Ulver - Messe I.X - VI.X

Review

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Seit zwanzig Jahren sind die Wölfe nun auf der Reise. Auf der Reise durch eine Welt, in der sie sich fremd fühlen und der sie dieses Fremdsein in Form musikalischen Ausdrucks mitzuteilen suchen. Dieser musikalische Ausdruck hat den Weg auf bis dato acht Studio-Alben, diverse EPs, zwei Soundtracks, eine Live-DVD und ein Cover-Album gefunden. Als wäre dieses Zeugnis ihres Schaffens nicht Ausrufe- oder besser: Fragezeichen genug, setzen sich ULVER mit ihrem neunten Album „Messe I.X – VI.X“ selbst ein Denkmal. Ein Denkmal, das in all seiner Größe und Tiefe fast unmöglich zu fassen ist, das aber denjenigen, die Ohren noch hinter den Ohren haben, einmal mehr den Schmerz greifbar machen wird, den diese Beobachter einer niedergehenden, verfallenden Welt empfinden. Ein Denkmal, das inmitten seiner vermeintlich stillen, introvertierten Aussage einen Schrei ausstößt, der sich kaum überhören lässt.

In den sechs Stücken, die allesamt in Kooperation mit dem Kammerorchester Tromsø entstanden sind, begeben sich ULVER – wieder einmal – in neue klangliche Sphären. Nach wie vor gibt es nur wenige Konstanten in der Musik der Norweger: Veränderung, Vergänglichkeit, tiefste Verlorenheit. Die formale Entsprechung dieser Inhalte, die sich durch das gesamte Schaffen der Formation ziehen – ULVER perfektionieren sie für den Moment: Der deutschen Literatur des frühen zwanzigsten Jahrhunderts gleich wäre es vergebens, eine Botschaft an oberflächlich greifbaren Aspekten dieser Klänge abzuleiten – vielmehr offenbart sich die Botschaft zwischen den sprichwörtlichen Zeilen; „Messe I.X – VI.X“ berührt seine Hörer auf ähnlichen Ebenen wie es die Werke Georg Trakls, Franz Kafkas oder Else Lasker-Schülers tun. Man spürt, was ULVER zu sagen haben – ohne dass sie es ausdrücklich sagen müssten.

Was aber passiert nun in dieser Dreiviertelstunde? Den Herren Rygg, Ylwizaker, Sværen und Halstensgård gelingt es in geradezu meisterhafter Weise, klassische Instrumentierung mit elektronischer Klangerzeugung (sowohl tonaler als auch atonaler Natur) zu vereinen. Die Elektronik bleibt zwar im eröffnenden „As Syrians Pour In, Lebanon Grapples With Ghosts Of A Bloody Past“ eher verhalten im Hintergrund und lässt Streicher und Klavier in beeindruckenden Harmonien ein Zeugnis der Fassungslosigkeit ablegen, tritt aber bereits in „Shri Schneider“ beinahe gleichberechtigt neben die orchestralen Anteile und spannt eine atmosphärische Ebene auf, die nur wenigen Künstlern der Moderne zugänglich scheint. Die gegenseitige Ergänzung, das Ineinandergreifen beider Welten, das Zusammen- und Wechselspiel von Kontrasten und Synfonien im Wortsinn – all das fesselt und begeistert durchweg. Das sich in großartiger Weise entfaltende „Glamour Box (Ostinati)“ die unglaubliche Dramaturgie von „Son Of Man“ sind weitere Zeugnisse der Vollendung, die ULVER in ihrer Klage, ihrem Aufschrei erreichen. Auch „Noche Oscura Del Alma“ ist letztendlich auf seine eigene Weise die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm, der „Mother Of Mercy“ heißt und „Messe I.X – VI.X“ perfekt abschließt.

Was also bleibt zu sagen? ULVER haben mit „Messe I.X – VI.X“ einen (wenn auch nicht den) perfekten Ausdruck ihrer Wahrnehmung einer für sie heimat- und haltlosen Welt gefunden. Ihren Zenit haben sie indes wohl längst nicht erreicht. Nichtsdestoweniger kann es für dieses zutiefst berührtende Album keine andere Wertung als die Höchstpunktzahl geben – im Rahmen der gewählten Ausdrucksweise hätten ULVER ihre Botschaft nicht besser in Klang kleiden können. Dass man mit etwas akustischem Feingefühl auf „Messe I.X – VI.X“ fast die gesamte Palette ULVERs bisheriger Veröffentlichungen in Anleihen wahrnehmen kann, verleiht dem Album zusätzlich würdigen Jubiläums-Charakter.

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For twenty years the wolves have been on the road. On the road through a world in which they feel like strangers; a world they try to tell about this strangeness by means of musical expression. This expression has found its way onto eight studio albums, a bunch of EPs, two soundtracks, a live-DVD and a cover album. As if this wasn’t enough of an exclamation, or rather: question mark, ULVER erect a memorial to themselves with their ninth album „Messe I.X – VI.X“. A memorial which, in all its magnitude and depth, is barely tangible, but which nevertheless will make those, who have ears behind their ears, feel the pain which these spectators of a falling, decaying world experience. A memorial which, in the midst of its allegedly silent, introverted statement, emits a scream which cannot be missed.

Within these six pieces, all being the result of a cooperation with the chamber orchestra Tromsø, ULVER once more enter new sound spheres. As always, there are few constants in the music of these Norwegians: Change, evanescence, deepest forlornness. The formal equivalent of these matters which have pervaded the formation’s whole work – ULVER perfect it for the time being: Just like in German poetry of the early 20th century, it would be in vain to deduce a message from superficially tangible aspects – the message is revealed between the lines; „Messe I.X – VI.X“ moves its listeners in realms similar to the works of Georg Trakl, Franz Kafka or Else Lasker-Schüler. You FEEL what ULVER have to say – without them having to actually say anything.

But what happens in these 45 minutes? Mr. Rygg, Mr. Ylwizaker, Mr. Sværen and Mr. Halstensgård masterfully combine classic instrumentation with electronic sound production (be it tonal or atonal). While the electronics stay in the background during the opening „As Syrian Pour In, Lebanon Grapples With Ghosts Of A Bloody Past“ and thus lets strings and piano bear witness to utter consternation by impressive harmonies, it almost reaches equality in the following „Shri Schneider“ and generates an atmospheric layer which seems to be accessible to too few modern artists. The mutual complement, the intertwining of both worlds, the inter- and counteraction of contrasts and symphony (in its true meaning) – all this enthralls throughout the entire album. The great unfolding of „Glamour Box (Ostinati)“ and the unbelievable dramaturgy of „Son Of Man“, too, are testimonial of the perfection ULVER have reached in their lament, their outcry. Even „Noche Oscura Del Alma“ is the proverbial calm before the storm which is called „Mother Of Mercy“ and perfectly finishes „Messe I.X – VI.X“.

What else is to say? With „Messe I.X – VI.X“ ULVER have found a (even though not THE) perfect expression of their perception of a world void of home or footing. They have not reached their zenith though. Nevertheless there is only one possible rating for this profoundly moving album – within the scope of the chosen style, ULVER couldn’t have clothed their message better in sound. The fact that one may – with some acoustic sensitiveness – sense almost ULVER’s whole discography’s presence in „Messe I.X. – VI.X“, awards the album additional anniversary character.

25.08.2013
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