrorattacke gegen jede Form von Spießigkeit oder bürgerlicher Moral. Die Platte ist so finster, dass es sogar egal ist, dass ihr Sänger bekennender Katholik ist. Zurecht als eine der einflussreichsten Metal-Platten des Planeten gefeiert, ist sie zudem eine optimale Wahl, würde man einem Einstiegs-Metal-Fan erklären wollen, worum es bei SLAYER oder im Thrash Metal insgesamt geht.

28.12.2022

Redakteur | Koordination Themenplanung & Interviews

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