1914
Hintergründe zu "Viribus Unitis"
Special
Freitag veröffentlichen 1914 ihr neues Album „Viribus Unitis“. Wir haben exklusiv im deutschsprachigen Bereich für euch ein Track-by-Track der Band bekommen, das alle Hintergründe der Songs beleuchtet. Geschichts- und Musikinteressierte können sich gleichermaßen angesprochen fühlen. Die ersten fünf Lieder präsentieren wir euch heute, der zweite Teil erscheint am Mittwoch.
1. War In (The Beginning Of The Fall)
Wie jedes 1914-Album beginnt auch dieses mit einem atmosphärischen Intro. Es gibt die Stimmung vor und lässt Hörende in den Geist der Platte eintauchen. Die ersten Töne, die man hört, gehören zur Hymne des Österreichisch-Ungarischen Reiches – ebenso beginnt die Geschichte unseres Protagonisten Ivan Pišta in den Reihen der kaiserlichen Armee. Hier startet sein Weg durch den Ersten Weltkrieg.
2. 1914 (The Siege Of Przemyśl)
Die längste Belagerung in der Geschichte Europas ist damit auch die längste des Ersten Weltkrieges – 133 brutale Tage. Russland schickte enorme Kräfte gegen Przemyśl, die drittgrößte Festung Europas nach Antwerpen und Verdun.
Für unseren Protagonisten Ivan ist dies die erste Bewährungsprobe. Die Schlacht in Galizien endete in Chaos und einem Rückzug, doch hier, hinter kolossalen Mauern, schlägt die österreichisch-ungarische Artillerie mit verheerender Präzision zu. Allein in den ersten drei Tagen fallen 40.000 Russen. Mehr als ein Jahrhundert später ist die Taktik der endlosen Angriffe durch Menschenwellen tragischerweise unverändert geblieben.
3. 1915 (Easter Battle For The Zwinin Ridge)
Eine der größten und blutigsten Schlachten des Ersten Weltkriegs – und doch sowohl von Europa als auch dem Rest der Welt fast vergessen. Fast zwei Millionen Soldaten beider Seiten wurden in diesem sinnlosen Gemetzel ermordet oder verwundet.
Die Russen drängten mit aller Kraft darauf, die Karpatenpässe einzunehmen und in die Ebenen vorzudringen. Die österreichisch-ungarischen Truppen leisteten verzweifelten Widerstand, doch letztlich waren es die deutschen Verstärkungen, die den Zusammenbruch verhinderten.
Geprägt war der Kampf von unmenschlichen Bedingungen: -20 Grad Celsius, Schneestürme, über anderthalb Meter hoher Schnee. Soldaten stürmen Bergkämme und Pässe entgegen aller Möglichkeiten. Die Mittelmächte setzten sich schließlich durch, eroberten Galizien zurück und stellten die kaiserliche Kontrolle über Lviv wieder her.
4. 1916 (The Südtirol Offensive)
Nachdem Galizien von den Russen zurückerobert wurde, wird der Protagonist Ivan an die gefürchtete italienische Front geschickt – so wie Zehntausende andere Ukrainer, die unter Österreich-Ungarn dienten. Unter Erzherzog Eugen wurden zwei österreichisch-ungarische Armeen zusammengestellt: fast 200 Bataillone und 2.000 Geschütze, darunter 280 schwere Geschütze. Dazu gehörten auch die monströsen 30,5-cm-M.11-Mörser von Škoda (auch Škoda 305mm Haubitze), die 384-Kilo-schwere Granaten bis zu zehn Kilometer weit schossen und Städte, Dörfer, Befestigungsanlagen und natürlich Menschenleben in Schutt und Asche legten.
Waren 2.000 Geschütze genug? Für die Männer in den Schützengräben reichten sie nicht aus, um dem Gemetzel ein Ende zu setzen.
5. 1917 (The Isonzo Front)
Zwischen 1915 und 1917 tobten zwölf Schlachten entlang des Flusses Isonzo, in denen italienische Streitkräfte gegen österreichisch-ungarische und deutsche Truppen kämpften. Die zwölfte, auch bekannt als die Schlacht von Karfreit (Caporetto, heute Kobarid), begann am 24. Oktober 1917 mit verheerendem Artilleriefeuer. Bei Tagesanbruch hatten die Deutschen die italienischen Linien durchbrochen und noch am selben Tag Caporetto eingenommen. Die deutschen Elite-Gebirgstruppen (Deutsches Alpenkorps) eroberten den Kolovrat-Kamm und brachen damit die sekundären italienischen Verteidigungslinien. Die Niederlage war katastrophal: 13.000 Italiener wurden getötet, 30.000 verletzt und fast 275.000 gefangen genommen – viele ergaben sich widerstandslos. Im Gegensatz dazu beliefen sich die Verluste der Mittelmächte auf etwa 70.000. Caporetto wurde zu einer der dunkelsten Stunden Italiens und zu einem der beeindruckendsten Siege Österreich-Ungarns.
