Uada
Song by Song Pre-Listening zu "Crepuscule Natura"

Special

Seit ihrem geisterhaften Erscheinen haben UADA mit zuverlässiger Regelmäßigkeit neue Alben veröffentlicht, die in der (Black) Metal Community auf mehr als offene Ohren gestoßen sind. Am 8. September 2023 veröffentlichen sie ihr neues Album “Crepuscule Natura“, das übersetzt so viel wie “dämmrige Natur“ bedeutet. Wir gehen das neue Album Song für Song durch und befragen Sänger Jake Superchi zur Bedeutung und den Besonderheiten der fünf enthaltenen Songs.

The Abyss Gazing Back

Louisa: Der Opener des Albums startet nach Intro-Blastbeatgeknüppel direkt mit einer der eingängigen Melodien, für die UADA bekannt sind, bis die tiefen Growls und harschen Screams von Sänger Jake Superchi einsetzen und so einen Kontrast zur fast fröhlichen Gitarrenmelodie bieten. Die Amerikaner zeigen direkt, dass sie immer noch dazu in der Lage sind, Härte und Melodie zu vereinen und lassen von Anfang an nichts anbrennen.

Jake: “The Abyss Gazing Back“ beginnt mit einem Sample, das die erste Audioaufnahme des Geräuschs ist, das ein schwarzes Loch ausstrahlt. Diese Aufnahme wurde von der NASA im Jahr 2022 veröffentlicht und aufgrund der Natur des Songs sowie einer Erfahrung, die ich eines Nachts in den Bergen hatte, als ich ein schwarzes Loch sah – auf den Tag genau sechs Monate bevor die NASA bekannt gab, dass wir tatsächlich schwarze Löcher in unserem Sonnensystem haben – fühlte es sich wie der perfekte Weg an, das Album zu beginnen.

Bevor ich mich für das Sample aus dem letzten Album „Djinn“ entschied, auf dem es darum ging, sich unseren Dämonen zu stellen, sah ich mich einem Gegner anderer Art gegenüber. Meinem eigenen Verstand.

Da ich während der Pandemie die meiste Zeit alleine verbracht habe, wurden alle Songs des Albums außer der Leadgitarren vor Ende 2020 geschrieben. Während ich die freie Zeit hatte, etwas zu erschaffen und die Frustrationen in mir abzulassen, gab es auch viel Zeit zum Sitzen und Nachdenken. Während meine Gedanken an dunkle Orte wanderten, wurde das Gefühl, von einem schwarzen Loch verschluckt zu werden, nur noch schlimmer. Angesichts des Wahnsinns und des Gefühls, gefangen zu sein, drohte der Abgrund, und der einzige Weg, den ich gehen konnte, war der nach innen. Da der Titel eine kleine Anspielung auf die Schriftsteller Friedrich Nietzsche und H.P. Lovecraft ist, glaube ich, dass der Song selbst unbewusst so geschrieben wurde, dass er das Gefühl wiedergibt, das man beim Lesen solch schwerer Themen bekommen kann.

Crepuscule Natura

Louisa: Der Titeltrack des Albums lässt sich beim Erzählen etwas mehr Zeit. Jakes Vocals klingen gut verständlich und langsam aus den Boxen, während die Gitarre und das Schlagzeug kontrastierend voller Dynamik sind. “Crepuscule Natura“ spielt durch Tempo- und Stimmungswechsel mit den Emotionen des Hörers, der zwischen aggressivem Fußwippen und lethargischer Melancholie hin und her gerissen ist und am Ende von einem angetäuschten Fade Out geködert wird, bevor Jake noch ein letztes Mal die zwielichtige Natur anruft.

Jake: “Crepuscule Natura“ ist nicht nur der Titeltrack, sondern auch ein Lied, das auf den ersten Song folgen musste, da es darum geht, sich an die Macht unserer eigenen Gedanken zu erinnern. In diesem Fall war es mein eigenes Spiegelbild, das mich anblickte, als ich tief in den Abgrund starrte. In dieser Zeit des Nachdenkens wurde mir klar, wie wichtig es ist, mich daran zu erinnern, wer ich bin und welche Kraft ich in mir trage. Dieser Song ist wirklich ein Lied, das ein Licht auf die okkulte Philosophie wirft und auf die Fähigkeiten, die wir mit einer kleinen Anpassung unserer Denkweise haben. Es ist auch eine Ode an die Weisheit, die in der Dunkelheit zu finden ist. Meistens entstehen hier unsere hellsten Momente, denn alles, was Früchte tragen wird, wird aus der Dunkelheit geboren.

