Watain - Casus Luciferi

Review

In den späten Neunzigern und vor allem frühen Nuller-Jahren war Black Metal nach einigen Großtaten zu Beginn des Jahrzehnts in einer Krise. Die Vorreiter waren aus der Puste oder hatten sich für einen Teil des Publikums mit genrefremden Einflüssen zu weit aus dem Fenster gelehnt. Neuere Bands hingegen glichen meist fahlen Plagiaten oder in schlimmeren Fällen einem reinen Kinderzirkus. Angepisst von diesen Anmaßungen sowie Menschheit und Christentum insgesamt, formte sich in Schweden um Bands wie OFERMOD, FUNERAL MIST und MALIGN eine Szene, die dem Genre seine Ernsthaftigkeit, seine Hingabe und seine satanischen Prinzipien zurückgeben sollte. Diese Szene sollte in Upsala 1998 auch das Trio WATAIN ausspucken, die nach einigen Demos und einem respektablen Debüt namens “Rabid Death’s Curse” 2003 mit ihrem ersten Magnum Opus “Casus Luciferi” die Szene aufmischen sollten.

Während WATAIN ohne DISSECTION, KATHARSIS oder einen der bereits genannten Vertreter nicht denkbar wären, so muss festgehalten werden, dass der Einfluss WATAINs selbst und vor allem dieses Albums für einen immensen Teil der zeitgenössischen Schwarzstahlszene monumental ist. Von Landsleuten wie VALKYRJA hin zu Nachbarn wie der beinahe gesamten Island-Szene – “Casus Luciferi” läutete eine neue Ära der Ernsthaftigkeit im Black Metal ein.

WATAIN mit ihrem ersten Magnum Opus

Es ist die Verbindung von ausschließlich perfekten Zutaten und einer unbändigen, jugendlichen Besessenheit, die das zweite WATAIN-Album zu etwas Besonderem machen. Das sakrale und zugleich abgrundtief düstere Cover, die verhallte Produktion aus dem siebten Kreis der Hölle, deren genialer Basssound gar nicht oft genug hervorgehoben werden kann, die Illustrationen, die jeder Song in der Innenhülle bekommen hat – und natürlich die perfekte Anordnung der Songs.

“Casus Luciferi” beginnt mit einem der größten Band-Klassiker, “Devil’s Blood”. Zu diesem Song verfasste nicht nur ex-CRASHDIET-Sänger Dave Lepard, der eine Zeit lang mit WATAIN-Sänger Erik Danielsson eine WG bewohnte und sich 2006 mit nur 26 Jahren das Leben nahm, den Chorus. Er inspirierte Selim Lemouchi, der sich 2014 mit 33 Jahren ebenfalls das Leben nahm, zum Namen seiner Kult-Band THE DEVIL’S BLOOD. Das von DISSECTION beeinflusste “Black Salvation” ist ein oft übersehenes Highlight, bevor WATAIN mit Stücken wie “Opus Dei (The Morbid Angel)” oder “I Am The Earth” beweisen, dass sie auch im gemäßigteren, teilweise schon schleppenden Tempobereich überlebensgroße Songs schreiben können. Darin manifestiert sich auch ein früher Anhaltspunkt für die Ausnahmestellung der Band: Sie besaßen früh ein Talent dafür, regelrecht eingängige Songs, die im Aufbau eher an klassische Heavy-Metal-Nummern ähneln, zu schreiben.

“Casus Luciferi” ist den älteren norwegischen Klassikern ebenbürtig

Es ist zudem die besondere Energie, aus der Überzeugung heraus geboren, der Welt echten Antagonismus entgegenzuhalten, die WATAIN von einem Album wie “De Mysteriis Dom. Sathanas” übernommen haben. “Casus Luciferi” ist keine pubertäre Provokation mehr, es ist gelebte Religion. Davon kann man halten, was man will. Die geradezu greifbare Spiritualität, die WATAIN in den erwähnten Stücken oder dem fast neunminütigen, abschließenden Titelsong ausstrahlen, macht die Platte aber selbst dann authentisch, wenn man dem ganzen misanthropisch-luziferischen Gedöns eher skeptisch gegenübersteht. Das Album erreicht überdies das perfekte Spannungsfeld zwischen roher Energie und musikalischem Feingefühl. Blastbeats werden zum Glück nicht überreizt, das mitunter stumpfe Geholze paart sich immer wieder mit diabolischen Melodien. Dynamik und Spannungskurve von “Casus Luciferi” sind vorbildlich und durchdacht.

Somit steht das zweite WATAIN-Album unterm Strich einerseits für ein beachtenswertes Album einer damals jungen und hungrigen Band, die dem skandinavischen Black Metal einen gewaltigen Schub verleihen sollte. Klar war andererseits noch nicht, zu welch gewaltigen Sprüngen die Band ab dem zugänglicher produzierten und variabler gestalteten Nachfolger “Sworn To The Dark” (2007) in der Lage sein sollte und auch nicht, dass sie ab dem 2010er-Longplayer “Lawless Darkness” endgültig in einer eigenen Liga spielen und die vielleicht kommerziell erfolgreichste aktiv tourende Black-Metal-Band werden würde. Doch das ist eine andere Geschichte …

26.10.2022

Redakteur | Koordination Themenplanung & Interviews

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