Ulver - Bergtatt – Et Eeventyr I 5 Capitler

Review

ULVER waren schon immer anders als der Rest. Die Wölfe aus Oslo vermieden es wie – nun ja – der Black Metaller das Weihwasser, jemals zwei Alben ähnlich klingen zu lassen; geschweige denn, wie eine andere Band klingen zu wollen. So verdient auch das Debüt-Album “Bergtatt” aus dem Jahre 1995 einen Innovationspreis, da es kein Folk-Black-Metal-Album der Neunziger gäbe, das halbwegs ähnlich klänge – die Verbindung aus Folk und Black Metal war zu jener Zeit ohnehin noch frisch.

“Bergtatt” ist Kopfkino, Fantasie und Träumerei

“Bergtatt” nur als Folk-Black-Metal-Album zu bezeichnen, wäre zu kurz gegriffen. Es ist nicht möglich, diese reichliche halbe Stunde Musik ohne romantische Schwärmereien zu beschreiben, da sie uns das mit voller Absicht abverlangt. Vielmehr ist “Bergtatt” (sinngemäß ‘in den Berg entführt’) ein musikalisches Märchen, das in der Lage ist, den Titel zum Programm zu machen und an weit entfernte, mystische Orte zu entführen. “Et Eeventyr I 5 Capitler” übrigens bedeutet ‘Ein Märchen in fünf Kapiteln’. Garm und Co. erzählen auf dem Album eine durchgehende mythologisch gefärbte Geschichte über Trolle, Berge und Magie. Klingt kitschig? Das muss so!

Als Kontrast zum damals in Norwegen verbreiteten Plakatsatanismus und den ab 1993 vielfach kopierten Euronymous-Riffs setzten ULVER auf getragene, hymnische und zugleich traurige Melodien, die hervorragend von der klaren, aber keinesfalls kommerziellen Produktion getragen werden. Besonders auffällig sind die Vocals von Garm, die eher selten Gebrauch vom typischen Black-Metal-Krächzen machen und mit klaren, gefühlvollen Melodien überzeugen. Das entrückt-melancholische in Garms Stimme sowie der großzügig genutzte Reverb-Effekt lassen die Vocals tatsächlich so klingen, als handelte es sich bei ihnen um eine Geisterstimme, die aus der Tiefe des Waldes heraus in die Irre locken will. Man höre “Soelen Gaaer Bag Aase Need” und sei verzaubert!

ULVER – Innovativ und wegweisend

Vielleicht nutzten ULVER derlei Stilmittel nicht zuerst, doch der stimmungsvolle Gebrauch von Akustikgitarren, Piano und Flöte rundet “Bergtatt” als formvollendetes Gesamtkunstwerk ab. Die Art und Weise wie diese dem Metal eher fremden Instrumente Einzug zwischen repetitiven, typischeren Black-Metal-Riffs fand, sollte in der Szene mächtig Anklang finden. Es verwundert nicht, dass ULVER selbst dies nie wieder aufgriffen und sich anschließend akustischem Folk (“Kveldssanger”), harschem Lo-Fi Black Metal (“Nattens Madrigal”) und schließlich ihrem ganz eigenen elektronischen Ambient widmeten – es wäre ihnen vermutlich eh nie wieder gelungen, ein ebenbürtiges Album im Stile von “Bergtatt” aufzunehmen.

“Bergtatt” ist von der ersten zur letzten Note schlüssig, rund und atmosphärisch dicht. Auch nach 25 Jahren ist es in der Lage, bei Realitätsflucht und Gedankenreisen zu helfen. “Bergtatt” ist märchenhaft schön.

21.10.2020

Redakteur | Koordination Themenplanung & Interviews

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