Musikalisch empfand ich diesen Song als eine sehr wichtige Rückbesinnung auf die Wurzeln von UADA, und in vielerlei Hinsicht fühlte er sich wie eine Fortsetzung oder eine Neuinterpretation unseres Debüt-Titeltracks „Devoid of Light“ an, auf den interessanterweise auch der erste Song textlich Bezug nahm. Wie abzusehen wiederholt sich die Geschichte…

The Dark (Winter)

Louisa: “The Dark (Winter)“ startet mit der mit Abstand mitreißendsten Melodie des ganzen Albums, die sich während des Liedes immer wieder ihren Weg durch die dichte Klangmauer sucht und für nachdrückliches Mitnicken sorgt. Passend zum Titel hört man den Hass und die Kälte in den schnellen, wütenden Screams, die hier etwas mehr als Growls zum Einsatz kommen und sogar einige eher gesprochene als gesungene Passagen, die dem Song einen erzählenden Charakter hinzufügen.

Jake: “The Dark (Winter)“ ist eine Anspielung auf ein Ereignis, das Ende Juni 2001, wenige Monate vor dem 11. September 2001, in den USA stattfand und „Operation Dark Winter“ genannt wurde.

Bei dieser Operation (Anm. d. Verf.: einem Planspiel) ging es darum, die Unzulänglichkeiten einer nationalen Reaktion im Falle des Einsatzes biologischer Waffen gegen die amerikanische Bevölkerung zu bewerten. Ziel der Übung war es, Präventivmaßnahmen und Reaktionsstrategien festzulegen, indem das Bewusstsein der Regierungen und der Öffentlichkeit für das Ausmaß und das Potenzial einer solchen Bedrohung durch biologische Waffen geschärft wurde. Die katastrophalen Szenarien, die zu einem riesigen Verlust von Menschenleben unter der Zivilbevölkerung führen würden, wurden genutzt, um die Schwächen der amerikanischen Gesundheitsinfrastruktur und ihre Unfähigkeit, mit einer solchen Bedrohung umzugehen, aufzuzeigen. Die Szenarien sollten auch dazu dienen, die weit verbreitete Panik zu thematisieren, die entstehen und zu einem Zusammenbruch der Gesellschaft und zur Gewalt des Mobs führen würde. Auch die vielen Schwierigkeiten, mit denen die Medien konfrontiert wären, wenn sie die amerikanischen Bürger mit den notwendigen Informationen über die Sicherheitsmaßnahmen versorgen müssten, sollten berücksichtigt werden.

Die Ähnlichkeiten mit der Pandemie, auch wenn Covid ein viel größeres Ausmaß hatte, waren ziemlich extrem. Leider sind sich die meisten Menschen oder sogar die meisten amerikanischen Bürger nicht einmal der „Operation Dark Winter“ bewusst und dass unsere eigene Regierung, ganz zu schweigen von einer gegnerischen Regierung, solche Taktiken gegen die besagten Bürger anwenden könnte oder würde. Natürlich ist dieser Song nicht dazu gedacht, irgendjemandes politische Meinung zu diesem Ereignis oder der Erfahrung zu beeinflussen, sondern er erweitert das Thema „Auferstehung“ des Albums auf eine andere Weise. Jeder Song behandelt seine eigene Geschichte und sein eigenes Leiden, und in diesem Song geht es eben um die Wiederauferstehung einer ähnlichen Zeit und Erfahrung, während man die innere Stärke finden muss, um weiterzumachen.

Als ich die Musik für diesen Song schrieb, gab es einige Schlüsselmomente, in denen ich die Spannung spüren konnte, die sich in mir aufbaute, und wenn ich mir den Song anhöre, kann ich mich an diese Tage erinnern, an denen ich bis zum Äußersten mit den Zähnen knirschte. Obwohl einige von uns in der Band das Gefühl hatten, dass die erste Leadgitarrenlinie nicht wirklich zur Geschichte oder zur Stimmung des Songs passte, ist sie uns schließlich ans Herz gewachsen. Ich vermute, es hat etwas von „Here we go again“ (Anm. d. Verf.: in etwa „Jetzt geht das schon wieder los“) oder „Run rabbit run“ (Anm. d. Verf.: in etwa „Lauf so schnell du kannst“) an sich. Wenn ich ihn höre, stelle ich mir vor, wie Regierungsbeamte lachen, während sie ihre Kriegsspiele auf die Welt loslassen, immer und immer wieder.

Retraversing The Void

Louisa: “Retraversing The Void“ beginnt mit einer ätherischen Gitarrenmelodie, die beinahe ALCEST-Charakter hat und so eindeutig anzeigt, dass das Spielfeld des Songs die Leere und Weite des Universums ist. Nach einem kurzen Comeback der Melodie in der Mitte des Songs enden die Shoegaze-Elemente allerdings und weichen den gewohnt treibenden Rhythmen und harten Vocals. Eine gelungene Mischung.

Jake: “Retraversing the Void“ birgt für mich persönlich eine Menge Magie, denn es ist eines meiner liebsten lyrischen Stücke, die ich je geschrieben habe. Tatsächlich bin ich mir nicht einmal sicher, ob ich es komplett selbst geschrieben habe. Lange bevor ich mit dem Schreiben der Texte für dieses Album begonnen habe, denn die Musik kommt immer zuerst, gab es einen Morgen, an dem ich aus einem Traum erwachte. Ich erinnere mich weder an den Traum, noch hatte ich Zeit, über das nachzudenken, was mir gerade im Kopf herumschwirrte, als ich schnell nach meinem Handy griff und meinen Notizblock öffnete, in dem ich immer meine Ideen festhalte. Sobald mein Notizblock geöffnet war, begann ich schnell zu tippen, und die ersten beiden Strophen dieses Liedes tauchten einfach auf.

