Ulver - Flowers Of Evil

Review

ULVER sind eine Band, die sich durch die diskografische Bank weg radikal gewandelt hat. Aber wem erzähle ich das eigentlich? Ist ja nicht so, als wären Krystoffer Rygg und Co. Underdogs oder so. Fakt ist: Was sich diese Band schon an stilistischen Häuten übergezogen hat, brächte manch andere Kapelle längst zur irreversiblen Implosion. Doch dank einer geradezu pedantischen Geduld, mit der die Band vor allem ihren ruhigeren aber deshalb nicht minder intensiven Teil des Backkatalogs zelebrierte, blieben ULVER eine relevante, qualitative Bank, auch über ihr schwarzmetallisches Zeitalter hinaus. Vielleicht wurden sie sogar erst durch ihre experimentelle Phase eine Bank, aber darüber lässt sich sicher wunderbar streiten.

Die Poppige Düster-Magie aus dem Hause ULVER hält an

Bei einer solch stilistischen Trajektorie wundert es wenig, dass das Lineup der Wölfe sehr… sagen wir mal: „situationsbezogen“ sein kann. Im Grunde rotiert jenes seit ihrer Hinwendung zu experimentellen, oft Trip Hop-lastigen Klängen, spätestens aber seit „Blood Inside“, meist um die drei Kernfiguren, neben Rygg sind das Tore Ylwizaker und Jørn H. Sværen. Und mit der neuen Platte „Flowers Of Evil“ knüpfen sie an den von „The Assassination Of Julius Caesar“ sowie der EP „Sic Transit Gloria Mundi“ eingeschlagenen Pfad an. Wieder mit diesem kleinen Kern-Lineup, verstärkt durch Ole Aleksander Halstensgård und einem Battalion von Gastmusikern (diesmal ohne Daniel O’Sullivan) erkunden sie diesen Sound ein Stückchen weiter.

Dieser angenehm melancholische Synth-Pop wurde erneut mit einem historischen Backdrop versehen. Das muss man sich erstmal auf der Zunge zergehen lassen. Denn in gehörter Form geht dieser vermeintliche Anachronismus dank des unglaublichen, musikalischen wie kompositorischen Feingefühls und einer im besten Sinne des Wortes humorlosen Umsetzung einmal mehr runter wie Öl. Songschreiberisch nicht immer auf große Hooks ausgelegt, erzeugt „Flowers Of Evil“ wieder dieses ganz spezielle Kribbeln, das man verspürt, wenn die Norweger ihre unbeschreibliche, akustische Magie wirken. Denn bei allem Trübsal versprüht das Album eine gewisse, seltsam willkommene Wärme.

Warme Melancholie – die „Flowers Of Evil“ wurden in ein angenehmes Bouquet gebunden

Diese Wärme hält „Flowers Of Evil“ durchgehend zugänglich und lässt es elegant in die Gehörgänge perlen. Hilfreich ist hier ein gewohnt verlässlicher Krystoffer Rygg als Sprachrohr, dessen Gesangslinien einfach geschmeidig in dieses musikalische Bild passen. Es ist der mittlerweile ikonische gewordene, „neue“ ULVER-Sound, verpackt in vergleichsweise eingängige, mundegerechte Happen. Im Gegensatz zum Vorgänger ist das neue Album aber noch ein Stück düsterer und – in Ermangelung eines besseren Wortes – gespenstischer geraten. Es öffnet sich seinen Hörern nicht ganz so leicht, ist aber dennoch weit poppiger als beispielsweise ein „Shadows Of The Sun“.

Doch was können die Songs per se? Nun, wer den Vollzeit-Vorgänger kennt, den wird nicht wundern, was ihn erwartet: Auch „Flowers Of Evil“ atmet DEPECHE MODE und Co., ein Eindruck, der durch Ryggs Gesangsdarbietung auch gerne mal befeuert wird. Aber das Ganze hat diesen eigentümlichen Sound der Norweger aufgedrückt bekommen, der es doch ziemlich eigenständig klingen lässt. „Flowers Of Evil“ existiert sozusagen neben Dave Gahan und Konsorten, profitiert sicher auch ein Stück weit von deren Windschatten, kocht aber dennoch sein ganz eigenes Süppchen.

Liebe auf den zweiten Hör?

Pulsierende Synthesizer krabbeln mal sanft unter die Haut wie im Opener „One Last Dance“ oder gleiten gar wie Seide dahin, zusammen mit Klavier und Gitarre wie im Rausschmeißer „A Thousand Cuts“. Ein bisschen Zeit muss man als Hörer in „Russian Doll“  investieren. Erst mit wiederholtem Hören gerät der Song eingängiger. Das gilt auch für „Hour Of The Wolf“. Der Song stampft geduldig und intensiv atmosphärisch dahin, brilliert dann aber mit einem eindringlichen Refrain, für den Rygg seine gesanglichen Muskeln richtig spielen lässt. Schön soulig geraten auch „Machine Guns And Peacock Feathers“ sowie „Nostalgia“ dank der Gesangsbeiträge von Sisi Sumbundu und Mimmi Tamba.

ULVER kommen also nicht vom Weg ab, sondern begehen ihn weiter. Er führt die Norweger nebst Gastensemble in eine dunklere, einsamere Richtung. Synthesizer drängen sich oft in den Vordergrund, doch genaues Hinhören offenbart ein breites Geflecht aus Instrumenten, das durch geradlinige aber funktionale Rhythmen vorangetrieben, aber nicht erstickt wird. Poppig sind sie immer noch unterwegs, aber nicht mehr ganz so zugänglich wie noch auf „The Assassination Of Julius Caesar“. „Flowers Of Evil“ überzeugt dank seiner Subtilität auf den zweiten Hör – dann aber richtig. Und spätestens dann kommt man nur noch schwer von der Platte weg.

Also alles so wie immer bei Rygg und Co., oder?

01.09.2020

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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