6. 1918 Pt. I: WIA (Wounded In Action)
Die zweite Schlacht am Piave. Bis 1918 hatte sich Italien von den früheren Niederlagen erholt und stellte sieben vollständige Armeen und über 7.000 moderne Artilleriegeschütze auf. Österreich-Ungarn stellte 58 Divisionen – fast eine Millionen Mann – auf, unterstützt von 6.750 Geschützen und deutschen Verstärkungen. Die Offensive scheiterte, am 20. Juni befahl Kaiser Karl I. den Rückzug. An der Front brach Chaos aus, als ganze Einheiten ihre Waffen zurückließen.
In einer solchen Umzingelung wird unser Protagonist Ivan von einer Granate der italienischen Arditi-Truppen getroffen, am Kopf verwundet und bewusstlos gefangengenommen. Er erwacht in einem Arbeitslager.
7. 1918 Pt. II: POW (Prisoner Of War)
Dieser Track basiert direkt auf authentischen Briefen, die ukrainische Soldaten in italienischer Haft verfassten. Sie beschreiben die unmenschlichen Bedingungen der Kriegsgefangenschaft:
Malaria raffte Hunderte unserer Leute dahin, und mit der Zeit kam es zu Ausbrüchen von Typhus (in Cassino), der Spanischen Grippe und anderen Krankheiten, die die Gesundheit unserer Männer schwer beeinträchtigten. Eine beträchtliche Anzahl konnte das Leiden nicht ertragen und erlag der Krankheit an Ort und Stelle, wo sie nun in Gräbern ruhen, deren Zahl nicht Hunderte, sondern tausende beträgt (auf der Insel Asinara). Die häufige Verschlechterung der Lebensmittelqualität (inklusive verdorbener Heringe auf Asinara und in Cassino) sowie unzureichende medizinische Versorgung erhöhte die ohnehin bereits alarmierenden Zahlen der Kranken und Verstorbenen erheblich. Inmitten dieser furchtbaren Umstände wurde die bittere Qual unserer Soldaten durch den Mangel an Nachrichten aus der Heimat sowie die ständige Verzweiflung über ihre Notlage noch verstärkt. Es gab absolut keine Autorität, die bereit war, sich ihre Beschwerden anzuhören oder ihr Leid zu lindern.
Die Gefangenen verloren bei ihrer Gefangennahme alles. Viele wurden in Zelte geschickt, wo sie Regen und Kälte ausgesetzt waren und dann zu harter Arbeit gezwungen – Steine klopfen, Feldarbeit, Straßenbau. Malaria, Typhus und die Spanische Grippe grassierten in den Lagern, das Essen war verdorben, medizinische Versorgung gab es nicht. Zehntausende starben in Asinara, Sardinien und Cassino und wurden in Massengräbern beigesetzt. Insgesamt hielt Italien über 600.000 österreichisch-ungarische Soldaten gefangen, davon 60.000 Ukrainer. Für viele war eine solche Gefangenschaft ein langsamerer Tod als der Krieg an der Front selbst.
8. 1918 Pt. III: ADE (A Duty To Escape)
Anfang 1919 weiß Ivan, dass der Krieg vorbei ist – doch die Gefangenschaft quält ihn. Zusammen mit dem slowenischen Kadettenanwärter Frane Hribar und dem polnischen Offizier Zdzisław Łuczyński schmiedet er einen verzweifelten Fluchtplan. Sie entkommen durch die verschneiten Alpen – frierend, hungernd, konfrontiert mit endlosen weißen Bergen und tödlichem Frost. Nur gegenseitige Hilfe und Freundschaft trägt sie voran. Der Song bietet einen eindringlichen Gastauftritt von Aaron Stainthorpe (ehemals MY DYING BRIDE), dessen beinahe liturgischer Gesang die kalte Erhabenheit der Berge einfängt – Tod, Verzweiflung, Hoffnung und endlich der Sieg.
9. 1919 (The Home Where I Died)
Das letzte Kapitel von Ivans Leben. Er träumte von nichts anderem als zu seiner Familie zurückzukehren, seine Tochter zu umarmen, seine Frau festzuhalten und endlich ein ruhiges Leben zu führen. Diese Träume werden wahr – für zwei kurze Wochen.
Der Krieg lässt seine Beute niemals frei. Als Galizien mit Zustimmung der Alliierten von Polen besetzt wird, greift Ivan erneut zu den Waffen. Seine Stadt Lviv ist in feindlicher Hand, der Krieg ging weiter – der Krieg, der niemals endet.
10. War Out (The End?)
Ivan fällt am 28. Juni 1919, dem letzten Tag der Chortkiv-Offensive, in der Nähe seiner geliebten Heimat Lviv, der Stadt, die wiederzusehen er sich so herbeigesehnt hatte. Seine Grabesstätte ist unbekannt. Er wird einer der unzähligen Ukrainer, die für die Freiheit ihres Heimatlandes starben.
Das Album schließt mit der ersten Aufzeichnung der ukrainischen Hymne – ein Symbol dafür, dass die Ukraine trotzdem unzähliger Besetzungen und Invasionen weiterbesteht. Sie lebt, sie widersteht und sie erinnert sich.