Es fühlte sich wirklich so an, als ob etwas von mir Besitz ergriffen hätte, als ob ich ein Gefäß oder ein Kanal wäre. Ich glaube nicht, dass mir die Worte jemals zuvor so leicht gefallen waren, und ich hatte auch noch nie zuvor diese Art von Autopilot-Schreiben erlebt. Nachdem ich gelesen hatte, was ich gerade geschrieben hatte, wusste ich, dass diese Botschaft weitergegeben werden musste. Vielleicht hat der Abgrund mir das Geschenk gebracht, und ähnlich wie beim zweiten Song auf dem Album musste ich tief in die Leere, um mich selbst wiederzufinden und an meine Bestimmung zu erinnern. Obwohl der Text des Liedes keine direkte Referenz ist, gibt es eine eindeutige Verbindung zu dem Zitat „Jeder Mann und jede Frau ist ein Stern“ aus dem Buch des Gesetzes von Aleister Crowley. Vielleicht sind die Wesen, die durch den Schleier zu uns sprechen, im großen Netz miteinander verbunden.

Musikalisch gesehen ist dieser Song der beschwingteste und optimistischste Song des Albums. Schon als ich mit dem Schreiben der Musik begann, wusste ich, dass die bereits geschriebenen Worte hier ihren Platz finden würden. Es hatte einfach ein echtes Gefühl von Leben und Energie, das zu den Texten passte. Obwohl sich der Song so anfühlte, als hätte er perfekt auf unser letztes Album gepasst, hatte er dennoch das Gefühl, etwas Neues zu sein und in Gebiete vorzudringen, in die wir noch nicht vorgedrungen waren, was meiner Meinung nach auch zum Titel selbst passt. Deshalb wurde „re“ zu traversing (Anm. d. Verf.: „erneut“ zu durchqueren) hinzugefügt . Ich bin schon einmal hier gewesen, es fühlt sich diesmal nur anders an.

Through The Wax And Through The Wane

Louisa: Mit dem längsten Song beenden UADA das Album mit einem Höhepunkt. “Through The Wax And Through The Wane“ startet mit Wolfsgeheul, das den Vollmond direkt vorm inneren Auge heraufbeschwört. Gleichzeitig mit dessen Phasen nimmt auch der Song an Intensität ab und zu und lässt sich dabei zwar Zeit, treibt aber kontinuierlich weiter. Jakes wehmütig gesungenes “Through the wax and through the wane/Life’s greatest teacher is always pain“ nach dem Instrumental-Interlude in der zweiten Hälfte des Songs ist ein absoluter Gänsehautmoment.

Jake: “Through The Wax And Through The Wane“ ist der Abschluss des Albums und kommt auf eine Länge von etwa zwölf Minuten. Dieser Song ist den Zyklen des Mondes und den Energieveränderungen zwischen und während ihnen gewidmet. Als jemand, der hauptsächlich nachtaktiv ist, hat mich der Mond und seine (physische) Anziehungskraft schon immer sehr fasziniert. Viele Menschen glauben, dass das Ende einer Mondperiode eine signifikante Bedeutung oder Wirkung auf sie selbst hat, ich habe es immer gespürt. Wie ein (natürliches) Uhrwerk gibt es in diesen Zyklen immer eine Lektion zu lernen oder eine Hürde zu überwinden, und wenn der Mond die volle Reflektion des Sonnenlichts auf uns projiziert, gibt es eine Energie, die sich ständig mit ihm mitbewegt. Oft zum Besseren, aber häufig auch zum Gegenteil. Als das Album seinen Tribut forderte und das Thema der Überwindung erfüllt war, schloss das Album mit einem Song, der die Prüfungen, die wir durchmachen, auf eine Art und Weise analysiert, die ich selbst erlebt habe, so lange ich mich erinnern kann.

Musikalisch fühlte sich dieses Stück sehr ähnlich an wie der letzte Song auf unserem Debüt „Black Autumn, White Spring“, der sich textlich auf einen Jahreszeitenwechsel bezieht und nicht nur auf den Mondwechsel. Obwohl wir nicht vorhaben, dasselbe Album noch einmal zu schreiben, gab es viele Parallelen zu der Einsamkeit und dem Unbekannten, die ich beim Schreiben des Debütalbums hatte. Ich denke, deshalb gibt es auf diesem Album viele Anspielungen auf die erste Platte und ähnliche Gefühle, die sich mir in der Schreibphase zeigten. Oft genug fühlt es sich so an, als müssten wir zurückgehen, um vorwärts zu kommen, und durch das Auf und Ab dieses Albumzyklus sind wir durch die Hölle und zurück gegangen.

08.08.2023

"Es ist gut, aber es gefällt mir nicht." - Johann Wolfgang von Goethe

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