Slipknot - .5: The Gray Chapter

Review

Im Mai des Jahres 2010 erlebten die Maskenmänner zweifelsfrei die schwersten Stunden ihrer Karriere. Zum tragischen Tod des Bassisten und Gründungsmitglieds Paul Gray ist in den vergangenen Jahren bereits alles gesagt worden – es findet in dieser Besprechung allerdings nochmals Erwähnung, weil Albumtitel und Texte des fünften SLIPKNOT-Studiowerks sich natürlich auch mit jenen Ereignissen vor vier Jahren und den Folgen auseinandersetzen. „.5: The Gray Chapter“ ist insofern inhaltlich und emotional ohne Zweifel das wichtigste Album der Bandgeschichte.

Über die musikalische Trendwende, die SLIPKNOT mit ihren letzten beiden Scheiben vollzogen haben, wird nach wie vor heftig gestritten. Vor diesem Hintergrund durfte man besonders gespannt sein, in welche Richtung sich das neue Werk letztlich bewegen würde. Härter und schneller? Oder doch eher ruhig, reduziert und melodisch? Zwischen Triumphzug und dem vollständigen Versinken im unbedeutenden Mittelmaß schien dabei alles möglich.

Tatsächlich ist die Platte bei objektiver Betrachtung keines von beidem: Sie besitzt weder die ungezügelte Wut und Rohheit der Frühwerke, bietet allerdings wieder etwas mehr Dynamik und Tiefgang als die beiden unmittelbaren Vorgänger. Das soll in erster Linie eine Einordnung sein – kein zwanghafter Vergleich. Mir ist es ohnehin reichlich egal, was Mr. Taylor bei STONE SOUR veranstaltet und welche der bisherigen SLIPKNOT-Platten nun die angeblich Beste ist. Was die umstrittenen letzten beiden Scheiben der Band – „Vol. 3: (The Subliminal Verses)“ und „All Hope Is Gone“ – anbelangt, so war für mich persönlich übrigens nie die stilistische Ausrichtung der Scheiben das Problem, sondern schlicht und ergreifend die Qualität der Songs.

Auf „.5: The Gray Chapter“ gelingt den US-Amerikanern in dieser Hinsicht eine leichte Steigerung. Songs wie das bereits vorab veröffentlichte „The Devil In I“ oder das abwechslungsreiche „Sarcastrophe“ sind fraglos gut konzipierte Metal-Stücke. Letzterer Track kracht nach dem recht eindringlich gehaltenen Intro der Platte (Taylor zu Gray: „I dont want to get back up, but I have to„) mit beträchtlicher Energie aus den Boxen, das Riffing ist zwar hier und da etwas monoton, dennoch erreicht der Track eine gute Balance aus treibenden und groovigen Parts, hin und wieder wird sogar ein Ausflug in Blast-Gefilde unternommen. Im Folgenden agieren SLIPKNOT dann weiterhin durchaus abwechslungsreich: Tempo und Härtegrad werden im Laufe der Songs immer wieder variiert.

Das große Problem dabei: Für ein umjubeltes Comeback fehlt es den Songs einfach an Klasse und Substanz. Exemplarisch dafür kann der Schlusspart von „The Devil In I“ herangezogen werden (ich wähle bewusst diesen Track, da ihn sich jeder – ob er nun das Album kauft, oder nicht – bei Youtube anhören kann): Denn da wird eine gefühlte Ewigkeit auf dem Hauptriff herumgeritten, ohne dabei einen nennenswerten dramaturgischen Wert zu erzielen. Und ganz ehrlich – das Riff ist solide, würde es in dieser Form aber bei vielen anderen Kapellen wohl nicht einmal aufs Album schaffen. Obendrein bringen SLIPKNOT es in Kurzform gleich nochmal im Song „The Negative One“.

Die Scheibe ist ohnehin kein Kreativ-Feuerwerk. Im Gegenteil – die Problematik zieht sich wie ein roter Faden (es gibt ihn also) durch die Platte: Immer wieder werden die durchaus gelungenen melodisch-eingängig gehaltenen Passagen durch stumpfes, furztrockenes Geriffe in ihrer Wirkung gehemmt. Dabei agiert die Gitarrenfraktion teilweise am Rande der Belanglosigkeit („Lech“, „Nomadic“ und – ganz schlimm – „Custer“). Natürlich ist es kein amateurhaftes Gerumpel, was einem da vorgesetzt wird. Aber es fehlt die Magie, das Mitreißende und letztlich einfach das Besondere – eben jene Riffs, die einem auch Jahre später noch im Kopf herumgeistern. Wie bereits erwähnt, funktionieren die atmosphärischen Passagen dafür größtenteils sehr ordentlich – beispielsweise der Mittelteil des ansonsten thrashig dargebotenen „AOV“ oder diverse Momente im bereits angesprochenen „The Devil In I“.

Dennoch steht am Ende ein durchwachsenes Werk, das obendrein mit einem ziemlich unvorteilhaften Sound daherkommt. Hätten die hoch dekorierten Herren Fidelman und Barresi den Klampfen ein wenig mehr Entfaltungsraum und den Drums etwas mehr Organik verliehen – vielleicht wäre dann mehr möglich gewesen. Sicher – auch „.5: The Gray Chapter“ wird seine Anhänger und Verfechter finden. Unterm Strich wird die Platte den internationalen Ansprüchen des Genres aber nicht gerecht.

Bevor sich nun Befürworter und Gegner verbal die Köpfe einschlagen, noch ein kurzer Gedanke: Ob es nun ein gutes, oder schlechtes Album ist – vor allem ist es eines: Ein Tonträger, mit dem die verbliebenen Bandmitglieder einem verstorbenen Freund und Kollegen die letzte Ehre erweisen. Zumindest in diesem Punkt sollten sich alle einig sein.

16.10.2014
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